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Heidelberger Journal (46) — 1852

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Beilage-Blätter Nr. 1-13; 15-18: 20-22; 24-60; 62-157
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https://doi.org/10.11588/diglit.66017#1243
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* 3

Mittwoch, den 7. Januar

. 1852.

Stuttgart, 2. Jan. Der großh. badiſche
Major v. Seutter vom Generalſtab iſt
hier angekommen Wie es heißt, ſoll der
Verband des 8. Bundesarmeecorps (Würt-
temberg, Baden und Heſſen) wieder herge-
ſtellt werden und wird die Ankunft des er-
waͤhnten Offieiers damit in Verbindung ge-
ſetzi —

Wien, 30. Dec. Der von der Leitung

des Finanzminiſteriums zurüdgetretene Frei-
herr vı Krauß mar das älteſte Mitglied
des gegenwärtigen Miniſteriums. Nach
dem Rücktritt des Frhrn! vr Kübed über-
nahm er im Miniſterium Figuelmont im
April 1848 die Leitung der Finanzen; er
behielt fie bei den Ddarauf foigenden
Miniſterien Pillersdorf und Weffenderg-
Doblhoff. Während des Oetobers 1848
repräſentirte er in Wien und Weſſenberg
in Olmütz allein das öſterreichiſche Mini-
ſterium. Er war damals propiſoriſcher
Vorſtand aller übrigen Portefeuilles, Er
trat auch alg Mitglied in das im Novem-
ber 1848 gebildete Miniſterium Schwar-
zenberg ein, und hat fomit ununterbrochen
faſt durch 4 Jahre ſein Portefeuille ver-
waltet.
— 31. Dee. Der Miniſterialrath Dr.
Hock wird bei den Berathungen des öſter-
reichiſch-deutſchen Zolleongreſſes das
Protocoll führen. *

Berlin, 1, Jan. Die in der „Alls.
Zeitung“ neulich gemachten Mittheilungen
über die Berufung des Paſtors Balen-
tiner nach Jerufaͤlem iſt zwar im weſent-
lichen richtig enthält aber in den Neben-
umſtänden Ünrichtigkeiten, die den trefflichen,
beſcheidenen Mann in einem minder gün-
ſtigen Lichte erſcheinen taffen! Eine Auffor-
derung, ſich zu der Stelle in Jeruſaleni zu
melden, iſt gar nicht an Valentiner er-
gangen; dieſe iſt ihm vielmehr durch ver-
traute Vermittelung angeboten worden.
Auf ſeine nach ernſtlicher Erwägung gegebene
Erklaͤrung der Annahme der Stelle wurde
die Sache in amtliche Behandlung genom-
men, und war bereits abgaemadıt, als
Valentiner in Berlin eintraf, Er hat alſo
gar nicht in die Lage kommen können eine
ſchleunige Entſcheidung mit Ja oder Nein
zu fordern, oder den hierarchiſch ühlichen
Weg langweilig zu finden.

Nebrigens iſt er auch gar nicht nach
Berlin gekommen, um die Sache zu betrei-
ben, ſondern iſt durch dieſelbe vertraute Ver-
mittelung aufgefordert worden hinzugehen,

um ſofort nach Empfang ſeiner Berufung
ſeine Reiſe nach Jeruſalem fortſetzen zu können,
wo ſeine Ankunft dringend zu wünſchen war.
Valentiner hat bei der ganzen Verhandlung
eine ſolche Beſcheidenheil und wahre Demuth
an den Tag gelegt, daß die Schilderung
feines Muftretens in dem fraglichen Artifel
MÜ Der MahrIeit in einem wirklich ſonder-
baren Lontraſte ſteht.
erlin, 3, Jan Der König hat am
1, D, DaS Entlafungsgefuch des Kriegsmi-
nifters, Generallieutenants v. Stodhau-
fen, angenommen. Der Director des auͤ—
gemeinen RTthö‘b'epqrtemmté‚ General v.
Wangenheim, ift mit der interimiftifchen
Verwaitunz des Kriegsminifteriums beauf-
tragt, Als künftigen Kriegeminifter hören
vir in den meiſten Kreifen einen zur Zeit
am Rhein ſtehenden General nennen.

Von den Abgeordneten Wentzel, v, Pa-

tow, Harkort/ v. Vincke, Befeler, Oraf

Dohna, Stentzel v, Auerswald, Graf Dyhrn
und noch etwa 50 andern Mitgliedern der
3, Kammer iſt das In der vorigen Seſſion von
der 2 Kammer angenommene Geſetz über
die Miniſter verantwortlichkeit ein-
gebracht. Bekanntlich wurde dieſes Geſetz,
nachdem die erſte Kammer daſſelbe verworz
fen hatte, reponixt. Die gegenwärtige Bor-
lage ſtimmt im Weſentlichen mit dem von
dem Miniſterium ſelbſt eingebrachten Ent-
wurfe, jedoch unter Berückfichtigung der in
der Berathung beſchloſſenen Abänderungen
überein. Jeder der beiden Kammern wird
das Recht zur Anklage beigelegt.

Feuilletou.

Heinrich der IV. als Brautwerber.
2

Die Gräuel des zweiten Religtonskrieges
verwüſteten eben Fraukreich! Die Felder in
den ſüdlichen Provinzen, in welchen das meiſte
Blut floß/ ſtarrten dem flüchtigen Waͤnderer wie
eine Wildniß entgegen, denn das Unkraut wuchs
auf den unbebauten Aeckern, die in ruhigeren
Zeiten nährende Staaten getragen hHatten, und
die zahmen Hausthiere raͤnnten zwiſchen rau-
chenden Schutthaufen, jammernden Müttern und
kummervolle Vätern wie gejagte Hirſche ſcheu
durch Flur und Wald! Jede Nacht fah das
gräßliche Schauſpiel eines brennenden Schloſſes,
einer in Aſche zerfallenden Stadt, und hunderte
von tapfern Kriegern, hunderte von wehrloſen
Bürgern, Greiſen, Jungftauen und Kindern,
welche das Gewühl der Schlacht oder die kalt-
blütige Mordluſt des Siegets verſtümmelt hatte,
ſtarben neben dieſen grauͤſamen Illuminationen
eines finſtern Fanatismus. Und glücklich noch
der, den die Morgenſonne des kommenden Ta-
ges nicht mehr zum Leben erweckte, denn der
Ueberlebende rief neben den Ruinen ſeines hei-
mathlichen Hauſes umſonſt nach Hülfe! Das
anſteckende Beiſpiel des Krieges halte die mei-
ſten Menſchen entartet, hart und gefühllos ge-
macht! Hart ſchritten ſie am Jammerbild ihres
Nachbars vorüber und jeder dachte nur an ſeine
eigene Rettung!

In dieſer Zeit ſtehen wir vor dem niedern
Dachſtübchen eines baufälligen Hauſes von Lyon.
Wir können durch die Ritzen der angelehnten
Thüre das Innere dieſer ärmlichen Wohnung
betrachten. In einer Ecke liegt ein Häuſchen
Stroh, das Bett des Miethinhabers; daneben
ſteht auf dem Boden ein mit Waſſer gefüllter
Krug ohne Henkel — ſein Weinkeller; und
ſtatt eines Stuhles lehnt an der Waͤnd ein
Stab von Buchenholz, das einzige Mobilar ei-
nes vater⸗ und mutterloſen Enkels hoher Ahnen.
In der Mitte ſteht er ſelbſt, ein hochgewachſener
Jüngling, mehr noch dem Knabens al8 dem
Mannesalter angehörend; denn er zählt kaum
ſechzehn Jahre. Das ärmliche Kleid auf ſeinem
Leibe iſt ſein ganzer Reichthum, iſt alles, was
ihm von den Gütern und Burgen ſeines Va-
ters übrig geblieben. Heiße Thränen rollen
herab über feine bleichen Wangen und in ſei-
nen ſtieren Geſichtszügen leſen wir deutlicher,
als die lauteſten Woͤrte uns verkünden koͤnnten,
ſeinen Kampf gegen ein namenloſes Elend. Wo-
von ſo jammert er eben — wovon ſoll ich
leben, wenn dies letzte, verſchimmelte, trockene
Stückchen Brod, das ich hier in meinen Haͤn—
den halte und das meinen heißen Hunger nur
für wenige Stunden lindern kann, verzehrt iſt?
— Bei jedem Geräuſch von außen bebt er zu-
jemmen, denn er fürchtet, daß die geizige Wir-
thin komme, ihn aus dem Stübchen zu vertreiben.

Und wirklich entſteht jetzt ein Gepolter un-
ten auf der Treppe! Ein haͤßliches Weib, aus
deſſen gefürchten Mienen die Barmherzigkeit
einer Furie ſpricht, eilt die Stufen herauf In
das Gemach des Unglücklichen. Der Jüngling
fleöt und beſchwört die Hartherzige, Mitleid zu
haben mit ſeinem Schickſal, und ihm den Mieth-
zins noch zu geſtunden.! Umſonſt! Gr muß
ſein letztes Aſyl verlaffen. Von den Berwün-
ſchungen der unbezahlten Hausheſttzerin begleitet,
wandert er mit ſeinem Buchenftab zur Thüre
hinaus, und nöch unten auf der Treppe fallen
ihm deren Scheltworte nach, daß er ein Land:
ſtreicher ſei — ein Taugenichts, von dem man
wohl wiffe, daß er zur gofflofen Ketzerbande
gehoͤre, denn er hHabe fich vierzehn Tage lang
mit anderer Leute Brod gütlich gethan, obhne
ein einziges Mal zur Meffe gegangen zu fein,

Der Jüngling, den wir einſtweilen Thes-
dor nennen wollen waͤnderte durch die einz
ſamen Straßen von Lyon zum Stadtthore hin-
aus, ſtumm und ohne Klage. In ſeinem Ins _
nern wühlte ein furchtbarer Schmerz, Sein
Herz klopfte hörbar, als ob e8 aus der Bruft
herausſpringen wolle; über- feine Lippen aber
konnte er keinen Laut bringen, feine Kehle war
wie zugeſchnürt. Auch ſtand keine Thräne mehr
auf ſeiner jetzt vor Scham gerötheten Wange
— ber heftige Wind haͤtte fie weagefpült und
ſein Auge ſchien vertrocknet zu fein! So waͤnkte
ev wirren Blickes die Heerſtraße fort, ſtunden-
lang und planlos, bis er endlich neben einer
abgebrannten Bauernhütte niederſank.

Ein zierlich gekleideter Reiter kam des We-
ges dahergeſprengt. Theodor von den Qualen
des Hungers getrieben, wagte jebt, was er noch
nie in ſeinem Leben geübt! Er flehte den Retz
ter um ein Almoſen! Hilf Dir ſelbſt fo wird'
guch Gott Dir helfen! war des Fremden kurze
Antwort, und haͤſtiger trich er, ohne Theodor
auch nur eines Blifes zu würdigen, fein Pferd
an, ſo daß er ſchon na mwenigen Minuten
wieder aus dem Gefichtokreis verſchwunden war.

Hilf Dir ſelbſt! miederholte Theodor noch
oft, als längſt keine Spur mehr vom Reiter
zu erfennen mwar, und er ftarıte Dabei hin auf
den Hügel, der ihm den Anblick des Gefühllofen
verbarg; er ſtartte ſo feſten und durchdringen-
den Blickes Hin auf die grünen Geſträuche und
Zweige der wellenförmigen Anhöhe al8 müſſe
ec unter den Blättern etwas Herausfinden, was
ihm die Antwort tröſtlicher maͤche! Wo ſoll
ich umherirrender Pilgrim Hülfe finden? Meine
Eltern und Verwaͤndten ſind todt, mein Erb-
theil iſt ein Haufen Schutt; und was ich ge-
lernt, das gilt nichts in dieſer Zeit allgemeinen
Haſſes!

Wir müſſen hier ſchon dem Leſer verrathen,
daß wir nicht die Jugendleiden eines gewöhn-
lichen Menſchen ſchildern. Der Jüngling, den
wir hier ſo verlaffen und troſtlos ſehen, wurde
ſpäter einer der hervorragendſten Helden, Ge-
lehrten und Geſchichtsſchreiber Frankreichs, und
was mehr als das alles iſt: einer der edelſten
Charaktere, deſſen Tugenden ihn für die fern-
ſten Jahrhundette zu einem Muſterbild für je-
des edle Herz machen.

€ bildet ein Talent ſich in der Stille,

Sich ein Charaͤkter in dem Strom der Welt,
ſagt Meiſter Göthe ſo wahr als ſchön. Theo-
dors Talent war bereits vlelfach in der Schule
eines Weltweiſen geweckt und herangebildet wor-
den; aber jetzt aus der einſamen Stube des
Gelehrten herausgeſchleudert in das Gewühl
eines ſtürmiſchen Lebens, mußte ev ſich durch
harte Erfaͤhrungen erſt einen Charakter erkäm-
pfen, wenn er nicht bei all ſeinem redlichen
 
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