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Grimm, Herman
Albrecht Dürer — Berlin: Lüderitz, 1866

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https://doi.org/10.11588/diglit.48482#0041
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ins Netz zöge, wie eine Madonna Raphael's thut. Dürer war
zu kindlich dazu. Er war nicht bloß Maler, er war ein Nürn-
berger Maler, während Holbein etwas universales, vater-
landsloses hat, und sein Schaffen, wie das Lionardo's, mehr
vom Walten eines Zauberers, als von dem eines uns menschlich
nahestehenden Künstlers. Und dem gemäß sein Leben. Er ver-
schwindet in England in ungewissen Verhältnissen wie Lionardo
in Frankreich. Seine Anwesenheit in London läßt die Stadt
gerade so unbekannt und dustverhüllt vor uns liegen, als hätte
er nie in ihren Mauern gesessen. Dürer's Reisen nach Ve-
nedig und den Niederlanden dagegen wie Risse in den Nebel,
der für unsre Augen heute fast diese Stätten überdecken würde.
Menschliches warmes Gefühl bedürfen wir, um Zeiten und
Menschen zu begreifen. Setzen wir Holbein neben Dürer aber,
so ist es, als theilten sie einander ihre Schätze mit. Unwill-
kührlich supponiren wir bei jenem einen Theil des Reichthums
an innigem Gefühl, das bei diesem zu überquellend vorliegt.—
Ich kehre zu dem Satze zurück: Dürer's Ruhm, wie er
heute gefaßt wird, ist neueren Datums.
Was Dürer seiner Zeit und seinen Freunden war, wäre
vergänglich gewesen. Viele, von denen wir nichts mehr wissen,
find ebenso herzlich, herzlicher vielleicht noch vermißt und be-
trauert worden als Dürer bei seinem Abscheiden. Heute erst ist
erkannt worden, daß Dürer, seine Werke und seine Zeit, ver-
einigt ein Kunstwerk bilden, unzertrennbar dastehend und mit
dem Einen Namen „Dürer" genannt, eine Epoche bedeutend.
Deutschlands große Männer sind niemals groß gewesen
durch das allein, was sie leisteten im engeren Sinne. Raphael
war ein Maler, Corneille ein Dichter, Shakspeare ein Dichter:
Goethe und Dürer waren Menschen. Wer wollte jenen diesen
Namen versagen? Wer aber wollte diesen beiden ihn nicht in
 
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