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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Hrsg.]
Fragmente (Band 1,2) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47242#0131
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Uns überrascht die Macht des Baumeisters, gleichmäßig die
weitesten und die engsten Räume zu beherrschen und einheitlich
zu decoriren, schimmernde gewichtlose Pracht mit Bequemlich-
keit zu verbinden, und so ein gewisses Etwas herznstellen, das
in seiner Grazie unnachahmbar ist, das in Worten auszudrücken
schwer fällt. Es handelt sich um eine Verbindung des Nied-
lichen mit dem Großartigen, des Beweglichen mit dem Festen,
ja Starren, um einen uns angenehm berührenden Schein
bloßer Spielerei, liebenswürdiger Oberflächlichkeit, um ein
Ueberspinnen aller Ecken und Flächen mit unbeweglichem, leicht
zerbrechlichen, unorganischen und doch in hohem Grade lebendig
wirkenden Schnörkelwerk. Diese einander widersprechenden
Elemente sind der Ausdruck des gesellschaftlichen Daseins der
Epoche, deren geistiges Hauptmerkmal scheinbare Opulenz der
herrschenden Klassen, Zufriedenheit mit dem Bestehenden und
Vertrauen aus das Zukünftige war. Watteau und Tiepolo
sind für Frankreich und Venedig gleich glänzende Vertreter
der Rokokozeit. Tiepolo zumal hat das Absurde nut dem
Großartigeu zu vereinigen gewußt, daß es unsere Bewunde-
rung herausfordert.
Denen, die am Rokoko heute ihre Freude haben, reprä-
sentiren seine anmuthigen Formen einen Theil der behaglichen
Lebensstille, die uns heute fehlt. Das Rokoko erscheint als
das Zeichen der guten alten Zeit. Es repräsentirt das heitere
Fortexistiren, den intimeren Zusammenhang der Familie.
Rock und Haus und Hausrath schlossen sich wie glänzende
Schneckenhäuser enger an die an, die in ihnen steckten. Das
gepuderte Haupt des Mannes forderte Behutsamkeit im Gang
und war ein Symbol gemesseneren Auftretens.
Das Berliner und Potsdamer Rokoko hat weder zu seiner
 
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