Zentſchlands Kunſtſchaͤtze. 123
Freund Gabriel, vom Weine befangen, Alles außer der Luſt des Augenblickes vergeſſen. Er bemerkte
es kaum, daß Mieris ſchon ſeit einiger Zeit verſchwunden war.
„Franz eilte geradeswegs nach Dow's Wohnung. Er näherte ſich dem parkähnlichen Garten,
an welchen ſich das Haus anſchloß, und ſchlich durch die dunklen Gebüſche unter das hell erleuchtete
Fenſter in Brigitten's Wohnung. Hier klatſchte er zweimal heftig in die Hände.
Das Fenſter oben öffnete ſich und Dow ſah ſpähend in die Nacht hinaus, zog aber, da er
Niemand bemerkte, das Fenſter ruhig wieder zu und nahm an Brigitten's Seite Platz.
Die ſchöne Frau aber, bleich, faſſungslos, ſchien im Herzen bittere Oualen zu empfinden
Sie liebte den jungen Maler. Düſtere Bilder, die ihr den Jüngling blutend zeigten, ſterbend,
ſtiegen vor ihr anf . . . Sie hörte das Klatſchen und war feſt überzeugt, daß daſſelbe von van
Mieris ausging, welcher ihrer harrte. Sie bezwang ihre Angſt nur mit Mühe. Sie kämpfte
einige Minuten mit ſich; dann aber war's entſchieden: ſie mußte ihn beruhigen, ihn beſchwören, ſeine
finſteren Vorſätze aufzugeben; ſie mußte ſich verſichern, daß er, von ſeiner Leidenſchaft hingeriſſen,
nicht eine That beging, die er in ſeinem heftigen T 4 — nur zu leicht beſchließen und aus-
führen konnte.
Brigitta nahm einen — und verließ den argloſen Meiſter, um mit der Schnelligkeit
des gejagten Rehes hinunter in den Garten zu eilen.
Franz van Mieris empfing die Geängſtigte und ſchloß ſie, alle Schuchternheit bei Seite ſetzend,
inbrünſtig in ſeine Arme, von denen ſich Brigitta vergebens loszumachen ſtrebte. Mieris bat, er
flehte, er beſchwor ſie ſo hinreißend, daß Brigitta, ſtatt ihm ernſt entgegen zu treten und ihn mit
Würde zu ermahnen, ſeinen Bitten nur Thränen entgegenſtellen konnte. Eine Frau aber, die
weint, iſt im Begriff, allen Widerſtand aufzugeben. So war's auch hier.
Brigitten's Beſonnenheit umnebelte ſich. Sie ſchauderte ſchon nicht mehr zurück, als ſie an
der benachbarten Straßenecke das Stampfen der Roſſe vor der Kutſche hörte, welche beſtimmt
war, ſie ſammt dem Jünglinge von dannen zu führen. Sie erlag den verführeriſchen, be-
rauſchenden Liebkoſungen des Ungeſtümen und — jetzt machte ſie, zwar bebend wie eine Espe im
Abendwinde, aber dennoch entſchloſſen, an der Hand von Franz van Mieris die erſten Schritte,
um ſich aus dem Garten zu entfernen ... Die Flucht des verrätheriſchen Paares hatte begonnen.
An der Gartenpforte blieb Brigitta nur mit Mühe athmend ſtehen und warf einen verlorenen
Blick auf das Haus ihres Gatten ... Plötzlich zuckte ſie, wie tief im Herzen von einer gewaltigen
Macht berührt, zuſammen.
Der glückliche Gerard Dow 2 ſeine getreue Amati-Geige geholt, hatte das Fenſter geöffnet,
um die laue, köſtliche Nachtluft in's Zimmer ſtrömen zu laſſen; er trat jetzt an die Oeffnung und
legte mit zierlicher Hand zart den Bogen auf die Saiten Ein melancholiſches Präludium von
Paleſtrina ertönte; immer inniger, poetiſcher zitterten die ſilberklaren Töne durch die Luft; die
Cremoneſer-Geige fing, wie eine herrliche Frauenſtimme, wie die Stimme der Liebe, an zu ſingen;
ſie zwitſcherte, ſie ſeufzte und klagte in ihren Trillern, in ihren langgehaltenen, ſonoren Klängen,
indeß der Meiſter, in Begeiſterung lächelnd, das ſtrahlende Auge in die Nacht hinaus richtete.
Brigitta war faſt leblos. Sie hörte die Stimme des Jünglings nicht mehr; ihre ganze
Seele lauſchte dieſen Tönen, die ſie mit Zaubermacht faßten Sie riß ſich von Mieris' Armen
los, der, ſelbſt gerührt, unſchlüſſig daftand .
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Freund Gabriel, vom Weine befangen, Alles außer der Luſt des Augenblickes vergeſſen. Er bemerkte
es kaum, daß Mieris ſchon ſeit einiger Zeit verſchwunden war.
„Franz eilte geradeswegs nach Dow's Wohnung. Er näherte ſich dem parkähnlichen Garten,
an welchen ſich das Haus anſchloß, und ſchlich durch die dunklen Gebüſche unter das hell erleuchtete
Fenſter in Brigitten's Wohnung. Hier klatſchte er zweimal heftig in die Hände.
Das Fenſter oben öffnete ſich und Dow ſah ſpähend in die Nacht hinaus, zog aber, da er
Niemand bemerkte, das Fenſter ruhig wieder zu und nahm an Brigitten's Seite Platz.
Die ſchöne Frau aber, bleich, faſſungslos, ſchien im Herzen bittere Oualen zu empfinden
Sie liebte den jungen Maler. Düſtere Bilder, die ihr den Jüngling blutend zeigten, ſterbend,
ſtiegen vor ihr anf . . . Sie hörte das Klatſchen und war feſt überzeugt, daß daſſelbe von van
Mieris ausging, welcher ihrer harrte. Sie bezwang ihre Angſt nur mit Mühe. Sie kämpfte
einige Minuten mit ſich; dann aber war's entſchieden: ſie mußte ihn beruhigen, ihn beſchwören, ſeine
finſteren Vorſätze aufzugeben; ſie mußte ſich verſichern, daß er, von ſeiner Leidenſchaft hingeriſſen,
nicht eine That beging, die er in ſeinem heftigen T 4 — nur zu leicht beſchließen und aus-
führen konnte.
Brigitta nahm einen — und verließ den argloſen Meiſter, um mit der Schnelligkeit
des gejagten Rehes hinunter in den Garten zu eilen.
Franz van Mieris empfing die Geängſtigte und ſchloß ſie, alle Schuchternheit bei Seite ſetzend,
inbrünſtig in ſeine Arme, von denen ſich Brigitta vergebens loszumachen ſtrebte. Mieris bat, er
flehte, er beſchwor ſie ſo hinreißend, daß Brigitta, ſtatt ihm ernſt entgegen zu treten und ihn mit
Würde zu ermahnen, ſeinen Bitten nur Thränen entgegenſtellen konnte. Eine Frau aber, die
weint, iſt im Begriff, allen Widerſtand aufzugeben. So war's auch hier.
Brigitten's Beſonnenheit umnebelte ſich. Sie ſchauderte ſchon nicht mehr zurück, als ſie an
der benachbarten Straßenecke das Stampfen der Roſſe vor der Kutſche hörte, welche beſtimmt
war, ſie ſammt dem Jünglinge von dannen zu führen. Sie erlag den verführeriſchen, be-
rauſchenden Liebkoſungen des Ungeſtümen und — jetzt machte ſie, zwar bebend wie eine Espe im
Abendwinde, aber dennoch entſchloſſen, an der Hand von Franz van Mieris die erſten Schritte,
um ſich aus dem Garten zu entfernen ... Die Flucht des verrätheriſchen Paares hatte begonnen.
An der Gartenpforte blieb Brigitta nur mit Mühe athmend ſtehen und warf einen verlorenen
Blick auf das Haus ihres Gatten ... Plötzlich zuckte ſie, wie tief im Herzen von einer gewaltigen
Macht berührt, zuſammen.
Der glückliche Gerard Dow 2 ſeine getreue Amati-Geige geholt, hatte das Fenſter geöffnet,
um die laue, köſtliche Nachtluft in's Zimmer ſtrömen zu laſſen; er trat jetzt an die Oeffnung und
legte mit zierlicher Hand zart den Bogen auf die Saiten Ein melancholiſches Präludium von
Paleſtrina ertönte; immer inniger, poetiſcher zitterten die ſilberklaren Töne durch die Luft; die
Cremoneſer-Geige fing, wie eine herrliche Frauenſtimme, wie die Stimme der Liebe, an zu ſingen;
ſie zwitſcherte, ſie ſeufzte und klagte in ihren Trillern, in ihren langgehaltenen, ſonoren Klängen,
indeß der Meiſter, in Begeiſterung lächelnd, das ſtrahlende Auge in die Nacht hinaus richtete.
Brigitta war faſt leblos. Sie hörte die Stimme des Jünglings nicht mehr; ihre ganze
Seele lauſchte dieſen Tönen, die ſie mit Zaubermacht faßten Sie riß ſich von Mieris' Armen
los, der, ſelbſt gerührt, unſchlüſſig daftand .
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