Für die Schöpfungen der Meister aus der Glanzzeit der griechischen
Kunst sind wir der Hauptsache nach auf die schriftliche Überlieferung ange-
wiesen und können dieses matte Bild nur hie und da durch den Nachweis
von Kopien ihrer Werke beleben; im Zeitalter der absterbenden Republik
und des römischen Kaiserreichs dagegen lernen wir eine Gruppe von Künstlern
aus den Werken ihrer eigenen Hand kennen, an welchen die Verfertiger
ihren Namen und ihre Heimat verewigt haben; in der alten Litteratur findet
sich von ihnen keine sichere Spur. Bei dem Versuch, jene Werke in den
Gang der Kunstgeschichte einzureihen, empfinden wir recht lebhaft, wie in
andern Fällen auch die dürftigste litterarische Notiz uns auf den richtigen Weg
zu weisen vermag.
Alle jene Bildhauer nennen sich Athener; man fasste sie deshalb unter
der Bezeichnung als ,,neu-attische Schule“ zusammen. Eine Schule, welche
den Kreis ihrer Angehörigen nach deren Herkunft lokal begrenzte, darf in
der Epoche der zowvj als eine auffallende Erscheinung gelten. Wir wollen
deshalb sehen, was die Neu-Attiker von andern gleichzeitigen Künstlern unter-
scheidet, namentlich in welchem Verhältniss sie zur Schule des Pasiteles stehen.
Als Brunn vor bald vierzig Jahren die Grundlage für die antike Kunst-
geschichte schuf, musste er unsern Künstlern nach dem damaligen Stand der
Forschung ein gewisses selbständiges Verdienst lassen; er erkannte ihnen die
Eigenthümlichkeit zu, dass sie zwar in der allgemeinen Anlage ihrer Statuen
sich an bewährte Muster anschliessen, diese aber dem Geschmack ihrer Zeit
näher bringen, indem sie die charakteristischen Züge ihrer Vorbilder stärker
auftrugen, damit sie auch von dem weniger fein empfindenden Auge der
Römer erfasst würden.1 Wie gross er sich damals die Selbständigkeit
der Neu-Attiker dachte, geht aus dem Beispiel hervor, durch welches er
seine Ansicht illustrierte: so sollten wir unserem Kreise die Umwandlung der
Knidischen Aphrodite des Praxiteles in die Mediceische Venus verdanken.
Brunn sah aber voraus, dass weitergehende Untersuchungen den Künstlern
selbst von diesem zweifelhaften Verdienste noch etwas abziehen würden.2
So ist es auch gekommen. Von der Mehrzahl ihrer Werke können wir jetzt
nachweisen, dass sie nichts anderes sein wollen, als nach Kräften treue Kopien
der alten Meisterwerke.
1 Geschichte der griechischen Künstler I S. 560 ff.
2 a. a. O. S. 583.
Hauser, Die neuattischen Reliefs. 1
Kunst sind wir der Hauptsache nach auf die schriftliche Überlieferung ange-
wiesen und können dieses matte Bild nur hie und da durch den Nachweis
von Kopien ihrer Werke beleben; im Zeitalter der absterbenden Republik
und des römischen Kaiserreichs dagegen lernen wir eine Gruppe von Künstlern
aus den Werken ihrer eigenen Hand kennen, an welchen die Verfertiger
ihren Namen und ihre Heimat verewigt haben; in der alten Litteratur findet
sich von ihnen keine sichere Spur. Bei dem Versuch, jene Werke in den
Gang der Kunstgeschichte einzureihen, empfinden wir recht lebhaft, wie in
andern Fällen auch die dürftigste litterarische Notiz uns auf den richtigen Weg
zu weisen vermag.
Alle jene Bildhauer nennen sich Athener; man fasste sie deshalb unter
der Bezeichnung als ,,neu-attische Schule“ zusammen. Eine Schule, welche
den Kreis ihrer Angehörigen nach deren Herkunft lokal begrenzte, darf in
der Epoche der zowvj als eine auffallende Erscheinung gelten. Wir wollen
deshalb sehen, was die Neu-Attiker von andern gleichzeitigen Künstlern unter-
scheidet, namentlich in welchem Verhältniss sie zur Schule des Pasiteles stehen.
Als Brunn vor bald vierzig Jahren die Grundlage für die antike Kunst-
geschichte schuf, musste er unsern Künstlern nach dem damaligen Stand der
Forschung ein gewisses selbständiges Verdienst lassen; er erkannte ihnen die
Eigenthümlichkeit zu, dass sie zwar in der allgemeinen Anlage ihrer Statuen
sich an bewährte Muster anschliessen, diese aber dem Geschmack ihrer Zeit
näher bringen, indem sie die charakteristischen Züge ihrer Vorbilder stärker
auftrugen, damit sie auch von dem weniger fein empfindenden Auge der
Römer erfasst würden.1 Wie gross er sich damals die Selbständigkeit
der Neu-Attiker dachte, geht aus dem Beispiel hervor, durch welches er
seine Ansicht illustrierte: so sollten wir unserem Kreise die Umwandlung der
Knidischen Aphrodite des Praxiteles in die Mediceische Venus verdanken.
Brunn sah aber voraus, dass weitergehende Untersuchungen den Künstlern
selbst von diesem zweifelhaften Verdienste noch etwas abziehen würden.2
So ist es auch gekommen. Von der Mehrzahl ihrer Werke können wir jetzt
nachweisen, dass sie nichts anderes sein wollen, als nach Kräften treue Kopien
der alten Meisterwerke.
1 Geschichte der griechischen Künstler I S. 560 ff.
2 a. a. O. S. 583.
Hauser, Die neuattischen Reliefs. 1