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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0298
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fort; Odilia kontrolliert, gemeinsam mit Johannes dem Täufer, der ihr in der Vision den geeigneten
Bauplatz wies, die Arbeiten; ein steinbeladener Wagen stürzt den Berghang hinab, ohne daß der Lenker
und die Zugtiere (Ochsen) Schaden nehmen. In dankbarer Erinnerung an die Gründung von Nieder-
münster pflanzt die Heilige drei Linden am Kirchenportal. Neben ihr steht das Wappen der Zorn; das
heraldische Zeichen der Ratsamhausen wurde gelegentlich einer Instandsetzung zerstört. Im anschlie-
ßenden Schmalbilde kniet Odilia, im Gebet versunken, vor dem Altar einer kleinen Kapelle. Sie empfängt
kniend die Hostie aus der Hand des herniederschwebenden Engels; die Leiche der Heiligen wird von
den Schwestern des Klosters zur ewigen Ruhe in den Sarkophag gebettet, ein Priester liest die Toten-
messe.

46) Katalog der Sammlung Ikle\ Zürich 1923, Nr. 788.

4?) Das St.-Adelphus-Brünnlein bei Neuweiler im Unter-Elsaß: Alsatia, 12. Bd. (1885), S. 171 ff.

A. Straub, Tapisserie de Neuwiller: Bulletin de la soci£t6 pour la conservation des monuments histo-
riques d'Alsace, II. serie Bd. V, S. 54.
A. Schricker, a.a.O. Tafel 113.

Fr. X. Kraus, Kunst und Altertum in Unter-Elsaß, Straßburg 1876, S. 180 f.

48) B.Kurth, a.a.O. S. 129.

49) In der ersten Episode trägt ein schwebender Engel ein stark verschlungenes Schriftband:

„Hie • vohet ■ sant ■ adelffs ■ leben ■ an ■

der • engel • verkündet ■ uns ■ den ' heiligen • man ■

Ave • deo 1 dilecta ■ et • oe • gen' ■ tuum ■ "

Mit betend erhobenen Händen vernimmt das Stifterpaar stehend die Kunde. Es folgen die Geburt des
Heiligen („darnoch ■ ist • er ■ in ■ die 1 weit ■ geboren"), der Schulunterricht („Und ■ zu ■ schulen ■ der ■
göttlichen • kunst ■ usser ■ kore"), die Wahl und Weihe zum Bischof von Metz („darnoch • wart ■ er ■
erweit ■ bischoff ■ zu ■ metz"), eine Dämonenaustreibung („hie ■ dribet ■ er ■ usz • die • tüfel ■ noch •
geistliche ■ gesetz"), eine Totenerweckung („hie • het • er • die ■ doten ■ erqwicket ■ zum • leben"),
Werke der Mildtätigkeit, Beschenkung der Armen („Und ■ den ■ armen • luten • grosz ■ almusen ■
geben"), die Aufnahme der Pilger („Er ■ hat • die 1 bilgerin ■ ge[herb]ergt • von ■ allen ■ enden"), die
Fußwaschung („Und ■ ynnen • ire ■ fuesse • geweschen ■ mit • sinen ■ heiigen ■ hende"); der Tod des
Heiligen beschließt als 10. Szene den zweiten Streifen: („hie ■ ist • er • dot • und ■ kommen • zu ■ ewgem

• leben"). Im dritten Streifen eröffnet die Auffindung des Sarkophags den Reigen I,,durch ■ gottes •
verkundung ■ geoffenet • wart • und ■ uns 1 gegeben ■ "

„Exultabunt ■ sancti ' in ■ gloria ■

letabuntur • in ■ cubilibus • suis ■ ")

Im geöffneten Sarg ruhen die Gebeine des Heiligen

(„hie • ist • er ■ lobelichen ■ erhebet ■

der • in ■ dem ■ hymel ■ eweclich • lebet"),

die in feierlichem Zuge nach Neuweiler, unter dem Klang der durch den göttlichen Willen schallenden
Glocken, überführt werden („Und • wart • gefuret ■ gon • nuwiler ■ in ■ die ■ stat " do • er ■ vil ■ wunder

• zeichen ■ volbroht ■ hat • ")

Die Reliquienwunder schließen sich an: die Strafe eines Frevlers, der das Grab des Heiligen zu erbrechen
sucht („do ' sei • best ■ wart • unsinnig ■ der • sin ■ grap ■ zerbrach"), die Heilung von Kranken („Ouch

• machet ' er ■ die ■ lamen • gerad ■ die ■ blinde ■ gesach"), die Wiedererweckung einer in den Brunnen
gestürzten und ertrunkenen Jungfrau („hie • erquicket • er ■ die ■ iungffrow ■ in • brunnen • als • sie ■
was • dot"), die Belebung eines in einen Kessel voll siedenden Wassers gefallenen Kindes („Und • erloste

• das • kint ■ in ■ dem ■ kessel ■ usz ■ heisser ■ not"). Die Abhängigkeit des Kartonzeichners vom gleich-
zeitigen Holzschnitt offenbart sich besonders auffällig in den zahlreichen typischen, der Schnittechnik
gedankenlos entlehnten charakteristischen Hakenfalten des langwallenden Gewandes des knienden Hei-
ligen, die auch in anderen Figuren, wenn auch weniger hervorstechend, wiederkehren. Die feierliche
Vorzeigung der Reliquien im Jahre 1465 („dar ■ noch ■ wart • er ■ hie • gezeuget ■ mit • lobe ■ und ■
grossen • eren") und die Apotheose des von knienden Verehrern umgebenen Heiligen („hie ■ suchen ■
in ■ die • siner ■ genoden ■ und ■ hilffe • begeren") bilden den Abtakt des Behanges (insgesamt 19 Bilder).

50) B. Kurth, Mittelhochdeutsche Dichtungen auf Wirkteppichen des XV. Jahrhunderts: Jahrbuch der Kunst-
historischen Sammlungen des allerhöchsten Kaiserhauses, Bd. XXXII (1915), Heft 2, S. 31 ff.

:'') Das Königspaar von England steht vor dem Kastell und begrüßt den von seinem Kaplan begleiteten
heransprengenden Sohn: „Bisz • gottwilkum ■ dusnt • stunt ■ grosser ■ froyd ■ wart ■ uns ■ nie • kunt".
Der junge Prinz verhandelt mit seinen Vögten, die ihm drei schnelle Rosse und eine klingende Geige
verschaffen. Die winzige Episode spielt in der plattengepflasterten Halle:

„frumer ■ dienr • bestelle ■ mir •
dri ■ ros ■ ein ■ gige ■ ist ■ min ■ begir"
„herre • ich • will ■ mich • des ■ geniete •
un • tun • noch ■ dein • gebieten • "

Im dritten Bilde nimmt der Königssohn die Geige in Empfang; ein Diener leitet die drei Rosse, der
Abritt geht vonstatten:

„gige ■ un " rosz ■ sint ■ bereit ■
als • ün (?) • uger ■ gend • het 1 geseit ■ "
„wol • hin • glick ■ zü • dieser ■ vart •
nie • kein ■ reise • mir ■ lieber ■ wart ■ "

Als fahrender Geselle verkleidet, trifft der Jüngling in Paris ein; der König von Frankreich und sein
künftiger Eidam, der Beherrscher von Marokko, begrüßen an der Pforte des Palastes den vermeint-
lichen, von seinem Diener begleiteten Spielmann und laden ihn ein, die Festlichkeiten durch seine Kunst
zu verschönern:

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