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Paul Graupe [Hrsg.]; Paul Graupe (Firma) [Hrsg.]; Kunsthandlung Doktor Otto Burchard (Berlin) [Mitarb.]
Auktion / Paul Graupe, Antiquariat (Nr. 75): Vom Manuskript zum Luxusdruck: eine kostbare Bibliothek mit Beiträgen aus anderem Besitz ; enthaltend Handschriften, Livres d'Heures, Stammbücher, Inkunabeln ; darunter die erste niederdeutsche Bibel, Köln 1478 ... ; [Versteigerung: 21. November 1927, 22. November 1927] — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.16812#0005
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I. MANUSKRIPTE

1 ANTIPHONAR UND GRADUALE. Lateinische Pergamenthandschrift des
15. Jahrhunderts französischen Ursprungs. 190 BU. Kl.-Folio. Beiderseitig
beschrieben in gotischer Schrift 9—10 zeilig mit Neumen in fünflinigem System
über jeder Textzeile. Mit 2 Miniaturbildern nebst Randleiste, 9 großen
Prachtinitialen, 4 kleineren in Gold und Farben und zahlr. Initialen mittlerer
Größe, reich verziert, meist in mehreren Farben. Kostbarer brauner blind-
gepreßter Ldrbd. aus dem Jahre 1515, Mittelfeld der Deckel gefüllt mit
Granatmuster, am Rand ornamentale Rankenbordüre, Eckbeschläge, fein gra-
vierte Schließen von durchbrochener Arbeit, auf der Unterseite eingraviert:
Anno dni 1515, bestoßen u. mit geringen Gebrauchsspuren.

Prachtvolle, umfangreiche Handschrift von sehr guter Er-
haltung, 2 kolorierte, etwas spätere Bilder sind an den Innenseiten der Deckel einge-
klebt, ein drittes, unkoloriertes auf Bl. 152 b, einige schadhafte Randstellen sind ab-

Eeschnitten. Maße des Codex 31 : 24 cm; Dicke 7 cm.
»ie großen, scharf geprägten und sehr regelmäßigen Neumen zeigen den Hufnageltypus auf
Fünfliniensystem mit c-Schlüssel und f-Schlüssel, letzterer durch Punkt bezeichnet, am Ende
jeder Reihe den hakenförmigen Custos, als Punkt mit schräg ansetzender Linie. Hier und
da sind rote Abteilungsstriche (nicht Taktstriche) zum Atemholen eingefügt, welche bis in
den Text hinunterreichen. Die manchmal (besonders von Bl. 161 an) recht ausgedehnten
jubili werden im Text durch rote Flechtbänder, Wellen- oder Zickzacklinien ausgefüllt,
welche oft mit Scheinbuchstaben untermischt, ein geschmackvolles Streben nach Abwechslung
bekunden und die Illusion einer Kursivschrift erwecken. —

Als rote Farbe ist im Text stets eine Art Lack verwendet, nicht so bei den Initialen. — Da
jede Seite nur 9—10 Textzeilen hat und jeder Satz mit einem großen, künstlerisch behandel-
ten Anfangsbuchstaben beginnt, so ist der markige, farbenkräftige Eindruck einer solchen
Schriftseite leicht zu ermessen — auch wo sich keine Prachtinitialen dazu gesellen.
Die Initialen sind teils lateinische, teils gotische, jede nach andern Stilgesetzen ent-
worfen und verziert, die gotischen schwarz mit schraffierten Ornamenten in Federzeichnung
mit etwas verdünnter Tinte, die andern farbig, rot, blau, rosa, violett, orange; jene eckig,
vielfach geknickt und gedreht, diese rundlich anschwellend, oft mit ausgesparten Ornamen-
ten im Gebälk und oft zackiger Profilierung. Wo die lateinischen Buchstaben von Orna-
ment umgeben oder von solchem erfüllt sind, geschieht dies in diskreter Weise, in zarten
Farben, lila, hellgelb, rosa, in feinen Linien mit Schraffierung. Als Elemente dienen in
beiden Sorten gewellte Blätter (Akanthus und Kohl ähnliche), gefältelte Bänder, Krausen,
fächerartige Stücke, wie von Pfauenfedern (bekanntes Motiv der Schreiberinitialen seit dem
XIII. und XIV. Jahrhundert); dabei sehen überall Gesichter und kleine komische Köpfe
zwischendurch aus den Schnörkeln heraus: ein Rest der alten dröleries. Einige Initialen,
Fol. 60, 69, 173, 177 sind ganz in Gold auf himmelblauem oder grünem Felde gemalt.
Die größten finden sich Fol. 4 (am Eingang), 17, 59, 66, 84, 122, 127, 162; vgl. a. 103
das U und die meisten langen J am Rande.

Von den Miniaturen stellt das eine Bild Fol. 59 eine Szene der Auferstehungs-
geschichte vor, den Engel, auf dem heiligen Grabe sitzend, Boden und Landschaft grün,
links die Frauen, von denen nur eine Gestalt voll koloriert ist. Sehr schön die große
Randbordüre an der Seite, welche oben schlanke, verschieden gefärbte Zweige mit Phantasie-
blättern (alles farbig mit Gold) zur Darstellung bringt. — Das andere Bild stellt den
Traum Jakobs dar, in Illustrierung der Textworte zur dedicatio ecclesiae. Am unteren Rande
ganz grün die weite bergige Landschaft, Jakob als Hirt, schlafend, dabei der gleichfalls
schlafende Hund. Am linken Rande die Himmelsleiter mit Gottvater zu oberst, an welcher
die Engel, entzückende Gestalten, auf- und niedersteigen. Dieses Bild gewährt, abgesehen
von der Frische und Natürlichkeit der Konzeption und dem künstlerischen Verdienst der
Ausführung, auch darum einen so voll befriedigenden Eindruck, weil die Figuren durchaus
ohne Kolorierung ganz in Federzeichnung durchgeführt sind.

Von den 3 eingeklebten Bildern stellt das eine, Fol. 152, welches von ferne wie ein frühes
Schrotblatt aussieht, St. Christopherus dar, das andere am vorderen Deckel, ein farbiger
Holzschnitt, eine Madonna, diese durch Meßpunkte eines Kopisten entstellt. Das am hinteren
Deckel innen eingeklebte, eine in Holzschnittmanier gemachte kolorierte Feder-
zeichnung, bietet eine sehr seltene Darstellung, deren Sinn ohne weiteres
nicht zu erraten wäre, wenn nicht ähnliche Holzschnitte aus dem XVI. Jahrhundert vor-
kämen. Gemeint sind Juden, welche nach der damals verbreiteten
Meinung die Hostie mit Messern stachen, um das entfließende
Blut zu den Osterkuchen zu verwenden, welchen letzteren man
in dem feurigen Ofen neben dem also gemarterten Christkind
erblickt ; über dem Dach Engel, darunter Vögel, symmetrisch verteilt.

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