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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0214
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Michelangelos letzte Werke

Aretins
Schreiben an
Michelangelo

gegen ihn aufkommen, ungestraft schickte er seine Pfeile nach allen Seiten aus und traf den
Nagel auf den Kopf, wo er treffen wollte. Aretin selbst nannte sich die Geißel der Fürsten
und war stolz auf diesen Beinamen. Wenn die hohen Herren nicht zahlten, drohte er. Wenn
auch dann die Gelder ausblieben, schlug er zu. Wehe dem, über den es dann herging. Gewöhnlich
besänftigte man ihn beizeiten. Von manchem Fürsten empfing er regelmäßige Pensionen.
Natürlich, daß auch die Künstler Aretins Oberherrschaft anheimfielen. Er empfahl die,
welche seine Freunde waren. Aber er forderte Erkenntlichkeit. Er war ein Künstler in seinem
Fache. So wertlos und matt uns heute das meiste erscheint, was er geschrieben hat, so scharf
einschneidend wirkte es in der Zeit, für die es berechnet war.
Aretin und Aretin also, dem es zum Bedürfnis wurde, mit allem in Verbindung zu stehen, was an her-
M^Aangelo vorragenden Männern in der Welt existierte, machte sich endlich auch an Michelangelo.
Es scheint nicht, daß er aus den früheren römischen Zeiten mit ihm bekannt war. Raffael
freilich, rühmt er sich selber, hatte nicht verschmäht, auf seinen Rat zu hören: am Hofe
Leo X. war er mit ihm zusammengetroffen, und Sebastian del Piombo gehörte zu seinen
genauesten Freunden. 1527 mußte ihn dieser im Namen des Papstes ersuchen, dem Kaiser doch
den traurigen Zustand Roms zu Gemüte zu führen, und es wurden Aretin damals schon die
Anfänge der Versprechungen gemacht, auf die hin er später Kardinal zu werden hoffte. Michel-
angelo dagegen finde ich nicht eher von ihm erwähnt als im Jahre 35. Vasari, wahrscheinlich
um Abwechslung in die Zeichen der Hochachtung zu bringen, mit denen auch der Herzog
Alessandro den mächtigen Schriftsteller sich geneigt erhielt, sandte ihm dama's zwei Zeich-
nungen und einen modellierten Kopf von Michelangelos Arbeit, und Aretin dankt dafür in
Ausdrücken, als wären die größten Kunstwerke der Welt in Venedig angelangt. Was das
für ein Kopf war und was aus den beiden Blättern, das eine eine heilige Caterina, die Michel-
angelo noch als Knabe gezeichnet hätte, das andere ein Ohr, geworden ist, habe ich nicht er-
gründen können. Aretin schreibt darüber, als sei die ganze Stadt in staunende Bewunderung
ausgebrochen.
Mag dies nun Übertreibung sein, so zeigt es doch, wie hoch Michelangelo in Venedig gestellt
wurde. Aretin wußte, worauf es ankam. Er denkt nicht daran, Tizian oder Sansovino mit
Michelangelo nur zu vergleichen. Er verstand den Unterschied zwischen Farbe und Zeichnung.
Schöne Farben ohne Zeichnung, heißt es in einem seiner Briefe vom Jahre 37, mit denen allerlei
buntes Zeug ohne richtige Umrisse zustande gebracht wird, welche Ehre erwerben die? Der wahre
Ruhm der Farbe liegt in den Pinselstrichen, wie sie Michelangelo zu führen weiß, der Natur und
Kunst so völlig inne hat, daß sie selbst nicht wissen, ob sie von ihm oder er von ihnen zu lernen
habe. Ein guter Maler muß mehr verstehen als einen Sammetpelz oder eine Gürtelschnalle gut zu
malen. Man sieht, wie damals schon der Kampf in Blüte stand, der seitdem ununterbrochen
zwischen den Künstlern fortgeführt worden ist. Aretin wußte, auf welche Seite er sich zu
stellen hatte, und in demselben Jahre, in dem er so über Michelangelo urteilte und seine un-
bedingte Anhängerschaft an ihn der Welt zu erkennen gab (denn das versteht sich von selbst,
daß ein solcher Brief die gehörige Verbreitung fand), wendet er sich endlich an den großen
Meister selbst.
Zuerst seine unendliche Verehrung für ihn. Die Auseinandersetzung darauf, welches sein
Hauptverdienst sei: die Fähigkeit, durch den Umriß allein so Ungeheures auszudrücken. Dann
erst, nachdem dies als Einleitung in breiten Worten dargelegt worden ist, die Hauptsache
mit folgender Wendung: und somit ich, der ich durch Lob und Tadel so viel vermag, daß fast
alles, was an Anerkennung sowohl als an Geringschätzung anderen zuteil geworden ist, durch

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