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Grimm, Herman
Albrecht Dürer — Berlin: Lüderitz, 1866

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https://doi.org/10.11588/diglit.48482#0029
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bis über die Hundert gehen. Nichts lehrreicher, als eine Ver-
gleichung solcher Werke. Nirgends zeigt sich die Seelentiese
eines Künstlers so bestimmt wie beim Portrait. Es bildet den
Gradmesser für ihr Genie, und dies deshalb um so sicherer, als
Portraits von bedeutenden Meistern immer mehr als Neben-
arbeit betrachtet werden, bei denen sie sich in gewisser Beziehung
gehen lassen. Portraitmaler von Beruf können hier nicht in
Frage kommen, da deren Werke sich der Mode anbequemen
und meistens überhaupt ohne geistigen Inhalt sind.
Von Holbein war die Rede eben. Dieser Mangel an Liebe,
der bei ihm (für mein Gefühl) im Gegensätze zur Höhe der
technischen Vollendung hervortritt, findet sich nicht bei ihm allein.
Außerordentliche Leistungen in diesem Fache von Vandvck leiden
an demselben Zwiespalt, manche von Rembrandt und Rubens
nicht minder. Ebenso tritt er zu Tage bei Sebastian del Piombo
und Andrea del Sarto, die in allem klebrigen zu den Ersten
zählen. Dagegen Raphael, Rubens doch wieder, und Titian
lassen ihre Bildnisse uns mit Äugen ansehen, die ins Herz
treffen, lind so auch Dürer. Ihre Portraits stellen, wie die
Gestalten Shakspeare's, Gattungen dar, indem sie doch nur
Individuen geben. Dürer's Jungfer Fürlegerin ist ein Typus
bescheiden bürgerlicher Jungfräulichkeit, sein Holzsebuher der eines
bürgerlichen deutschen Ehrenmannes. Aus diesem Bildnisse, das
heute noch in der Familie ist, lernen wir die Kraft, auf der
das deutsche Städtewesen damals noch beruhte, ebenso deutlich
als aus dem was schriftliche Urkunden darüber mittheilen. Das
find historische Portraits, die uns deutsches Bürgerthum offen-
baren, wie die Raphael's das Rom seiner Zeit, die Titian's
den letzten Glanz der venetianischen Hoheit, und die des Ru-
bens, Vandyck, Murillo und Valesquez die Menschen uns er-
blicken lassen, mit deren Hülfe die Habsburgische Dynastie
 
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