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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0022
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Frühes Mittelalter bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts

muß, eingefügt. Die Schwierigkeit des Opferganges und der Opferung wird durch die ein-
geschalteten typisch stilisierten Baumbildungen — ein Gemeingut des niedersächsischen
Stiles im 12. Säkulum —■ zu überwinden gesucht. Ziehen wir die reine Technik als Ver-
gleichsmoment heran, so zeigt sich eine starke Unbeholfenheit, die jedoch keineswegs zu
dem Schlüsse berechtigt, in dem Abrahamsbehang ein Erstlingswerk deutscher Bildwirkerei
zu erblicken, eine Unsicherheit, die sich aus den verschieden begabten Händen, die am
Werke gewesen sind, erklärt. Der Kopf des knienden Isaak ist, bei aller Primitivität, gut
gelöst, der angstvoll verzogene Mund mit dem schwach betonten Kinnansatz vortrefflich
durchgebildet. Geradezu minderwertig ist das Haupt des schwertschwingenden Abraham.
Die ursprüngliche Kartonvorlage ist nicht mehr klar zu erkennen. Der durch Sichellinien
geteilte dreisträhnige Bart, mit der feinen senkrechten Strichelung, verdankt sein Dasein
in der Hauptsache einer Wirkerin, der die Fähigkeit abging, die vorgeschriebene Zeichnung
sachgemäß wiederzugeben. Der Vergleich des in einheitlichem Schwünge fließenden Haares
des knienden Knaben mit dem dilettantisch und schematisch gelösten Schopf des Erzvaters
spricht besser als lange Ausführungen; noch lehrreicher dünkt mich die Gegenüberstellung
der Mundbildung, die bei Abraham zu einem ausdruckslosen, unten ausgezogenen Viereck
zusammengeschrumpft ist.

Von besonderem Interesse erscheint der Kopf des St. Michael. Die Wirkerin ist ersicht-
lich bemüht, das klare Vorbild der Miniatur möglichst naturgetreu zu erfassen; dünne
Striche verlaufen von der Nasenwurzel zu dem Backenrund, das mit Hilfe von Spaltlagen
als Oval durchaus nicht ungeschickt erfaßt ist. Die weiße Linie, die die schwere Kontur
der Backen begleitet und unterstreicht, ist, wie die charakteristische weiße Auflichtung,
die sich ständig bemerkbar macht und den Figuren den seltsamen, starren Zug verleiht,
wahrscheinlich der Vorlage unmittelbar entnommen. Die Kontraste in der Qualität finden
sich nicht minder ausgeprägt in der Wiedergabe der Hände und Füße. Alles in allem spricht
der technisch stilistische Befund für die Entstehung des Abrahamsbehanges in einer klö-
sterlichen Werkstatt im Kunstkreise des südlichen Niedersachsen, aber nicht vor dem
letzten Viertel des 12. Jahrhunderts. Ob in Halberstadt, ob in Quedlinburg? So unsicher
die Notiz des Johannes Gerdanck in seinem Chronicon Quedlinburgense (bis zum Jahre
1600) auch sein mag — „Agnes I. Markgrafen Conradi von Meißen Tochter, wurde a. 1186
Äbtissin, soll eine gute Schreiberinn gewesen seyn, die viel Bücher in ihrem Amte mit
schönen Gemahlden und verguldeten Buchstaben geschrieben pro divino officio, dazu auch
viel herrliche Teppiche und Rücklaken oder Dorsalia gewircket, die man noch im Thurm
zu Halberstadt, zu St. Johannis und in anderen Kirchen findet" —, so gewinnt die Be-
merkung immerhin durch das eigenartige Zusammengehen des Entwurfes und der Technik
gewisse Bedeutung, wenngleich Agnes bislang lediglich mit dem noch zu besprechenden
Knüpfteppich in Verbindung gebracht werden kann.

Dem Hildesheimer Domkapitel eignet eine im 18. Jahrhundert nach einem inzwischen
verloren gegangenen Teppich in Öl gemalte Kopie, die trotz gewisser Entstellungen un-
zweifelhaft den unmittelbaren Stilzusammenhang mit dem Abrahamsteppich verrät. Rechts
ruht Jakob im Schlafe unter dem sattsam bekannten stilisierten Baum, ein Engel beugt sich
hernieder und berührt ihn mit den Händen; links oben schwebt die göttliche Erscheinung
in dem Halboval, an das sich die Leiter, auf der ein zweiter Gottesbote herabsteigt, lehnt.
Ein Turm steht einsam in hügeligem Gelände, senkrechte schmale Schriftbalken fassen die
Szene. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich bei dem verschwundenen Original
um den Rest eines zweiten Teppichs, der wie der Abrahamsbehang zu einer Alttestament-
folge gehörte.

Ein fortgeschritteneres, d. h. späteres Gepräge verrät der zweite romanische Teppich des
Halberstädter Dombesitzes: Christus mit den zwölf Aposteln. Die Körper sind gelockert,

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