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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0204
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England. Soho

Die älteren Reihen, die Mariliier148) noch mit der Spätzeit Mortlakes in Verbindung bringt,
zeigen das typische, mit Blumen verbrämte Akanthusrollwerk, die jüngeren in den Seiten-
leisten merkwürdige, ausgehöhltem Sandstein ähnliche, mit Blumen umwundene Pilaster;
Girlanden aus blühendem Bunt füllen den oberen und unteren Rahmen; in beiden Fällen
erläutern Kartuschen mit lateinischen Legenden das Motiv.

Die Durchbildung der Bilddarstellungen ist ungewöhnlich sorgfältig und läßt auf eine
tüchtige Werkstatt schließen. Die Serien in der Akanthusrahmung verteilen sich auf die
Sammlungen in Holyrood, Beiton, Dunrobin, Savile Row (Basil-Dighton) und den deut-
schen Kunsthandel. Reihen in der zweiten Rahmung finden sich in Easton Neston (vier
Behänge), Raby Castle (3), Dyrham Park (6), Weald Hall (2), bis 1926 in Bradbourne
Hall (5) und im Kunsthandel. Aller Wahrscheinlichkeit nach stammen sämtliche Folgen
aus dem ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts. Noch später sind die Wiederholungen in
der einfachen Eierstab-, Blumen- oder Rahmenfassung149).

Die zweite Rahmung der Diogenesfolge kehrt fast unverändert wieder in einer mytholo-
gischen Folge auf Castle Ashby: 1. Juno beklagt Argus' Tod — eine Wiederholung im eng-
lischen Kunsthandel —, 2. Diana und Endymion, 3. der jugendliche Herkules und die
Schlangen, 4. vier Nymphen. Ein fünftes Motiv —Merkur und Argus — tauchte in der Auk-
tion Rushbrooke Hall (10. Dezember 1919) auf150). Die gleiche Manufaktur — ob Soho? —
scheint sich auch der Jahreszeitenfolge angenommen zu haben; angeblich findet sich eine
derartige Reihe in der zweiten Diogenes-Fassung auf einem schottischen Landsitz151).

Zweifelhaft ist die Zuschreibung des „Evangelisten Johannes" — der Heilige sitzt vor
einem Gebäude, ein Buch auf den Knien, er blickt nach einem fliegenden Adler — trotz der
für Soho typischen Eierstabbordüre. Die „Predigt Johannes des Täufers" — des Heilandes
Vorläufer lehnt sich an ein Holzgeländer, in der Lichtung lagern Männer und Frauen, zwei
Krieger stehen aufrecht — geht vielleicht noch auf die Spätzeit des Mortlakebetriebes
zurück. An religiösen Folgen sei schließlich eine Geschichte des Moses (1707, Ergänzungen
einer Serie „die Kinder Israels in der Wüste" im Kensington Palace), an mythologischen
die Zusatzbehänge einer Meleager-Legende (1723/24, Kensington Palace) genannt.

Meister John tritt Weihnachten 1727 von seinem Amt als yeoman arras-worker of the
Great Wardrobe zurück; ihm folgt Moses Vanderbank. Er arbeitet (seit Ende 1729) gemein-
sam mit John Ellys; sein Name verschwindet seit 1731 aus den urkundlichen Belegen. Auf
Ellys folgt 1742 Richard Chillingworth (in den neuen Räumen der Great Wardrobe in Po-
land Street, Soho), um zwei Jahre später seinem Vorgänger wiederum den Platz zu räumen,
den Ellys bis 1760 innehat.

Über die Folgen der Spätzeit (seit 1727 bis 1742) sind wir nur äußerst mangelhaft unter-
richtet. Nach wie vor bleiben die „Elemente" nach Le Brun ein beliebter Vorwurf. Der
Vanderbankschen Epoche gehören möglicherweise vier stark italienisierende Grotesken-
wirkereien — Drayton House, Sammlung Captain Nigel Stopford Sackville — mit dem
Allianzwappen des Sir John Germain (gest. 1718) und seiner Gattin Lady Betty Berkeley
(gest. 1769) an. Auf John Vanderbank gehen schließlich (mit einem Fragezeichen) zwei
eigenartige Porträtwirkereien zurück (Charles de Saint Denis de Saint-Evremond und
Edmundus Dummer de Swaythling).

Der Wirkereibetrieb von Soho erlebt eine Nachblüte unter dem begabten Atelierleiter
Paul Saunders. Es ist nicht ganz klar, in welchem Verhältnis der Meister zu John Ellys
stand, der offiziell sich 1760 als Leiter der Great Wardrobe betätigte. Führte Saunders vor
1760 ein eigenes Atelier? Der Protektor des Wirkers, der Duke of Northumberland, betraut
ihn mit einer prächtigen kleinfigürlichen Landschaftsfolge nach Zeichnungen oder Stichen
Francesco Zuccarellis. Die Signatur meldet P. Saunders, Soho, 17 58152). Hügeliges Gelände
wird malerisch durch Tempelruinen und orientalisierende Personenstaffage belebt; bemer-

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