und frühen 16. Jahrhunderts haben schließlich
programmatisch etwas vom Anspruch des einsti-
gen Kirchengebäudes übernommen: ankniip-
fend an Portal- und Fassadenformen (in Italien)
und an Langhaus- und Fassadendetails (in
Frankreich und Deutschland) zeigen sie eine
"Kirche in der Kirche«. Was einst mit der figu-
renreichen Gesamtausstattung des Kirchenge-
bäudes angestrebt war, erscheint hier zusam-
tnengedrängt im System heilsgeschichtlicher Bil-
derfolgen. Die Rahmen der großen Triptychen,
Polyptychen und Klappaltäre bilden architekto-
nische Aufbauten als typusmäßige Anknüpfun-
gen an »Kirche«, »Tempel« und »Schrein«. Die
darstellerische Funktion für diese übergreifen-
den Inhalte und die Begrenzungsfunktion für die
einzelnen Bildzonen überlagern sich und lassen
sich lediglich in der niederländischen und deut-
schen Kunst einigermaßen voneinander trennen.
Der Gegensatz der Kunstauffassungen macht die
unterschiedliche Entwicklung verständlich. Die
Anordnung vielteiliger Folgen von Heiligenbil-
dern und Bildszenen bleibt in Italien ein opti-
sches Problem: verschiedenformatige Bildfelder
smd in Spannung zueinander und zu einer fla-
chen Gesamtform gesetzt. Selbst in den mit rei-
chen Aufbauten versehenen Altarformen besteht
eine enge Beziehung zu den Formaten der Einzel-
bilder. Formelhaft ausgedrückt, ist der italieni-
sche Altar substanzmäßigimmer eine »Bildtafel«
geblieben, die mittels ihres Rahmens zeitweilig
den Anspruch »Kirche«, »Heilsordnung« beson-
ders verdeutlicht (vgl. dazu die Darstellung der
durch die Heilpflanzen in den Fenstern angezeig-
ten Heilsnatur im Rahmenaufbau von Gentile da
Fabrianos Altar, Abb. 15). Die Entwicklung vom
x3- zum 15. Jahrhundert läßt sich als Durchset-
zung und Vereinheitlichung einer Symbolik bild-
licher Projektion anstelle räumlicher Schemata
bezeichnen. Die leitende Absicht dabei blieb eine
Versinnlichung der metaphysischen Ordnung,
die jedoch eng an die Entfaltung der kiinstleri-
schen Sprache gebunden war.
Wie seit Thomas von Aquins (122.4—1274)
Schriften wiederholt belegbar ist, sind Kunstwer-
ke in Italien nicht als wörtliche Abbildergesehen
Worden, sondern als Gestaltungen, die nur durch
Fig. 8 Fra Filippo Lippi (1406-69), Skizze für ein Altar-
triptychon mit seinem Rahmen, 14s 7-
Florenz, Archivio di Stato
den Grad ihrer Vollkommenheit auf eine ideelle
Wirklichkeit weisen konnten. Die Tendenz zur
Vereinheitlichung des Altarganzen wurde hier-
durch verstärkt, ebenso die dekorative und thea-
tralische Steigerung dominanter Motive. Gentile
da Fabrianos Altar, der am Ende der Entwick-
lung vielteiliger Altargehäuse und am Anfang
einer neuen Bildeinheit steht (Abb. 15), belegt
dies. Die aufgebrochene Rahmenform — auch sie
eine Zwischenstufe — wird als Gliederung end-
gültig vernachlässigt. Durch die vorgegebene
Felderordnung hindurch wird prunkvoll eine pa-
noramaartige Bildszene entfaltet. Die bekrönen-
den Rahmengiebel sind umgedeutet in einen rei-
chen Dekor. Die verbliebenen tektonischen Ele-
mente in Form der seitlichen Rahmenkanten sind
flankierend vor die Bildebene gerückt — als okto-
gonale Pfeilerschäfte für eine räumlich nicht
mehr durchgeführte Konstruktion. Die Archi-
tekturformen sind damit zum funktionsentbun-
denen Zierrat geworden. Die Darstellungen in
den Giebelfeldern und im Untersatz der Predella
schließen sich zwar noch zu einer übergreifenden
Ordnung zusammen, aber diese Ergänzung des
Programms ist der Inszenierung der Zentralbüh-
ne beiwerkhaft nachgeordnet. Die Signatur des
Umrisses (verglichen etwa mit Abb. 17 als tradi-
tionsgebundener Form) ist ebenso verwaschen
wie die gliedernde Binnenstruktur (Beispiele von
Triptychen und Polyptychen der großen Altäre
sind nicht in die Abbildungen aufgenommen;
vgl. dafür die Abbildungen bei Elfried Bock und
Monika Cämmerer-George). Folgern läßt sich
hieraus, daß die Absicht aufgegeben wurde, tek-
tonische und statische Formeln zur Symbolisa-
tion einer höheren Ordnung zu verwenden.
Diese überkommenen Chiffren wurden abgelöst
zugunsten einer neuartig naturzugewandten Illu-
sionskunst, in der die Ordnungsformen solche
der Wahrnehmungsperspektive und der szeni-
schen Inszenierung waren.
Vorgriffe auf eine konsequent den Sehordnun-
gen entsprechende Bildbühne finden sich schon
in der Malerei Giottos (1266—1337); beim sel-
ben Meister sind entsprechende Neuerungen der
Rahmung zu ersehen. Die Rahmung um Giottos
Ognissanti-Madonna (Florenz, Uffizien) zeigt
erstmals so etwas wie einen »reinen« Bildrah-
men. Dessen Vorstufen waren die mit Profilen
versehenen Rahmen des 13.Jahrhunderts (bei
Guido da Siena, Cimabue und Duccio), am wei-
testen ausgebildet bei Duccios Madonna Rucel-
lai (1285, Florenz, Uffizien, Detail in Abb. 12).
Bereits bei Duccio ist die Rahmenschräge zu ei-
ner Staffelung von Profilen geworden, die einen
architektonischen Eigencharakter des Rahmens
anzeigen. Allerdings führt die bandartige flache
Behandlung der Rahmenplatte die Vorstellung
zurück zu den Gliederungsstreifen der Wandfel-
der. Die Einsetzung der dreißig Rahmenmedail-
lons weist im Zusammenhang mit der Ädikula-
form in die Richtung der vielteiligen, flachen
Altartafelsysteme, die wenig später entstanden
sind. Im Gegensatz dazu stellt sich Giottos Rah-
men allseitig als Profilrahmen dar. Die begren-
zende Rahmenplatte ist zu einer schmalen Au-
ßenkante geschrumpft. Die Profilfolge spart eine
schmale Zwischenbahn aus, die ähnlich orna-
mentiert ist wie die vorherigen Rahmenplatten.
Diese wird zwischen den beidseitig ansteigenden
wulstigen Profilen zur Hohlkehle umgedeutet.
Aus den Elementen architektonischer Überlei-
tung und Zwischengliederung, Kehle und Profil,
ist so erstmals eine eigene Form entstanden.
Diese kam seitdem überall dort deutlich zur Gel-
tung, wo eigenständige Bildwerke, Darstellungs-
einheiten eines in sich geschlossenen Anspruchs,
15
programmatisch etwas vom Anspruch des einsti-
gen Kirchengebäudes übernommen: ankniip-
fend an Portal- und Fassadenformen (in Italien)
und an Langhaus- und Fassadendetails (in
Frankreich und Deutschland) zeigen sie eine
"Kirche in der Kirche«. Was einst mit der figu-
renreichen Gesamtausstattung des Kirchenge-
bäudes angestrebt war, erscheint hier zusam-
tnengedrängt im System heilsgeschichtlicher Bil-
derfolgen. Die Rahmen der großen Triptychen,
Polyptychen und Klappaltäre bilden architekto-
nische Aufbauten als typusmäßige Anknüpfun-
gen an »Kirche«, »Tempel« und »Schrein«. Die
darstellerische Funktion für diese übergreifen-
den Inhalte und die Begrenzungsfunktion für die
einzelnen Bildzonen überlagern sich und lassen
sich lediglich in der niederländischen und deut-
schen Kunst einigermaßen voneinander trennen.
Der Gegensatz der Kunstauffassungen macht die
unterschiedliche Entwicklung verständlich. Die
Anordnung vielteiliger Folgen von Heiligenbil-
dern und Bildszenen bleibt in Italien ein opti-
sches Problem: verschiedenformatige Bildfelder
smd in Spannung zueinander und zu einer fla-
chen Gesamtform gesetzt. Selbst in den mit rei-
chen Aufbauten versehenen Altarformen besteht
eine enge Beziehung zu den Formaten der Einzel-
bilder. Formelhaft ausgedrückt, ist der italieni-
sche Altar substanzmäßigimmer eine »Bildtafel«
geblieben, die mittels ihres Rahmens zeitweilig
den Anspruch »Kirche«, »Heilsordnung« beson-
ders verdeutlicht (vgl. dazu die Darstellung der
durch die Heilpflanzen in den Fenstern angezeig-
ten Heilsnatur im Rahmenaufbau von Gentile da
Fabrianos Altar, Abb. 15). Die Entwicklung vom
x3- zum 15. Jahrhundert läßt sich als Durchset-
zung und Vereinheitlichung einer Symbolik bild-
licher Projektion anstelle räumlicher Schemata
bezeichnen. Die leitende Absicht dabei blieb eine
Versinnlichung der metaphysischen Ordnung,
die jedoch eng an die Entfaltung der kiinstleri-
schen Sprache gebunden war.
Wie seit Thomas von Aquins (122.4—1274)
Schriften wiederholt belegbar ist, sind Kunstwer-
ke in Italien nicht als wörtliche Abbildergesehen
Worden, sondern als Gestaltungen, die nur durch
Fig. 8 Fra Filippo Lippi (1406-69), Skizze für ein Altar-
triptychon mit seinem Rahmen, 14s 7-
Florenz, Archivio di Stato
den Grad ihrer Vollkommenheit auf eine ideelle
Wirklichkeit weisen konnten. Die Tendenz zur
Vereinheitlichung des Altarganzen wurde hier-
durch verstärkt, ebenso die dekorative und thea-
tralische Steigerung dominanter Motive. Gentile
da Fabrianos Altar, der am Ende der Entwick-
lung vielteiliger Altargehäuse und am Anfang
einer neuen Bildeinheit steht (Abb. 15), belegt
dies. Die aufgebrochene Rahmenform — auch sie
eine Zwischenstufe — wird als Gliederung end-
gültig vernachlässigt. Durch die vorgegebene
Felderordnung hindurch wird prunkvoll eine pa-
noramaartige Bildszene entfaltet. Die bekrönen-
den Rahmengiebel sind umgedeutet in einen rei-
chen Dekor. Die verbliebenen tektonischen Ele-
mente in Form der seitlichen Rahmenkanten sind
flankierend vor die Bildebene gerückt — als okto-
gonale Pfeilerschäfte für eine räumlich nicht
mehr durchgeführte Konstruktion. Die Archi-
tekturformen sind damit zum funktionsentbun-
denen Zierrat geworden. Die Darstellungen in
den Giebelfeldern und im Untersatz der Predella
schließen sich zwar noch zu einer übergreifenden
Ordnung zusammen, aber diese Ergänzung des
Programms ist der Inszenierung der Zentralbüh-
ne beiwerkhaft nachgeordnet. Die Signatur des
Umrisses (verglichen etwa mit Abb. 17 als tradi-
tionsgebundener Form) ist ebenso verwaschen
wie die gliedernde Binnenstruktur (Beispiele von
Triptychen und Polyptychen der großen Altäre
sind nicht in die Abbildungen aufgenommen;
vgl. dafür die Abbildungen bei Elfried Bock und
Monika Cämmerer-George). Folgern läßt sich
hieraus, daß die Absicht aufgegeben wurde, tek-
tonische und statische Formeln zur Symbolisa-
tion einer höheren Ordnung zu verwenden.
Diese überkommenen Chiffren wurden abgelöst
zugunsten einer neuartig naturzugewandten Illu-
sionskunst, in der die Ordnungsformen solche
der Wahrnehmungsperspektive und der szeni-
schen Inszenierung waren.
Vorgriffe auf eine konsequent den Sehordnun-
gen entsprechende Bildbühne finden sich schon
in der Malerei Giottos (1266—1337); beim sel-
ben Meister sind entsprechende Neuerungen der
Rahmung zu ersehen. Die Rahmung um Giottos
Ognissanti-Madonna (Florenz, Uffizien) zeigt
erstmals so etwas wie einen »reinen« Bildrah-
men. Dessen Vorstufen waren die mit Profilen
versehenen Rahmen des 13.Jahrhunderts (bei
Guido da Siena, Cimabue und Duccio), am wei-
testen ausgebildet bei Duccios Madonna Rucel-
lai (1285, Florenz, Uffizien, Detail in Abb. 12).
Bereits bei Duccio ist die Rahmenschräge zu ei-
ner Staffelung von Profilen geworden, die einen
architektonischen Eigencharakter des Rahmens
anzeigen. Allerdings führt die bandartige flache
Behandlung der Rahmenplatte die Vorstellung
zurück zu den Gliederungsstreifen der Wandfel-
der. Die Einsetzung der dreißig Rahmenmedail-
lons weist im Zusammenhang mit der Ädikula-
form in die Richtung der vielteiligen, flachen
Altartafelsysteme, die wenig später entstanden
sind. Im Gegensatz dazu stellt sich Giottos Rah-
men allseitig als Profilrahmen dar. Die begren-
zende Rahmenplatte ist zu einer schmalen Au-
ßenkante geschrumpft. Die Profilfolge spart eine
schmale Zwischenbahn aus, die ähnlich orna-
mentiert ist wie die vorherigen Rahmenplatten.
Diese wird zwischen den beidseitig ansteigenden
wulstigen Profilen zur Hohlkehle umgedeutet.
Aus den Elementen architektonischer Überlei-
tung und Zwischengliederung, Kehle und Profil,
ist so erstmals eine eigene Form entstanden.
Diese kam seitdem überall dort deutlich zur Gel-
tung, wo eigenständige Bildwerke, Darstellungs-
einheiten eines in sich geschlossenen Anspruchs,
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