Michelangelos letzte Werke
ehre ihn. Er habe geweint, als er sein Jüngstes Gericht gesehen, und danke Gott, zu seiner Zeit
geboren zu sein. Tizian verehre Michelangelo und halte glühende Reden zum Lobe seiner
übermenschlichen Kunst. Tizian habe Michelangelo mit der gebührenden Ehrfurcht selbst
geschrieben, der er ihrer beider Ideal sei.
Neue Versuche Keine Antwort darauf. Zwei Monate später ersucht Aretin einen seiner römischen Freunde,
an die versprochene Handzeichnung zu erinnern. Die Bitte kam zur ungünstigsten Zeit. Michel-
angelo lag damals fieberkrank im Hause Riccios.
Wieder läßt Aretin ein Jahr vergehen. Benvenuto Cellini ist diesmal der Kanal, durch den
er die wiederholte Bitte um Erfüllung des alten Versprechens an Michelangelo gelangen läßt.
Endlich erfolgt nun eine Sendung. Aber was? Es wird nicht ausdrücklich gesagt, was Aretin
empfing, indessen d'e Zeichnung muß derart gewesen sein, daß er berechtigt war, am Schlüsse
seines von süßen Schmeicheleien triefenden Dankschreibens zu verstehen zu geben, wie er
Michelangelos Versprechen durch ein solches Geschenk nicht als erfüllt betrachten könne.
Darauf wieder keine Antwort. Jetzt endlich reißt dem Venezianer die Geduld. Wahrscheinlich
hatte er einige alte Lappen von Zeichnungen empfangen, die mehr ein Spott als ein Geschenk
waren. Er schreibt an Cellini einen drohenden Brief. Buonarroti solle sich schämen; er ver-
lange Antwort, ob er etwas erhalten werde oder nicht; er bestehe auf einer Erklärung, oder
seine Liebe werde sich in Haß verwandeln.
Dies im April 1545. Wieder erfolgte nichts. Im Herbste des Jahres aber kam Tizian nach
Rom, und durch diesen, scheint es, wurde die Sache zum Bruche gebracht. Tizian erschien
auf die Einladung Paul III., um dessen Porträt zu malen.Wohnung und Atelier wurden ihm im
Vatikan angewiesen. Von Aretin brachte er verschiedene Empfehlungsbriefe mit, und sie
schrieben einander während der Zeit der Trennung.
Im ersten Briefe Aretins ist nur von Kunst die Rede. Sehnsüchtig erwartete er ihn zurück,
um über die Antiken von ihm zu hören: worin Buonarroti sie übertreffe, worin sie ihn, und
ob Raffael Michelangelo in der Malerei erreiche oder überbiete. Welcher Genuß, über den
Bau der Peterskirche mit ihm zu reden, den Aretin, noch von seinen eigenen römischen Zeiten
her, den Bau des Bramante nennt. Dann wird nach Perin del Vaga gefragt und nach Sebastian
del Piombo, ersterer damals der bedeutendste Meister in Rom, da Sebastian, seitdem er eine
fette Stelle erhalten hatte, nichts mehr tat. Del Vaga malte nach Michelangelos Zeichnungen
in der Sixtina die Ornamente, die unter dem Jüngsten Gericht die Wand bis zum Boden aus-
füllen, und in der Paolina die Decke. Hier jedoch war Michelangelo damals selbst noch in
voller Tätigkeit. Am Schluß des Briefes die Mahnung, sich nicht zu tief in die Betrachtung
des Jüngsten Gerichts zu verlieren, damit er und Sansovino nicht den ganzen Winter vergebens
auf ihn zu warten hätten.
Tizians Be- Tizian und Michelangelo begegneten sich. Michelangelo lernte den Venezianer nicht in seinen
gegnung mit günstigsten Werken kennen. Das Bild des Papstes konnte bei der schreckhaften Häßlichkeit
Michelangelo °1
Farneses, dessen kleines, aus uralten Zügen zusammengezwicktes Greisenantlitz wie das eines
bösen Geistes aussieht, nichts zeigen als Tizians Geschicklichkeit; was er übrigens in Rom
damals gemalt hat, gehört, wie Vasari erwähnt, nicht zu seinen besten Arbeiten. Michelangelo
sprach offen aus, Tizian würde es weit gebracht haben, wenn er zeichnen gelernt und bessere
Modelle im Atelier gehabt hätte. In Venedig sei Mangel daran. Seine Farben aber gefielen
ihm ausnehmend, und die Auffassung sei so lebendig und wahrhaft, daß, wenn Tizian zu
zeichnen verstände, wie er zu malen wisse, er Unübertreffliches leisten würde. So äußerte sicli
Michelangelo gegen Vasari, der damals in Rom war und den Fremdenführer bei Tizian ab-
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ehre ihn. Er habe geweint, als er sein Jüngstes Gericht gesehen, und danke Gott, zu seiner Zeit
geboren zu sein. Tizian verehre Michelangelo und halte glühende Reden zum Lobe seiner
übermenschlichen Kunst. Tizian habe Michelangelo mit der gebührenden Ehrfurcht selbst
geschrieben, der er ihrer beider Ideal sei.
Neue Versuche Keine Antwort darauf. Zwei Monate später ersucht Aretin einen seiner römischen Freunde,
an die versprochene Handzeichnung zu erinnern. Die Bitte kam zur ungünstigsten Zeit. Michel-
angelo lag damals fieberkrank im Hause Riccios.
Wieder läßt Aretin ein Jahr vergehen. Benvenuto Cellini ist diesmal der Kanal, durch den
er die wiederholte Bitte um Erfüllung des alten Versprechens an Michelangelo gelangen läßt.
Endlich erfolgt nun eine Sendung. Aber was? Es wird nicht ausdrücklich gesagt, was Aretin
empfing, indessen d'e Zeichnung muß derart gewesen sein, daß er berechtigt war, am Schlüsse
seines von süßen Schmeicheleien triefenden Dankschreibens zu verstehen zu geben, wie er
Michelangelos Versprechen durch ein solches Geschenk nicht als erfüllt betrachten könne.
Darauf wieder keine Antwort. Jetzt endlich reißt dem Venezianer die Geduld. Wahrscheinlich
hatte er einige alte Lappen von Zeichnungen empfangen, die mehr ein Spott als ein Geschenk
waren. Er schreibt an Cellini einen drohenden Brief. Buonarroti solle sich schämen; er ver-
lange Antwort, ob er etwas erhalten werde oder nicht; er bestehe auf einer Erklärung, oder
seine Liebe werde sich in Haß verwandeln.
Dies im April 1545. Wieder erfolgte nichts. Im Herbste des Jahres aber kam Tizian nach
Rom, und durch diesen, scheint es, wurde die Sache zum Bruche gebracht. Tizian erschien
auf die Einladung Paul III., um dessen Porträt zu malen.Wohnung und Atelier wurden ihm im
Vatikan angewiesen. Von Aretin brachte er verschiedene Empfehlungsbriefe mit, und sie
schrieben einander während der Zeit der Trennung.
Im ersten Briefe Aretins ist nur von Kunst die Rede. Sehnsüchtig erwartete er ihn zurück,
um über die Antiken von ihm zu hören: worin Buonarroti sie übertreffe, worin sie ihn, und
ob Raffael Michelangelo in der Malerei erreiche oder überbiete. Welcher Genuß, über den
Bau der Peterskirche mit ihm zu reden, den Aretin, noch von seinen eigenen römischen Zeiten
her, den Bau des Bramante nennt. Dann wird nach Perin del Vaga gefragt und nach Sebastian
del Piombo, ersterer damals der bedeutendste Meister in Rom, da Sebastian, seitdem er eine
fette Stelle erhalten hatte, nichts mehr tat. Del Vaga malte nach Michelangelos Zeichnungen
in der Sixtina die Ornamente, die unter dem Jüngsten Gericht die Wand bis zum Boden aus-
füllen, und in der Paolina die Decke. Hier jedoch war Michelangelo damals selbst noch in
voller Tätigkeit. Am Schluß des Briefes die Mahnung, sich nicht zu tief in die Betrachtung
des Jüngsten Gerichts zu verlieren, damit er und Sansovino nicht den ganzen Winter vergebens
auf ihn zu warten hätten.
Tizians Be- Tizian und Michelangelo begegneten sich. Michelangelo lernte den Venezianer nicht in seinen
gegnung mit günstigsten Werken kennen. Das Bild des Papstes konnte bei der schreckhaften Häßlichkeit
Michelangelo °1
Farneses, dessen kleines, aus uralten Zügen zusammengezwicktes Greisenantlitz wie das eines
bösen Geistes aussieht, nichts zeigen als Tizians Geschicklichkeit; was er übrigens in Rom
damals gemalt hat, gehört, wie Vasari erwähnt, nicht zu seinen besten Arbeiten. Michelangelo
sprach offen aus, Tizian würde es weit gebracht haben, wenn er zeichnen gelernt und bessere
Modelle im Atelier gehabt hätte. In Venedig sei Mangel daran. Seine Farben aber gefielen
ihm ausnehmend, und die Auffassung sei so lebendig und wahrhaft, daß, wenn Tizian zu
zeichnen verstände, wie er zu malen wisse, er Unübertreffliches leisten würde. So äußerte sicli
Michelangelo gegen Vasari, der damals in Rom war und den Fremdenführer bei Tizian ab-
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