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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Oth.]; Meyer, Bruno [Oth.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0058
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26 Deutschlands Kunstschätze.
Im Hintergrund standen zwei abenteuerliche, bärtige Gestalten, Fackeln und Schwerter tragend.
Jedenfalls war dies Bild eine Andeutung der Rückkehr der Proserpina aus dem Reiche des
mächtigen Aides in die Oberwelt, wobei der Herrscherin die Mutter Cybele als Fischerin dient.
Sehr eigenthümlich stimmte zu dieser Sceue der classischen Mythe die Umgebuug. Ein Chor
von Schäferinnen und Schäfern, höchst modisch gekleidet und nur durch Schäferstäbe und Flöten
ihre idyllische Würde beurkundend, umtanzte im zierlichsten Menuetschritt den Hof Seiner unter-
irdischen Majestät Man unterschied leicht die Figur Seiner Majestät des Königs Ludwig's XIV.,
die etwas an's Matronale streifende, steif aufgerichtete Herzogin von Guise und den wahrhaft
heldenmüthig sich bewegenden Grafen von St. Paul. Die zweite Dame im Vordergrund mit einer
verschwenderischen Lockenfülle ausgestattet, war von Meister Mignard mit großer Vorliebe behan-
delt und viel mehr ausgeführt, als die übrigen Gestalten. Der Begleiter Lully's faßte das Bild
genau in's Auge und verweilte dann mit sichtlichem Interesse bei jener Dame mit dem schwarzen
Lockenschmuck.
„Nun, Herr Oberintendant", fragte Mignard, „wie gefällt Euch der Entwurf?"
„Ach, es wird Musik dazu gemacht und wenn sie aus der Unterwelt herauf geholt werden
müßte", sagte Lully. „Der Rothe da singt wie ein grollender Ehemann, der Ursache hat, die
liebenswürdigen kleinen Schwärmereien seiner Dame in Schranken zu halten, die Frau Mutter
ruft die Jugend an und verbürgt sich Namens derselben für ihre Tochter und die Nymphen singen
Alles, was sie zum Preise der Liebe, die sich um nichts als um ihre eigenen Gesetze bekümmert,
nur irgend auftreiben können. Habe ich's getroffen, Signor Gherardesca?"
Der junge Mann in Schwarz lächelte flüchtig und nickte.
„Mein Herr Oberintendant", sagte Mignard, gegen den Fremden sich verbeugend, „wäret
Ihr nicht als Musiker berechtigt, ungewöhnlich zerstreut zu sein, so würde ich Euch einen Vorwurf
daraus machen, daß Ihr mir Euren Begleiter noch nicht vorgestellt habt .. ."
„Wahrhaftig, lieber Mignard!" ries Lully lebhaft aus. „Da seht den Beweis, daß ich Ench
im Herzen als mein anderes Ich ansehe. Es ist mir gar nicht eingefallen, daß Ihr einem meiner
Freunde fremd sein könntet ... Aber ich will gleich meinen Fehler, wenn's einer sein sollte, gut
machen ... Pierre Mignard, großer Römer, siehe hier einen Geweihten der Kunst, welcher stolz
sein würde, ein Römer zu sein, wäre er nicht gleich mir ein Sohn des hehren Florenz ... So
weit wäre ich glücklich gekommen — Pierre Mignard: Niccolo Gherardesca ... Jetzt aber entsteht
die Schwierigkeit ...".
„Der Herr ist ohne Zweifel Musiker", bemerkte Mignard. „Wäre ich noch jung, auch ich
würde deu Geigenbogen anstatt des Pinsels zur Hand nehmen . .. Aber über fünfzig Jahre alt
geworden, muß ich in der Region des stummen Sehens verharren; denn ich würde mich in der
süßen Dämmerung der Töne nicht mehr zurechtzufinden vermögen .. ."
„Mein Herr", sagte Gherardesca, „was Ihr da eben sagt, deutet darauf hin, daß Ihr ein
Dichter seid, und solltet Ihr nie zwei Verse gereimt haben . . ."
„Ich bin nichts weniger als ein Dichter", meinte der Maler kopfschüttelnd.
„Signor Gherardesca glaubt auch", rief Lully, „er sei kein Dichter, weil er, ganz im Gegen-
satz zu Euch, Verse macht, wo er geht und steht. In der That, Mignard, da Ihr unsere Sprache
als ein so seiner Meister beherrscht, so werdet Ihr einen seltenen Genuß Haben, Meister Gherar-
 
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