Sechstes Capitel. Phylogenie.
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Sechstes Capitel.
Phylogenie.
(§§ 153—200.)
§ 153. Urkunden der Stammesgeschichte. Um die hypothetische Stammesgeschicbte der Ra-
diolarien zu construiren, können dieselben drei Urkunden benutzt werden, wie bei allen anderen Orga-
nismen, nämlich die Palaeontologie, die vergleichende Ontogenie und die vergleichende
Anatomie. Indessen sind diese drei Quellen für unsere Classe von sehr verschiedenem Werthe; die
beiden ersten sind uns zur Zeit nur höchst mangelhaft bekannt und eigentlich erst in einzelnen getrenn-
ten Fragmenten erforscht; sie können daher gegenwärtig nur sehr wenig und in geringer Ausdehnung
phylogenetisch verwerthet werden. Hingegen ist uns die vergleichende Anatomie der Radiolarien in so
befriedigendem Zusammenhange bekannt und gewährt so sichere Einblicke in die morphologischen Be-
ziehungen der verwandten Formengruppen, dass wir mit ihrer Hülfe sehr wohl im Stande sind, wenig-
stens die allgemeinen Grundzüge ihrer Phylogenie mit einiger Wahrscheinlichkeit festzustellen und darauf
die ersten Anfänge eines natürlichen Systems zu begründen.
§ 154. Natürliches und künstliches System. Obgleich bei der Classification der Radiolarien,
ebenso wie bei derjenigen aller anderen Organismen, das natürliche System als das wahre Ziel der
systematischen Gruppenbildung angestrebt werden muss, so ist doch unsere phylogenetische Kenntniss
der Radiolarien gegenwärtig noch viel zu unvollkommen und lückenhaft, um die hier gegebene sy-
stematische Darstellung der Classe als ein glücklich durchgeführtes natürliches System, d. h. als wahren
Stammbaum der Classe, gelten zu lassen. Andrerseits wird durch den ausserordentlichen Formen-
Reichthum der Radiolarien und durch die verwickelten Verwandtschafts-Beziehungen der zahlreichen
grösseren und kleineren Gruppen eine übersichtliche Gruppirung der verschiedenen Kategorieen und die
Aufstellung eines vollständig durchgeführten, wenn auch mehr oder weniger künstlichen Systems,
zu einer unabweislichen logischen Notwendigkeit. Unter diesen Umständen und unter gleichmässiger Be-
rücksichtigung jener beiden Forderungen wird das nachstehend durchgeführte System der Radiolarien
als ein Compromiss zwischen natürlichem und künstlichem System erscheinen, gleich allen
anderen zoologischen und botanischen Classifications-Versuchen. Einerseits ist darin der Versuch ge-
macht, die grösseren und kleineren Formen-Gruppen möglichst nach ihren phylogenetischen Beziehungen zu
ordnen; andrerseits aber ist zugleich das Unternehmen durchgeführt, dieselben durch logische Definitionen
möglichst scharf zu umgrenzen. Da beide Bestrebungen naturgemäss häufig in Conflict gerathen, ergiebt
sich von selbst die Un Vollkommenheit vieler Theile unseres Systems, dessen hypothetischer und provi-
sorischer Character ausdrücklich betont werden soll.
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Sechstes Capitel.
Phylogenie.
(§§ 153—200.)
§ 153. Urkunden der Stammesgeschichte. Um die hypothetische Stammesgeschicbte der Ra-
diolarien zu construiren, können dieselben drei Urkunden benutzt werden, wie bei allen anderen Orga-
nismen, nämlich die Palaeontologie, die vergleichende Ontogenie und die vergleichende
Anatomie. Indessen sind diese drei Quellen für unsere Classe von sehr verschiedenem Werthe; die
beiden ersten sind uns zur Zeit nur höchst mangelhaft bekannt und eigentlich erst in einzelnen getrenn-
ten Fragmenten erforscht; sie können daher gegenwärtig nur sehr wenig und in geringer Ausdehnung
phylogenetisch verwerthet werden. Hingegen ist uns die vergleichende Anatomie der Radiolarien in so
befriedigendem Zusammenhange bekannt und gewährt so sichere Einblicke in die morphologischen Be-
ziehungen der verwandten Formengruppen, dass wir mit ihrer Hülfe sehr wohl im Stande sind, wenig-
stens die allgemeinen Grundzüge ihrer Phylogenie mit einiger Wahrscheinlichkeit festzustellen und darauf
die ersten Anfänge eines natürlichen Systems zu begründen.
§ 154. Natürliches und künstliches System. Obgleich bei der Classification der Radiolarien,
ebenso wie bei derjenigen aller anderen Organismen, das natürliche System als das wahre Ziel der
systematischen Gruppenbildung angestrebt werden muss, so ist doch unsere phylogenetische Kenntniss
der Radiolarien gegenwärtig noch viel zu unvollkommen und lückenhaft, um die hier gegebene sy-
stematische Darstellung der Classe als ein glücklich durchgeführtes natürliches System, d. h. als wahren
Stammbaum der Classe, gelten zu lassen. Andrerseits wird durch den ausserordentlichen Formen-
Reichthum der Radiolarien und durch die verwickelten Verwandtschafts-Beziehungen der zahlreichen
grösseren und kleineren Gruppen eine übersichtliche Gruppirung der verschiedenen Kategorieen und die
Aufstellung eines vollständig durchgeführten, wenn auch mehr oder weniger künstlichen Systems,
zu einer unabweislichen logischen Notwendigkeit. Unter diesen Umständen und unter gleichmässiger Be-
rücksichtigung jener beiden Forderungen wird das nachstehend durchgeführte System der Radiolarien
als ein Compromiss zwischen natürlichem und künstlichem System erscheinen, gleich allen
anderen zoologischen und botanischen Classifications-Versuchen. Einerseits ist darin der Versuch ge-
macht, die grösseren und kleineren Formen-Gruppen möglichst nach ihren phylogenetischen Beziehungen zu
ordnen; andrerseits aber ist zugleich das Unternehmen durchgeführt, dieselben durch logische Definitionen
möglichst scharf zu umgrenzen. Da beide Bestrebungen naturgemäss häufig in Conflict gerathen, ergiebt
sich von selbst die Un Vollkommenheit vieler Theile unseres Systems, dessen hypothetischer und provi-
sorischer Character ausdrücklich betont werden soll.