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Günther, Hubertus [Hrsg.]; Rembrandt <Harmensz van Rijn> [Ill.]
Rembrandt van Rijn — München, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.12559#0009
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5

Einführung

Die Ausstellungsräume der Alten Pina-
kothek in München waren früher mit Fresken
ausgestattet, die der Kunst huldigten. Sie zeigten
berühmte Maler, von allegorischen Personifika-
tionen und Symbolen umgeben, die das Wesen
ihres persönlichen Stiles zum Ausdruck bringen
sollten. Auch Rembrandt erschien im Kreise
dieses Parnasses; ihn begleiteten der Traumgott
Phantasus und eine Chimäre, während eine
Gestalt mit einem Senklot die Tiefen des Weltalls
ergründete und eine andere auf dem Phönix die
Lüfte durchstreifte. Rembrandt als Deuter visio-
närer Träume, als Dichter geheimnisvoller Imagi-
nationen, aus der Tiefe dunkler Gefühle und
mythischen Glaubens schöpfend: das war eine
allgemeine Vorstellung am Anfang des vorigen
Jahrhunderts, und nicht nur damals. Heute
stehen wir der Kunst Rembrandts distanzierter
und sachlicher gegenüber. Uns interessiert, aus
welchen religiösen, wirtschaftlichen oder gesell-
schaftlichen Verhältnissen sie entstanden ist, in
welcher Umgebung der Künstler gearbeitet hat,
was seine Auftraggeber von ihm erwartet und
wie die Zeitgenossen seine Werke beurteilt
haben.

Holland, ein flaches, von zahllosen Wasser-
läufen durchzogenes Gebiet, halb zum Meer,
halb zum Festland gehörig, lag bis ins späte
Mittelalter abseits aller abendländischen
Rewegungen. Zu Ende des 14. Jahrhunderts
fielen die gesamten Niederlande an das Herzog-
tum Burgund. Der südliche Teil, der ungefähr
dem heutigen Belgien entspricht, besaß bereits
eine traditionsreiche Kultur; jetzt blühten dort
reiche Handelsstädte auf: Gent und Brügge,
später Antwerpen. Die Gebrüder van Eyck leite-
ten eine grandiose künstlerische Entwicklung
ein, die sich bis zu Rubens und seiner Schule
ungebrochen fortsetzte. Der rückschrittliche
Landesteil jenseits von Rhein und Scheide
empfing nur einen schwachen Schein von diesem
Glänze. Aber der bescheidene Anteil bildete

die Voraussetzung für den späteren Aufstieg.
Als Burgund 1477 auseinanderbrach, fielen
die Niederlande an die Habsburger und damit
unter die Oberhoheit Spaniens. Die Spanier ver-
suchten, die gesamten Niederlande einer zentra-
listischen Verwaltung zu unterwerfen und die
Ausbreitung der Reformation in diesen Gebieten
gewaltsam zu unterdrücken. 1568 kam es zum
offenen Bürgerkrieg. Die weltoffenen und tole-
ranten Städte im Süden der Niederlande ver-
blieben bei Spanien, aber die nördlichen Provin-
zen errangen unter der Führung Wilhelms von
Oranien im Waffenstillstand von 1609 die Frei-
heit. Ihre Unabhängigkeit wurde nach dem Ende
des Dreißigjährigen Krieges völkerrechtlich
anerkannt.

Die Grenze zwischen den südlichen und
nördlichen Provinzen, die der heutigen zwischen
Belgien und Holland ungefähr entspricht, ergab
sich mehr oder minder zufällig aus der Kampf-
linie zur Zeit des Waffenstillstands. Sie trennte
willkürlich ein Volk und eine Kulturlandschaft.
Aber da sie einmal existierte, entwickelten sich
der Norden und der Süden in ganz unterschied-
licher Weise. Der traditionsreiche Süden blieb
katholisch und monarchistisch, während der
Norden den Calvinismus zur Staatsreligion erhob
und sich eine republikanische Regierungsform
gab, in der bürgerliche Kaufleute den Ton an-
gaben. Jetzt erlebte Holland einen steilen Auf-
stieg, der seinesgleichen in der abendländischen
Geschichte sucht. Das rückschrittliche Ländchen
wurde in wenigen Jahrzehnten zur führenden
Handelsmacht in Europa. Seine Handelsflotte be-
herrschte die Meere; die Anzahl ihrer Schiffe
überstieg die aller anderen Staaten. In diese Zeit,
in der Holland das »Land der unbegrenzten Mög-
lichkeiten« war, fällt das Leben Rembrandts. Er
erlebte den Aufstieg mit, hatte selbst am großen
Wohlstand teil, war aber auch am Ende seines
Lebens vom allgemeinen Rückgang der Wirt
schalt mitbetroffen.
 
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