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Grosjean, Georges [Hrsg.]; Cavelti, Madlena [Hrsg.]
500 Jahre Schweizer Landkarten — Zürich, 1971

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https://doi.org/10.11588/diglit.10984#0020

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98) eine unheilvolle Verwirrung angerichtet, indem er, offenbar nach
flüchtiger Sichtung der Handzeichnungen Tschudis in der Stifts-
bibliothek St. Gallen, die These aufstellte, die Mcrcator-Karten seien
nichts anderes als die Veröffentlichung der zweiten Schweizer Karte
von Aegidius Tschudi. Walter Blumer hat (Lit. 16) den Irrtum aufge-
deckt und durch Veröffentlichung seiner Nachzeichnungen der Hand-
risse Tschudis in der Stiftsbibliothek St. Gallen eindeutig den Beweis
erbracht, daß keine Beziehungen zwischen diesen Handrissen und
den Mercator-Karten bestehen. Ein Vergleich etwa des Vierwald-
stättersees in unserer Abbildung 106 mit der Aargau-Karte von Mer-
cator-Blacu zerstreut jeden Zweifel. Schon Blumerhat vermutet, daß
Mercator unter anderem Murer und Schoepf benutzt hat. Wir haben
die Frage mit Nomcnklaturvergleichcn und Verzerrungsgittern und
Vergleich des Verlaufs aller Flüsse und der Konfiguration der Seen
noch einmal gründlich überprüft mit dem Resultat, daß die Mercator-
Karten keine neue Primärkarte der Schweiz (etwa von Tschudis Hand)
darstellen, sondern die Kompilation der damals neuen Primärkarten
der einzelnen Regionen sind. Für das ganze Gebiet Berns vom Aar-
gau bis zur Waadt, ohne den Genfersec, aber samt Solothurn, Frei-
burg und Wallis, beruht die Darstellung Mercators ausschließlich auf
Schoepf. Die beiden Verzerrungsgitter dürften dies illustrieren. Mer-
cator hat allerdings - wohl um die verschiedenen Teile zusammen-
passen zu können - die Situation Schoepfs in nordsüdlicher Richtung
gestreckt beziehungsweise in westöstlicher Dimension zusammenge-
preßt und damit die Karte verschlechtert. Das gilt auch hinsichtlich
der geographischen Breitenangaben. Die Nomenklatur stimmt mit
Schoepf sehr genau überein. Eine Test untersuchung in größeren Ge-
bieten des Kantons Bern ergab, daß von 164 Namen bei Schoepf de-
ren 138 bei Mercator genau gleich, 12 in leicht abweichender Schreib-
weise enthalten sind und 14 fehlen. Die Gebirge verlieren durch die
Umzeichnung in die Südansicht ihre charakteristischen Formen. Der
Kanton Zürich ist eindeutig von Jos Murer übernommen. Die feh-
lenden Gebiete der Zentralschweiz sind nach der bekannten ver-
öffentlichten Tschudi-Münster-Karte von 1538/1560 eingesetzt, wie
die Konfiguration des Vierwaldstättersccs und der Vergleich der Ver-
zerrungsgittcr eindeutig ergeben. Das Gebiet von St. Gallen, Appen-
zell und Thurgau, das gerade in Tschudis späten Handrissen große
Verbesserungen aufweist, fehlt in Mercators Gaukarten, ein weite-
rer Beweis, daß Mercator Tschudis späte Arbeiten nicht zugänglich
waren. Etwas rätselhaft bleibt die Herkunft des Genfersees. Die Dar-
stellung Mercators ist schlechter als diejenige Schoepfs.

Der Kartcninhalt Mercators ging, unmittelbar oder mittelbar
durch Blacu und Jansson, praktisch in alle Schweizer Karten ein,
welche die großen ausländischen Kartenverlagc des 17. Jahrhunderts
herausbrachten. Auch die Atlanten des französischen Meisterkarto-
graphen der frühern Zeit Ludwigs XIV., Nicolas Sanson d'Abbe-
ville (1600-1667), lehnen sich noch entfernt an Mercator an, und
zwar unmittelbar. Von 175 in fünf Testgebieten des Kantons Bern
verglichenen Namen sind 140 identisch mit Mercator, darunter 13,
die bei Blaeu und Jansson verändert sind. Es fehlen aber die Namen,
die Schoepf gegenüber Mercator mehr aufweist, womit eine un-
mittelbare Herkunft von Schoepf unwahrscheinlich wird. Allerdings
spielen in Einzelheiten der meisten Sanson-Blätter auch bereits die
Schweizer Karten von Hans Konrad Gyger von 1637 und 1657 hin-
ein. Sanson hat nicht nur kopiert und nachgestochen, sondern auch
kompiliert und kritisch gesichtet. Seine Gaukarten haben andere
Perimeter und andere Titel als diejenigen der Mercator-Linic. Wir
geben als Probe von Sansons Schaffen in unserer Mappe ein Blatt
der Nordostschweiz. Hier erscheinen im Verlauf der Thür, Sittcr
und ihrer Seitenflüsse bereits wesentliche Verbesserungen gegenüber
Mercator und seinen unmittelbaren Abkömmlingen. Auch die Zahl
der Namen ist stark vermehrt.

Eine besondere Bewandtnis hat es mit der Darstellung der
Schweiz im handgezeichneten und handgcmalten Prachtatlas, den
der in Calcar in Spanien wirkende königliche Geograph und Karto-
graph Christian Sgrooten für Philipp IL von Spanien schuf.
Sgrooten war ein Niederländer aus Geldern, geboren um 1532, ge-
storben 1608. Der Atlas in der Biblioteca Nacional in Madrid ist 1592

datiert und enthält 118 Blätter. Ein früherer ähnlicher Atlas mit 66
Blättern liegt in der Bibliotheque Nationale in Brüssel. Der Madrider
Atlas enthält eine 1588 datierte Karte mit dem Titel: Descriptio Sum-
marum Alpium qui Italiam, Germaniam et Galliam dividunt. In dem
78 X 126 cm großen Blatt nimmt die Schweiz im Maßstab von
± 1:580000 ein Stück von rund 40 X 60cm ein. Es ist das Verdienst
von Leo Weisz (Lit.41, i.Aufl. S. 149/150, 2. Aufl. S. 155/156), auf
den Atlas hingewiesen zu haben. Walter Blumer hat als Beilage zu
Lit. 14 die Darstellung der Schweiz als einfarbige Reproduktion der
Untersuchung zugänglich gemacht. Zunächst fällt eine etwas wirre,
manieriert-bewegte Zeichnung der Flußläufe und Seeufer auf. Beim
nähern Hinsehen erkennt man bekannte Züge. Wir haben ein Ver-
zerrungsgitter der Zentral- und Westschweiz entworfen, Flußläufe,
Seeumrisse und Nomenklatur verglichen. Das schuf in großen Zügen
Klarheit. Im einzelnen harrt die Karte noch gründlicher Bearbeitung.
Der nördliche Teil der Westschweiz stammt aus dem Blatt Wiflis-
purgergov von Gerhard Mercator, mit dem Sgrooten in enger Be-
ziehung stand. Die Verzerrungen erscheinen der größeren Ortsbildcr
wegen bisweilen betonter, andere Ausbuchtungen im Verzerrungs-
gitter fehlen, weil Sgrooten viel weniger Ortschaften bringt. Typi-
sche Fehler sind identisch, etwa der Nord-Süd-Vcrlauf des Travers-
tales und die Schreibweise einiger Namen. Der nördliche Jura da-
gegen ist andern Quellen entnommen, die Sgrooten zur Verfügung
gestanden haben mußten. Es dürfte sich um Karten der Nachbar-
gebiete gehandelt haben, indem die Freigrafschaft damals spanisch
war. Ebenso gehörte das Herzogtum Mailand zum spanisch-habs-
burgischen Komplex, was die gegenüber Mercator wesentlich bessere
Darstellung des Corner-, Luganer- und Langensees erklären könnte.
Den südlichen Teil des Kantons Bern samt der Waadt, dem Genfer-
see und dem Wallis entnahm dagegen Sgrooten der Karte von Thomas
Schoepf unmittelbar. Das zeigt sich etwa an der Darstellung des
Engnisses von La Tinc, wo die Saane zwischen Rossinieres und
Montbovon zwischen den Felsen durchbricht. Schoepf stellt diese
Stelle in Ansicht von Norden dar, indem er die Saane zwischen den
Felsen verschwinden läßt. Sgrooten bringt dieselbe Darstellung, aller-
dings in Ansicht von Süden umgezeichnet, während in Mercators
Wißispurgergov das Engnis nicht besonders herausgearbeitet ist. Die
Zentralschweiz samt dem Brienzersee bezog Sgrooten von Tschudi,
verschob sie aber gegenüber den von Schoepf bezogenen Partien
weiter nach Norden, was im Verzerrungsgitter deutlich feststellbar
ist. Es entstand dadurch zu viel Raum in Obwalden, wo Sgrooten
ein zweites Haslital einzeichnete, das in den Lungernsee mündet. Das
Gebiet von Zürich scheint Sgrooten der Nomenklatur nach von
Stumpfs Tafel VI. Zürichgow übernommen zu haben, wenn auch der
See selbst richtigerweise weniger plump erscheint als bei Stumpf und
Tschudi. Einflüsse Murers sind nicht festzustellen. Sgrooten müssen
noch andere Quellen, die wir nicht kennen, wohl weniger Karten
als mündliche Aussagen und Korrespondenzen, zur Verfügung ge-
standen haben. Sgrooten führte selbst auch viele Reisen aus. Seine
Karte ist eine selbständige Kompilation. Insbesondere ist Sgrootens
Karte die einzige Darstellung der Schweiz in jener Zeit, welche die
Durchgangsstraßen enthält, und zwar im großen ganzen richtig.
Mutmaßlich erfolgte die Eintragung anhand von Routenverzeich-
nissen, nicht von Karten. Dies dürfte das «zweite Haslital» erklären,
indem die Grimsclroute durch die Punkte Luzern, Samen, Lungern,
Im Grund (Innertkirchen) und Grimsel bezeichnet war. Sgrooten
hat nicht realisiert, daß er die Route von Lungern über den Brünig
ins wirkliche Haslital führen mußte, wo Meiringcn eingetragen ist.
So kommt er dazu, in einem Tal von Lungern südwärts die Namen
Hassle, Hasle vallis und Im Grund einzutragen und die Straße dann
von hier über Hospcntal ins Obcrwallis zu führen. Wir geben als
Probe aus dem sehr bemerkenswerten Kartenwerk Sgrootens einen
Ausschnitt aus der großen Tafel Typus Burgundiae superioris, deren
Maßstab etwa zwischen 1:260000 und 1:280000 variiert und,die
auch Bieler-, Ncucnburgcr- und Murtensce und einen guten Teil
des Schweizer juras enthält. Die Kennzeichen und Fehler in Gewässer-
netz und Situation sind dieselben wie bei der Karte des Alpengcbietes.
Die Auswahl der Ortsnamen stimmt im Gebiet der drei Seen mit

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