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IV.
GRASSERS VERHÄLTNIS ZU SEINER ZEIT.
WERKSTATT UND SCHULE
Die Anfänge der Kunst Erasmus Grassers liegen im Dunkel. Die erste Nachricht
über den Meister lautet auf das Jahr 1474 bzw. 1475. Man wird seine Geburt etwa um
1450, also etwa gleichzeitig mit Adam Krafft und Veit Stoss ansetzen dürfen. Im Jahre
1477 erscheint er in der Stadtkammerrechnung bereits als Meister in Zusammenhang
mit jenem Werk, das mehr noch als heute auf seine Mitwelt und nicht zuletzt auf seine
eigentlichen Zunftgenossen als eine kaum zu fassende Überraschung, als eine unerhört
fortschrittliche Tat wirken musste: seinen Narrenfiguren. Wie diese unbändigen Ge-
sellen mit einem Sprung auf den Tanzboden stürmen, alle Blicke auf sich fesselnd, das
artistische „Ecco“ auf den Lippen, so der Meister selbst: „Hier bin ich, wer kommt mir
gleich?“
Und fünf Jahre danach der Stein des Aresinger! Zwei Werke, die ihrer Zeit um fast
Jahrzehnte, dort in Kühnheit der Gestaltung, hier in formaler Klärung, dort in aus-
gelassenstem Lebensübermut, hier in sakraler Feierlichkeit vorauseilen, zwei Werke
von solch innerem Reichtum und von solcher Fülle widerstrebender Gegensätzlich-
keiten, dass man, belehrten uns nicht Archivale und Inschrift eines anderen, kaum hin-
ter beiden die gleiche schaffende Kraft vermuten würde.
Man wird dieser voranstürmenden, alle künstlerische Umwelt weit hinter sich las-
senden Natur erst voll bewusst, wenn man zunächst versucht, ihre Wurzeln freizu-
legen. Dieses hält aber umso schwerer, als sich schlechterdings keine oder doch nur sehr
allgemeine Anschlüsse an die der Kunst Grassers unmittelbar vorangehenden Werke
mit einiger Sicherheit belegen lassen.
Man muss wohl aus rein äusserlichen Gründen wie aus den Zunftgewohnheiten
der Zeit annehmen, dass er seine Lernjahre in seiner engeren Heimat zubrachte, sei
es in der Oberpfalz selbst oder in Altbayern im engsten Sinne, in Ober- oder, was mir
wenig wahrscheinlich dünkt, in Niederbayern.
Den Keimen seiner Kunst im Umkreis seines Geburtsortes Schmidmühlen nach-
zugehen, also etwa im heutigen Bezirksamt Burglengenfeld, ja über dieses hinaus-
greifend, in der südlichen Oberpfalz, erweist sich als vollkommen unerspriesslich; denn
die wenigen Bildwerke aus den Tagen seiner Jugend- und Lehrzeit — also etwa aus
dem zweiten Drittel des 15. Jahrhunderts —, die aus den Stürmen der endlosen ober-
pfälzischen Religionswirren auf uns gekommen sind, sind karg an Zahl und ausserdem
nicht von solch starker, persönlich klarer Prägung, dass man in einem oder dem anderen
ohne weiteres die führende Hand eines Lehrmeisters erkennen könnte. Denkbar da-
gegen wäre, zumal wenn die verwandtschaftlichen Beziehungen Erasmus Grassers,
wie sie möglicherweise zu den Grassern Prüfenings zu Ende des 15. Jahrhunderts be-

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