Historiscber Überblick
Vorformen der Bildrabmung
Die Formen des Rahmendekors der späteren
abendländischen Kunst sind weitgehend vorge-
geben durch die Dekorformen der griechisch-rö-
mischen Antike. In großer Vielfalt finden sich die
variationsreichen Ornamente an Portalumrah-
mungen und Tiirfüllungen, Fensterlaibungen
und Kapitellen. In der spätantiken und frühmit-
telalterlichen Kunst mischen sich keltische, ger-
manische und orientalische Elemente mit den
Mustern des klassischen Dekors der antiken
Bauten. Die Bauornamentik der Kirchen und die
Rahmungen der erhaltenen Groß- und Kleinpla-
stik geben Aufschluß iiber die Aneigung und Um-
deutung dieser Traditionen.
Ob es nun schon in der Antike oder im Frühmit-
telalter »Rahmen« in unserem Sinne gegeben
hat, ist nicht zu beantworten. Bilder als mobile
Ausstattungen beliebiger Privaträume gab es
wohl kaum. Aber es gab — darauf weisen die
Fragmente der spätantiken Wandmalerei — in
repräsentativen Profanräumen bereits illusioni-
stische Bildfelder, die von Ornamentbändern
und gemalten Ornamentfriesen umsäumt waren.
Es ist verführerisch, von solchen Feldern der
Wanddekoration und auch von den frühmittelal-
terlichen Miniaturen in ihrer gemalten Umrah-
mung auf gleichzeitige Tafelbilder und vollpla-
stische Rahmen zu schließen. Besonders nahe
wird ein solcher Schluß gelegt durch den forcier-
ten dreidimensionalen Illusionismus einer früh-
mittelalterlichen Darstellung (Abb. 5), bei der
die Fußbank des dargestellten Evangelisten iiber
die wie modelliert ausgefiihrte Rahmenzone hin-
auszuragen scheint. Werner Ehlich fiihrt diesen
»Hohlkehlenrahmen mit Akanthusornament,
versilbert und vergoldet« denn auch als Beleg
antiker Rahmung an. Derselbe Autor hat auch
die anderen Argumente zusammengestellt, die
für frei auf Bronzeständern aufgestellte und an
Wänden befestigte Bilder sprechen. Tragbare
Kaiserbilder auf Holz- oder Steintafeln, Ahnen-
bilder und gemalte Porträts bedeutender Perso-
nen und ihrer Familien, Schlachtendarstellungen
und Götterbilder sind aus literarischen Quellen
verbürgt. Ihre Aufstellung und Aufhängung an
öffentlichen Plätzen (Thermen, Versammlungs-
hallen, Tempeln) ist ebenso überliefert. Doch der
Charakter dieser — teilweise noch geweihten —
Bildwerke ist schwer zu rekonstruieren. Daß die
entsprechenden Rahmen für den heutigen Be-
trachter ungewohnte Verbindungen von Befesti-
gungszwecken und schmückender Umsäumung
geboten haben, bezeugen Ehlichs Rekonstruk-
tionen der Klapptafelbilder ebenso wie die Wie-
dergaben der Stuckumrahmungen um die Mu-
mienbildnisse (Abb. 2).
Antike wie frühmittelalterliche Reliefs und Mi-
niaturen lehren uns, daß es immer schon zwei
Grundtypen der Bilddarstellung gegeben hat, die
für die Rahmenform prägend wurden. Neben-
einander existierten das stehende Bild, dessen
Rahmen der Baldachin einer räumlichen Figur
ist, und das liegende Bild, als eine Welt in sich,
deren Umrahmung gleichmäßig von innen nach
außen geordnet ist (Abb.6, 7). Noch bis zum
Jugendstil des 20. Jahrhunderts setzte sich dieser
Gegensatz in unterschiedlicher Verbindung in
den gewählten Rahmentypen fort.
Schwer ist es, die Sinngehalte der jeweiligen ar-
chitektonischen und pflanzlichen Elemente zu
bestimmen, die in der Rahmenzone Verwendung
finden. Das Detail einer Buchdeckelumrahmung
(des Codex Aureus von St. Emmeram, Abb. 8)
soll hier als Beleg dienen, daß Akanthusblätter,
Palmetten und Perlschnüre in mittelalterlicher
Deutung Chiffren des Heils und der kommenden
Christusherrschaft (in den Tempeln des Zweiten
Jerusalem) sein können. Wie die Pflanzenbedeu-
tungen waren auch die Materialbedeutungen des
Goldes und der Edelsteine Träger magischer
Qualität. Ein Rest davon haftet noch den barok-
ken Goldfassungen an, die vermutlich als unver-
gleichlich wertvoll und als höchste symbolische
Erscheinungsqualität begriffen wurden.
Architektoniscbe Rahmung
Die mittelalterlichen tafelartigen Antependien
(vor der Altarmensa) und die seit spätestens dem
13. Jahrhundert auf den Altar gestellten Bildta-
feln waren Teile der kirchlichen Ausstattung. Sie
fügten sich ein in den Aufgabenkreis einer Ge-
samtpräsentation von »Kirche« im damaligen
Sinn, also eines Programms theologisch und li-
turgisch geordneter Darstellung. Rahmung von
Bildflächen war dabei Abgrenzung von Wandzo-
nen und Wänden eines Raumes. Dieser prinzi-
piellen Bindung von »Bildern« entspricht die ein-
fache, lediglich aus Platte und Schräge bestehen-
de Rahmung. Die entsprechenden Umfassungen
sind entweder vorkragend stehengelassene Kan-
ten der in ihrer Bildfläche eingetieften Holztafeln
(also originärer Teil derselben) oder sind den
Holztafeln von vorn aufgesetzt. Nach jeweiligen
statischen Bedürfnissen überlappen einige dieser
Rahmen die Bildflächen an den Seiten. Sie ent-
sprechen prinzipiell anderen räumlichen Ab-
grenzungen, wie dem Ansatz von Gewölben,
Tür- und Fensterlaibungen. Doch schon diese im
13. Jahrhundert entstandene Rahmenform
(Abb. 9) zeigt über die räumliche Absetzung hin-
aus repräsentative Tendenzen. Der Rahmenum-
riß nimmt Fassaden-, Giebel- und Portalformen
und damit typische Gestalteigenschaften des Kir-
chengebäudes an. Waren gemalte Bildflächen ur-
sprünglich nur Teile einer bedeutungsvollen
Sinneinheit, nämlich jener der Architektur, so
erhalten sie im Altaraufbau Eigenständigkeit in
mehrerer Hinsicht. Derselben Entwicklung fol-
gend wird wenig später der Altarrahmen pla-
stisch gegliedert. Er übernimmt in Form und Pro-
filen Strukturelemente der Architektur, wird
substanzmäßig selbst architektonisch und ge-
bäudehaft. Eine solche Übertragung von Erschei-
nungsformen ist in der mittelalterlichen Kunst
durchgehend beobachtbar (Abb. 13), durch sie
erklären sich die material- und formatübersprin-
genden Beziehungen zwischen Gebäude-, Mö-
bel- und Geräteform. Diese Übertragung ge-
schah jedoch nicht beliebig. Das Anwachsen, die
Formgabe und gestaltliche Verfeinerung der Al-
täre entsprach keiner dekorativen Laune oder
einfach einer Einbeziehung in eine richtungslose
Differenzierung der Darstellungsformen, son-
dern einer Verlagerung der darstellerischen Akti-
vitäten auf den liturgischen Bereich, auf lokal
gedrängte, leichter übersehbare Manifestationen
der Heilsordnung. Die reich detaillierten, viel-
gliedrig entwickelten Altarformen des 14., 15.
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Vorformen der Bildrabmung
Die Formen des Rahmendekors der späteren
abendländischen Kunst sind weitgehend vorge-
geben durch die Dekorformen der griechisch-rö-
mischen Antike. In großer Vielfalt finden sich die
variationsreichen Ornamente an Portalumrah-
mungen und Tiirfüllungen, Fensterlaibungen
und Kapitellen. In der spätantiken und frühmit-
telalterlichen Kunst mischen sich keltische, ger-
manische und orientalische Elemente mit den
Mustern des klassischen Dekors der antiken
Bauten. Die Bauornamentik der Kirchen und die
Rahmungen der erhaltenen Groß- und Kleinpla-
stik geben Aufschluß iiber die Aneigung und Um-
deutung dieser Traditionen.
Ob es nun schon in der Antike oder im Frühmit-
telalter »Rahmen« in unserem Sinne gegeben
hat, ist nicht zu beantworten. Bilder als mobile
Ausstattungen beliebiger Privaträume gab es
wohl kaum. Aber es gab — darauf weisen die
Fragmente der spätantiken Wandmalerei — in
repräsentativen Profanräumen bereits illusioni-
stische Bildfelder, die von Ornamentbändern
und gemalten Ornamentfriesen umsäumt waren.
Es ist verführerisch, von solchen Feldern der
Wanddekoration und auch von den frühmittelal-
terlichen Miniaturen in ihrer gemalten Umrah-
mung auf gleichzeitige Tafelbilder und vollpla-
stische Rahmen zu schließen. Besonders nahe
wird ein solcher Schluß gelegt durch den forcier-
ten dreidimensionalen Illusionismus einer früh-
mittelalterlichen Darstellung (Abb. 5), bei der
die Fußbank des dargestellten Evangelisten iiber
die wie modelliert ausgefiihrte Rahmenzone hin-
auszuragen scheint. Werner Ehlich fiihrt diesen
»Hohlkehlenrahmen mit Akanthusornament,
versilbert und vergoldet« denn auch als Beleg
antiker Rahmung an. Derselbe Autor hat auch
die anderen Argumente zusammengestellt, die
für frei auf Bronzeständern aufgestellte und an
Wänden befestigte Bilder sprechen. Tragbare
Kaiserbilder auf Holz- oder Steintafeln, Ahnen-
bilder und gemalte Porträts bedeutender Perso-
nen und ihrer Familien, Schlachtendarstellungen
und Götterbilder sind aus literarischen Quellen
verbürgt. Ihre Aufstellung und Aufhängung an
öffentlichen Plätzen (Thermen, Versammlungs-
hallen, Tempeln) ist ebenso überliefert. Doch der
Charakter dieser — teilweise noch geweihten —
Bildwerke ist schwer zu rekonstruieren. Daß die
entsprechenden Rahmen für den heutigen Be-
trachter ungewohnte Verbindungen von Befesti-
gungszwecken und schmückender Umsäumung
geboten haben, bezeugen Ehlichs Rekonstruk-
tionen der Klapptafelbilder ebenso wie die Wie-
dergaben der Stuckumrahmungen um die Mu-
mienbildnisse (Abb. 2).
Antike wie frühmittelalterliche Reliefs und Mi-
niaturen lehren uns, daß es immer schon zwei
Grundtypen der Bilddarstellung gegeben hat, die
für die Rahmenform prägend wurden. Neben-
einander existierten das stehende Bild, dessen
Rahmen der Baldachin einer räumlichen Figur
ist, und das liegende Bild, als eine Welt in sich,
deren Umrahmung gleichmäßig von innen nach
außen geordnet ist (Abb.6, 7). Noch bis zum
Jugendstil des 20. Jahrhunderts setzte sich dieser
Gegensatz in unterschiedlicher Verbindung in
den gewählten Rahmentypen fort.
Schwer ist es, die Sinngehalte der jeweiligen ar-
chitektonischen und pflanzlichen Elemente zu
bestimmen, die in der Rahmenzone Verwendung
finden. Das Detail einer Buchdeckelumrahmung
(des Codex Aureus von St. Emmeram, Abb. 8)
soll hier als Beleg dienen, daß Akanthusblätter,
Palmetten und Perlschnüre in mittelalterlicher
Deutung Chiffren des Heils und der kommenden
Christusherrschaft (in den Tempeln des Zweiten
Jerusalem) sein können. Wie die Pflanzenbedeu-
tungen waren auch die Materialbedeutungen des
Goldes und der Edelsteine Träger magischer
Qualität. Ein Rest davon haftet noch den barok-
ken Goldfassungen an, die vermutlich als unver-
gleichlich wertvoll und als höchste symbolische
Erscheinungsqualität begriffen wurden.
Architektoniscbe Rahmung
Die mittelalterlichen tafelartigen Antependien
(vor der Altarmensa) und die seit spätestens dem
13. Jahrhundert auf den Altar gestellten Bildta-
feln waren Teile der kirchlichen Ausstattung. Sie
fügten sich ein in den Aufgabenkreis einer Ge-
samtpräsentation von »Kirche« im damaligen
Sinn, also eines Programms theologisch und li-
turgisch geordneter Darstellung. Rahmung von
Bildflächen war dabei Abgrenzung von Wandzo-
nen und Wänden eines Raumes. Dieser prinzi-
piellen Bindung von »Bildern« entspricht die ein-
fache, lediglich aus Platte und Schräge bestehen-
de Rahmung. Die entsprechenden Umfassungen
sind entweder vorkragend stehengelassene Kan-
ten der in ihrer Bildfläche eingetieften Holztafeln
(also originärer Teil derselben) oder sind den
Holztafeln von vorn aufgesetzt. Nach jeweiligen
statischen Bedürfnissen überlappen einige dieser
Rahmen die Bildflächen an den Seiten. Sie ent-
sprechen prinzipiell anderen räumlichen Ab-
grenzungen, wie dem Ansatz von Gewölben,
Tür- und Fensterlaibungen. Doch schon diese im
13. Jahrhundert entstandene Rahmenform
(Abb. 9) zeigt über die räumliche Absetzung hin-
aus repräsentative Tendenzen. Der Rahmenum-
riß nimmt Fassaden-, Giebel- und Portalformen
und damit typische Gestalteigenschaften des Kir-
chengebäudes an. Waren gemalte Bildflächen ur-
sprünglich nur Teile einer bedeutungsvollen
Sinneinheit, nämlich jener der Architektur, so
erhalten sie im Altaraufbau Eigenständigkeit in
mehrerer Hinsicht. Derselben Entwicklung fol-
gend wird wenig später der Altarrahmen pla-
stisch gegliedert. Er übernimmt in Form und Pro-
filen Strukturelemente der Architektur, wird
substanzmäßig selbst architektonisch und ge-
bäudehaft. Eine solche Übertragung von Erschei-
nungsformen ist in der mittelalterlichen Kunst
durchgehend beobachtbar (Abb. 13), durch sie
erklären sich die material- und formatübersprin-
genden Beziehungen zwischen Gebäude-, Mö-
bel- und Geräteform. Diese Übertragung ge-
schah jedoch nicht beliebig. Das Anwachsen, die
Formgabe und gestaltliche Verfeinerung der Al-
täre entsprach keiner dekorativen Laune oder
einfach einer Einbeziehung in eine richtungslose
Differenzierung der Darstellungsformen, son-
dern einer Verlagerung der darstellerischen Akti-
vitäten auf den liturgischen Bereich, auf lokal
gedrängte, leichter übersehbare Manifestationen
der Heilsordnung. Die reich detaillierten, viel-
gliedrig entwickelten Altarformen des 14., 15.
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