Michelangelo und Tizian
meine Hand verliehen wurde, ich, dennoch sehr wenig und sozusagen nichts, begrüße euch. Wagen
würde ich es nicht, hätte nicht durch die Achtung, die sein Klang einem jeden Fürsten einßößt, mein
Name nicht schon soviel von seiner Unwürdigkeit verloren. Und doch, euch gegenüber bleibt mir
nichts als die Ehrfurcht! Könige gibt es genug in der Welt, aber nur einen Michelangelo! Welch
ein Wunder, daß die Natur, die nichts so erhaben schaffen kann, daß ihr es nicht erreichtet, ihren
eigenen Werken den Stempel hoher Majestät nicht aufzuprägen vermag, den die ungeheure Macht
eures Griffels in sich trägt! Phidias, Apelles und Vitruvius stehen im Schatten neben euch — und
so fährt er fort durch lange Sätze hindurch, bis endlich die Rede aufs Jüngste Gericht kommt
und mit einem Überflüsse allegorisch poetischer Vorstellungen, die halb Bilder halb G Banken
sind, dargelegt wird, wie er selbst sicli dies große Ereignis als Gemälde denke. Zum ScHuß die
Versicherung, daß er zwar einen Schwur getan, nie wieder nach Rom zu kommen, Michel-
angelos Werk aber werde ihn sich selbst treulos machen. Übrigens möge dieser sich von seiner
brennenden Sehnsucht überzeugt halten, der Welt sein Lob zu verkünden. — Im ganzen und
einzelnen gehört dies Schreiben zu den unverschämtesten Schriftstücken, die mir jemals vor-
gekommen sind. Wie groß die Macht Aretins aber gewesen sein muß, geht aus der Art hervor,
wie es beantwortet wurde.
Nichts war Michelangelo unerträglicher als Anmaßung. Wo er sie fand, regte sie ihn zu Michelangelo
rücksichtslosem Widerspruche an. Er sagte den Leuten ins Gesicht, sie verständen nichts von A'e"""
den Dingen. Hätte er in Aretin einen weniger Mächtigen vor sich gehabt, der ihm vorschreiben
wollte, wie das Jüngste Gericht zu malen sei, er würde entweder voll Verachtung geschwiegen
oder ihn mit wenigen Worten so zurückgewiesen haben, daß er niemals wieder guten Rat
von dieser Seite zu besorgen gehabt hätte. Aretin aber war mächtig in der Tat. Und so bedient
sich Michelangelo in seiner Antwort des Mittels, das ihm ebenso geläufig war: der feinen
Persiflage, die von seinen Gegnern nicht weniger gefürchtet zu werden pflegte als seine un-
umwundene Offenheit.
Hochgeehrtester Herr und Bruder, schreibt er, euer Brief hat mich zu gleicher Zeit mit Betrübnis
und mit Freude erfüllt. Erfreut hat er mich, weil er von euch kommt, der ihr einzig in eurer Art
seid, betrübt, weil bereits ein so großer Teil meines Gemäldes fertig ist, daß ich eure Gedanken
nicht mehr dabei benutzen kann. Denn hättet ihr das Jüngste Gericht in Person mitangesehen, ihr
würdet es nicht besser haben beschreiben können, als in eurem Briefe geschehen ist.
Was euer Anerbieten betrifft, über mich zu schreiben, so macht es mir nicht nur Vergnügen,
sondern, da Kaiser und Könige es für die höchste Gnade erachten, wenn eure Feder sie nennt,
bitte ich darum. Sollte euch in bezug darauf irgend etwas, was in meinem Besitze ist, erwünscht
und angenehm sein, so offeriere ich es mit der größten Bereitwilligkeit. Und zum Schluß, was euren
Vorsatz anlangt, nicht wieder nach Rom kommen zu wollen, so werdet demselben ja nicht deshalb
etwa untreu, weil ihr meine Malerei sehen wolltet. Das wäre wirklich zuviel. Ich empfehle mich euch.
Diesen Brief muß Michelangelo länger als ein Vierteljahr nach dem Empfang von Aretins
Zuschrift haben abgehen lassen, denn erst am 20. Januar 38 antwortet dieser darauf. Statt
zu begreifen, wie ihm gleichsam die Rechnung abverlangt worden war für die Reklame, zu
der er sich erboten hatte, nimmt er Michelangelo beim Wort und bittet um ein Stück Hand-
zeichnung, wie er es ins Feuer zu werfen pflege, seine gewöhnliche Art Künstler anzuzapfen.
Darauf keine Antwort, und Michelangelo hat auf fünf Jahre Ruhe vor dem Manne, der Ruhm
und Schande austeilt. Erst 1544 kommt Aretin wieder. Er meldet, der Kaiser habe ihn zu
seiner Rechten reiten lassen, stupendi onori habe er ihm erwiesen. Cellini habe ihm geschrieben,
daß Michelangelo seine Grüße wohl aufgenommen. Dies sei ihm mehr wert als alles. Er ver-
meine Hand verliehen wurde, ich, dennoch sehr wenig und sozusagen nichts, begrüße euch. Wagen
würde ich es nicht, hätte nicht durch die Achtung, die sein Klang einem jeden Fürsten einßößt, mein
Name nicht schon soviel von seiner Unwürdigkeit verloren. Und doch, euch gegenüber bleibt mir
nichts als die Ehrfurcht! Könige gibt es genug in der Welt, aber nur einen Michelangelo! Welch
ein Wunder, daß die Natur, die nichts so erhaben schaffen kann, daß ihr es nicht erreichtet, ihren
eigenen Werken den Stempel hoher Majestät nicht aufzuprägen vermag, den die ungeheure Macht
eures Griffels in sich trägt! Phidias, Apelles und Vitruvius stehen im Schatten neben euch — und
so fährt er fort durch lange Sätze hindurch, bis endlich die Rede aufs Jüngste Gericht kommt
und mit einem Überflüsse allegorisch poetischer Vorstellungen, die halb Bilder halb G Banken
sind, dargelegt wird, wie er selbst sicli dies große Ereignis als Gemälde denke. Zum ScHuß die
Versicherung, daß er zwar einen Schwur getan, nie wieder nach Rom zu kommen, Michel-
angelos Werk aber werde ihn sich selbst treulos machen. Übrigens möge dieser sich von seiner
brennenden Sehnsucht überzeugt halten, der Welt sein Lob zu verkünden. — Im ganzen und
einzelnen gehört dies Schreiben zu den unverschämtesten Schriftstücken, die mir jemals vor-
gekommen sind. Wie groß die Macht Aretins aber gewesen sein muß, geht aus der Art hervor,
wie es beantwortet wurde.
Nichts war Michelangelo unerträglicher als Anmaßung. Wo er sie fand, regte sie ihn zu Michelangelo
rücksichtslosem Widerspruche an. Er sagte den Leuten ins Gesicht, sie verständen nichts von A'e"""
den Dingen. Hätte er in Aretin einen weniger Mächtigen vor sich gehabt, der ihm vorschreiben
wollte, wie das Jüngste Gericht zu malen sei, er würde entweder voll Verachtung geschwiegen
oder ihn mit wenigen Worten so zurückgewiesen haben, daß er niemals wieder guten Rat
von dieser Seite zu besorgen gehabt hätte. Aretin aber war mächtig in der Tat. Und so bedient
sich Michelangelo in seiner Antwort des Mittels, das ihm ebenso geläufig war: der feinen
Persiflage, die von seinen Gegnern nicht weniger gefürchtet zu werden pflegte als seine un-
umwundene Offenheit.
Hochgeehrtester Herr und Bruder, schreibt er, euer Brief hat mich zu gleicher Zeit mit Betrübnis
und mit Freude erfüllt. Erfreut hat er mich, weil er von euch kommt, der ihr einzig in eurer Art
seid, betrübt, weil bereits ein so großer Teil meines Gemäldes fertig ist, daß ich eure Gedanken
nicht mehr dabei benutzen kann. Denn hättet ihr das Jüngste Gericht in Person mitangesehen, ihr
würdet es nicht besser haben beschreiben können, als in eurem Briefe geschehen ist.
Was euer Anerbieten betrifft, über mich zu schreiben, so macht es mir nicht nur Vergnügen,
sondern, da Kaiser und Könige es für die höchste Gnade erachten, wenn eure Feder sie nennt,
bitte ich darum. Sollte euch in bezug darauf irgend etwas, was in meinem Besitze ist, erwünscht
und angenehm sein, so offeriere ich es mit der größten Bereitwilligkeit. Und zum Schluß, was euren
Vorsatz anlangt, nicht wieder nach Rom kommen zu wollen, so werdet demselben ja nicht deshalb
etwa untreu, weil ihr meine Malerei sehen wolltet. Das wäre wirklich zuviel. Ich empfehle mich euch.
Diesen Brief muß Michelangelo länger als ein Vierteljahr nach dem Empfang von Aretins
Zuschrift haben abgehen lassen, denn erst am 20. Januar 38 antwortet dieser darauf. Statt
zu begreifen, wie ihm gleichsam die Rechnung abverlangt worden war für die Reklame, zu
der er sich erboten hatte, nimmt er Michelangelo beim Wort und bittet um ein Stück Hand-
zeichnung, wie er es ins Feuer zu werfen pflege, seine gewöhnliche Art Künstler anzuzapfen.
Darauf keine Antwort, und Michelangelo hat auf fünf Jahre Ruhe vor dem Manne, der Ruhm
und Schande austeilt. Erst 1544 kommt Aretin wieder. Er meldet, der Kaiser habe ihn zu
seiner Rechten reiten lassen, stupendi onori habe er ihm erwiesen. Cellini habe ihm geschrieben,
daß Michelangelo seine Grüße wohl aufgenommen. Dies sei ihm mehr wert als alles. Er ver-