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Grosjean, Georges [Hrsg.]; Cavelti, Madlena [Hrsg.]
500 Jahre Schweizer Landkarten — Zürich, 1971

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https://doi.org/10.11588/diglit.10984#0009

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AEGIDIUS TSCHUDIS SCHWEIZER
KARTE UND IHRE ABKÖMMLINGE

Die zweite große Familie von Gesamt- und Teilkarten der Schweiz hat
den bedeutenden Historiker und Staatsmann Aegidius oder - wie er
sich selbst etwa nennt - Gilg Tschudi zum Urheber. Darauf auf-
merksam gemacht zu haben, daß Tschudis Bedeutung als Kartograph
für die Schweiz ebenso groß ist wie seine Bedeutung als Historiker,
ist das Verdienst von Tschudis Landsmann Walter Blumer (Lit. 15).
Tschudi, 1505 geboren, stammte aus angesehenem Glarner Geschlecht
und hatte Sprachen, Geschichte und Mathematik, unter anderem bei
seinem Landsmann, dem Humanisten Glarean, in Basel studiert. Daß
er mit diesem nach Paris gezogen wäre, hat sich neuerdings als un-
richtig erwiesen. Tschudi war finanziell unabhängig, führte bereits in
jungen Jahren ausgedehnte Reisen in der Schweiz durch, war in der
Politik tätig, bekleidete mehrere Landvogteistcllen und war häufig
Tagsatzungsabgeordneter. Die Voraussetzungen, Karten zu schaffen,
waren daher viel besser gegeben als bei andern Humanisten, die etwa
als Lehrer, Ärzte oder Kleriker stärker an ihren Wirkungsort ge-
bunden waren. Bei Tschudi spielte aber nicht nur das humanistische
Interesse mit, sondern ebensosehr die Liebe zum Land und der Stolz
auf die ruhmreiche Eidgenossenschaft. Es ist bemerkenswert, wie bei
den Schweizer Humanisten jener Zeit ein gesamteidgenössisches Be-
wußtsein über das einzelörtische dominiert, obschon die Eidgenossen-
schaft durch die Glaubcnsspaltung zerrissen war. Wenngleich manche
der Humanisten als Politiker oder Kleriker betont im einen oder
andern konfessionellen Lager standen, verkehrten sie doch freund-
schaftlich mit Humanisten und Forschern andern Glaubens. Das gilt
vor allem auch für den Katholiken Tschudi, der mit den Protestanten
Glarean, Münster, Simler, Stumpf, Vadian, Bullinger und andern
rege Beziehungen unterhielt. Das Ergebnis von Tschudis kartogra-
phischer Arbeit in der Schweiz war zunächst seine große Schweizer
Karte, die bereits um 1528 im Manuskript einigermaßen vollendet
vorlag. Tschudi zögerte aber offenbar mit der Herausgabe, vielleicht,
weil er stets noch Verbesserungen anbringen wollte, vielleicht auch,
weil er mit andern Arbeiten zu sehr beschäftigt war. 1538 erschien die
Karte in Holzschnitt, herausgegeben von Sebastian Münster in
Basel. Dieser gehörte selbst zu den vielseitigsten Gelehrten der Huma-
nistenzeit. Er war um 1489 in Nieder-Ingelheim geboren, studierte in
Heidelberg und Tübingen, lehrte als Franziskaner in Tübingen und
war nach Übertritt zum reformierten Glauben von 152 8 bis zu seinem
1552 erfolgten Tode in Basel Professor für orientalische Sprachen und
Mathematik. Sein kartographisches Schaffen ist bedeutend und reicht
von Regionalkarten, wie derjenigen des Wallis, die in diesem Werke
noch näher gewürdigt werden soll, bis zu Weltkarten. Münster be-
treute auch die Basler Ptolemäus-Ausgaben von 1540 und 1542. Sein
monumentalstes Werk ist die 1544 erstmals bei Heinrich Petri in Basel
in deutscher und lateinischer Fassung erschienene Cosmographie oder
Beschreibung aller Lender, eine Geographie der damals bekannten Welt,
in welcher dieselben Karten verwendet wurden wie für die Ptole-
mäus-Atlanten.

Von der ersten Ausgabe der Tschudi-Münster-Karte ist kein
Exemplar mehr vorhanden. Nach dem Tode Münsters veranstaltete
dessen Freund Konrad Wolfhardt 1560 durch die Offizin von Michael
Isengrin eine zweite Ausgabe, von der ein einziges Exemplar in der
Universitätsbibliothek in Basel erhalten ist. Dieses kostbare Stück ist
vor kurzem neu in Originalgröße in Offsetdruck veröffentlicht wor-
den (Lit. 10), so daß sich hier eine neue Reproduktion erübrigt. Um
an die Bedeutung der Tschudi-Münster-Karte zu erinnern, ist sie aber
verkleinert als Umschlag unserer Kartenmappe verwendet worden.
Dagegen enthält unsere Sammlung zwei selten veröffentlichte Folge-
karten, die sich sehr genau dem Vorbild anlehnen. Die erste dieser
Karte ist diejenige, die der berühmte italienische Kartograph und
Verleger Antonio Salamanca 1555 in Rom in Kupferstich erschei-
nen ließ und dem Hauptmann der päpstlichen SchweizergardcJodocus
(Jost) von Meggen aus Luzern dedizierte. Es wird damit eine bedeutende
Persönlichkeit der damaligen Eidgenossenschaft geehrt. Jost von Meg-
gen lebte von 1509 bis 15 59, bekleidete Ämter in Luzern und verfaßte

eine lateinische Beschreibung der von ihm 1542 unternommenen
Reise ins Heilige Land. Er beherrschte neun Sprachen und legte eine
Sammlung von Münzen und Antiquitäten an. Die Salamanca-Karte
ist eine sehr getreue Reduktion der Tschudi-Münster-Karte auf den
halben Maßstab, ungefähr 1:700000, unter Umkehrung in Nord-
orientierung. Als Kupferstecher zeichnet unten links Jacobus Bossius
Belga (Jakob Bos aus Hertogenbosch). Der Kupferstich ist fein und
elegant und erlaubt ohne weiteres die Wiedergabe aller Einzelheiten
imhalbenMaßstab. Mit Ausnahme der Hauptorte sind alle Ortschaften
nur mit Kreissignaturen angegeben. Da und dort fehlt ein Name,
viele Namen sind arg verschrieben. Die deutsche Nomenklatur ist
latinisiert. Die Dreizehn alten Orte und die Zugewandten sind in der
protokollarischen Reihenfolge mit römischen Ziffern bezeichnet.
Dies fehlt in der Tschudi-Karte.

Die andere Karte aus der Gruppe der Folgekarten Tschudis, die
wir in unsere Sammlung eingefügt haben, ist diejenige aus dem damals
berühmtesten Atlaswerk, Theatrum Orbis Terrarum des Abraham
ORTELius,in Antwerpen erstmals 1570 erschienen. Abraham Oertel,
latinisiert Ortelius, lebte von 1527 bis 1598 in Antwerpen. Vom
Landkartcnkoloristcn hatte er sich ohne besondere Ausbildung selb-
ständig zu einem der bedeutendsten Kartographen und Atlantenver-
leger aller Zeiten emporgearbeitet. Vom altern Niederländer Gerhard
Mcrcator mit Freundschaft bedacht, brachte Ortelius sein Theatrum
Orbis Terrarum fünfzehn Jahre vor dem großen Atlas Mcrcators her-
aus. Das Theatrum war eine zukunftweisende Tat. Es bedeutet den
Bruch mit der Ptolemäustradition. Erstmals erscheint ein Atlas, der
nur aus neuen Karten besteht - zunächst 70 an der Zahl, in mühsamer,
zehnjähriger Arbeit gesammelt und in einheitliches Format und ein-
heitlichen Stil umgearbeitet. Bis 1612 erschienen 42 Auflagen. Das
Theatrum Orbis Terrarum war der repräsentative Ausdruck des nun
auf dem Höhepunkt seiner Macht stehenden Reiches Philipps II. von
Spanien. Für die Karte der Schweiz benützte Ortelius die Tschudi-
Münster-Karte, deren Südorientierung er beibehielt. Der Name
Tschudis als Autor wird auf der Karte genannt. Sie ist in ihrer Gesamt-
anlage eine getreue Reduktion, wobei aber Einzelheiten weggelassen
sind und die Darstellung der Gebirge vereinfacht ist. Der Maßstab ist
noch kleiner als derjenige der Salamanca-Karte, ungefähr 1: 900000.
Die Karte gefällt vor allem durch ihren sorgfältigen Kupferstich.
 
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