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Haussherr, Reiner
Der tote Christus am Kreuz: zur Ikonographie des Gerokreuzes — 1963

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https://doi.org/10.11588/diglit.31126#0229
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verstärkt. Das Zusammengebrochensein des Toten ist Bild geworden.
In dieser Steigerung des expressiven Elementes geht das Gerokreuz
weit über die karolingischen Kruzifixdarstellungen hinaus. Mehr
als im neunten Jahrhundert, wo der Sinn jener Kruzifixbilder ganz
an das Sakramentale gebunden war, scheint hier der Tod Jesu als
Erlösungstat Gestalt gewonnen zu haben. Gedanken, die in karolin-
gischer Zeit an die Sphäre der Meßliturgie gebunden waren und nur
langsam in die Auslegungen der Kreuzigungsberichte eindrangen,
werden selbständiger. Eher als bei den karolingischen Bildern
denkt man an das deuterojesajanische Lied vom Gottesknecht Jes 53,
einen der Hauptpassionstexte: "... daß er sein Leben in den Tod
dahingab und unter die Übeltäter gezählt ward, da er doch die Sün-
den der vielen trug und für die Schuldigen eintrat." (Jes 53,^2)

Damit werden Formelemente, die aus der byzantinischen Darstel-
lung des toten Gekreuzigten stammen, in einer Weise gebraucht
und dem Abendländischen anverwandelt, die dem Sinne jener byzan--
tinischen Kruzifixbilder ganz zuwiderläuft. In Byzanz sollte im-
mer die Lebenskraft des Logos, seine Wirksamkeit in dem toten
Leibe Ghristi, das zuständliche Nebeneinander von göttlicher und
menschlicher Natur in Christus das Thema der Krjzifixdarstellung
sein. Dagegen betonte das Abendland viel mehr den historischen
Ablauf der Passion, die Realität von Leiden und Tod Christi und
den Heilswert des Kreuzestodes als stellvertretenden buhnetod.
Gerade diese Dinge sah man in den byzantinischen Darstellungen
des toten Gekreuzigten nicht zum Ausdruck gebracnt. Ihre Umdeu-
tungen im Abendland und die scharfe Ablehnung, dle Humbert gegen-
über den theologischen Hintergründen jener Darstellungen aus-
sprach, bestätigen das.

Die Begriffe real, sakramental und historisch sind bereits in
der Eucharistielehre des neunten Jahrhunderts untrennbar mitein-
ander verbunden worden. Die Heilswirkung der Sakramente wird aus-
führlicher und betonter, als das vorher geschehen war, in der
Realität und in der historischen Abfolge von Christi Leben begrün-
det. In der Meßerklärung des Amalar von Metz und in der Euchari-
stielehre Radberts wird der Ablauf von Passion und Messe real in
eins gesetzt. Das Sakramentale und das Historische sind nicht
 
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