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Grimm, Herman
Leben Michelangelo's (Band 1): bis zum Tode Rafaels — Hannover, 1860

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https://doi.org/10.11588/diglit.2892#0374
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366 Leben Mjchelangelo's. Achtes Capitel.

Giulio war der letzte Papst im alten Sinne des guelfi-
schen, streitbaren Papstthums. Nach seinen Tagen verschwindet
überhaupt das Heldenmäßige aus der europäischen Geschichte.
Wo die Herrscher von nun an selbst in den Krieg ziehn nnd
die Schlachten leiten, spielt ihre persönliche Laune doch keine
Rolle mehr, das Schwert in den Händen adliger, schwer
bewaffneter Reiter unterliegt der entscheidenden Macht der
Artillerie, die Männer geben sich nicht mehr ganz und gar
den Ereignissen hin und die Furcht, im Kriege besiegt zu
werden, war die größte nicht mehr sür das Oberhaupt eines
Staates. Es herrschte in den folgenden Zeiten eine Furcht,
die größer war, als jede andere: die vor der Gewalt des
Geistes in den Köpfen der eigenen Unterthanen. Durch diese
Furcht wurden alle Fürsten, auch wenn sie gegeneinander im
Kriege lagen, zu stillen Verbündeten gemacht. Mit der ge-
meinsamen Unterdrückung des Geistes plagten sich die Könige
damals noch nicht, und die Verhältnisse waren reiner und
natürlicher.

Giulio wußte, daß es auf seine päpstliche Krone ab-
gesehn sei. Doch das kümmerte ihn wenig. Die Gefahr war
sein liebstes Element geworden. Sein hohes Alter entledigte
ihn der Sorgen für eine lange Zukunft. Es lag in der Luft zu
jenen Zeiten, die eigene Existenz auf's Spiel zu setzen. Leute
von einiger Mäßigung stehn als auffallende Erscheinnngen
da; Kraft, wenn auch mit Hinterlist und Grausamkeit ge-
paart, flößt Respect ein, Habsucht wird Niemandem verdacht,
Milde und Versöhnlichkeit aber verspottet. Macchiavelli, der
in jenen Tagen seiner praktischen Thätigkeit die Erfahrungen
sammelt, deren Resultat das Bild eines Fürsten ist, wie er sein
 
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