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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Hrsg.]
Fragmente (Band 1,2) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47242#0130

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Bevölkerung gemeinsam gleichen Zielen zuarbeitenden Volks-
seele, wäre nicht begriffen worden. Diese scheinbare Erstarrung
fand ihren Ausdruck in den äußeren Lebensformen. Es war
die Zeit der Perrttcken, der Zöpfe, der Zeremonien. Der Fluß
der Sprachen schien wie zugefroren, die blühende Natur in
Formen gepreßt, das menschliche Gefühl in Formeln gedrängt
zu sein.
Rokoko. Es gibt verschiedene Herleitungen des Wortes.
Als Begriff gefaßt ist die eigentliche Bedeutung des Rokoko,
sind die Anfänge und das Aufhören des Rokoko nicht ganz
klar. Jeder aber, der Rokoko ausspricht, glaubt zu wissen,
was es anzeige. Es handelt sich um etwas durchaus Aeußer-
liches, zugleich aber um etwas Anziehendes, Liebenswürdiges,
Schätzbares, Unschätzbares.
Einen Theil dieser Aeußerlichkeit haben wir heute noch
wohlerhalten vor Augen. Sich wiederspiegelnd in Bauten,
Gemälden, Bildhauer- und Goldschmiede-Arbeiten, tritt das
Rokoko am eigenthümlichsten in der Erfindung seiner Zeit,
dem Porzellan, hervor. Es gibt so viel Sorten Rokoko, als
wir europäische Hauptstädte im vorigen Jahrhundert gehabt
haben, und der Kenner unterscheidet die einzelnen Stücke ihrer
Provenienz nach mit Leichtigkeit. Sachsen, Frankreich und
Italien haben die Rokoko benannte Mode am ausgiebigsten
ausgebildet. Das Rokoko ist der letzte Ausfluß der in breitem,
edlen Strome einfetzenden Renaissance. Die welterfrischenden
Gedanken aber, die wir mit der Renaissance in Verbindung
bringen, haben mit dem Rokoko nichts mehr zu thun. Uns
imponirt im Rokoko die glänzende Geschicklichkeit des Künst-
lers und des Kunsthandwerkes, die in scheinbar sich stets
wiederholendem, kleinlichen Formenwerk immer Neues bieten.
 
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