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Grimm, Herman
Leben Michelangelo's (Band 1): bis zum Tode Rafaels — Hannover, 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.2892#0229
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Fiesole.

221

Wo liegt nun das, das über die Verehrung, die der Mann
einflößt, dennoch einen trüben Schatten wirft? Jch will ihn
mit einem anderen Mönche von San Marco vergleichen, der
lange vor ihm lebte, und der das Kloster nicht weniger be-
rühmt gemacht hat, als er. Die Wände seiner Gänge, seiner
Cavellen, niedriger, dunkler Zellen sogar, sind bedeckt von den
Malereien Fiesole's, eines von den Nachfolgern Giotto's,
dessen Werke, erfüllt von reizender Reinheit der Empfindung
und verklärt durch eine Art süßer, in sich selbst beschlossener
Begeisterung, zu den merkwürdigsten und ergreifendsten Denk-
malen einer Künstlerseele gehören.

Seine Arbeiten sind in der That beinahe nicht zu zählen.
Jn gleichmäßiger sanfter Schwärmerei scheint er ohne Auf-
hören seine Träume dargestellt zu haben. Die Gestalten tragen
etwas Aetherisches an sich. Er malt Mönche, die am Kreuze
niedersinkend, mit zitternder Jnbrunst seinen Stamm um-
armen, er malt Schaaren von Engeln, die aneinander ge-
drängt, die Luft durchschweben, als wären sie alle ein lang-
gestrecktes Gewölk, dessen Anblick uns mit Sehnsucht erfüllt.
Es waltet ein so unmittelbares Verhältniß zwischen dem,
was er darstellen wollte, und dem, was er zu malen ver-
mochte, und zugleich war das, was er wollte, stets so einfach
und verständlich, daß seine Bilder auf Jeden einen unmittel-
baren, unvergeßlichen Eindruck machen, ja manche Naturen
in dieselbe Begeisterung zu versetzen sähig sind, in der sie
selbst geschaffen zu sein scheinen.

Jm Jahre 1387 geboren, also ein Zeitgenosse Ghiberti's
und Brunnelleschi's, lezte Fiesole mit einundzwanzig Jahren
sein Gelübde ab; sechzigjährig starb er in Rom, wo fein Grab-
 
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