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Heidelberger Journal (46) — 1852

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Beilage-Blätter Nr. 1-13; 15-18: 20-22; 24-60; 62-157
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https://doi.org/10.11588/diglit.66017#1417
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Freitag, den 9. Juli

1852



Frankreich.
Paris, 4. Juli. Der „ Moniteur “
Bibt heute ın feinem amtlichen Theıl das
ÖGefeg definitiver Erledigung des Budgete
on 1848 bekaunt. Dafjelbe beläuft fich aut
Ddie ungeyeure Summe von 1,757,594,875 $r.
?{ufierbem veroͤffenilicht das amılide Blan
fine Verordnung des Polizeiminıfiers ven
aupas, kraft welcher Der „Corfaitc“ für
zwei Monate ſuspendirt iſt. In feinem nicht-
amtlichen Theil enthält der „Moniteur“
zwei kurze Leitartikel: einen nämlich über
Ddie lebhaͤfie Befriedigung, welche die letzten
Lifenbaͤhubauconceſſionen an den bei den-
ſelben am meiſten betheiligten Orten her-
vorgerufen haben, und einen andern, ent-
haliend eine ſtatiſtiſche Mittheilung über den
kerufefaͤhigen Unterticht im Ackerbau. Von
81 Biichöfen Frankreichs haben 46 ihre Zu-
fimmung zu dem Schreiben des Biſchofe
von Orieals erklaͤrt, in welchem dieſer Die
griechiſchen und laͤteiniſchen Claſſiker als
zur Ausbildung geeignete Bücher bezeichnet,
ne Behauptung diẽ in dem ultramontanen
Aßer ihre entfchiedenften Gegner findet.
Q}E feierliche Eröffnung der Straßburger
Eiſendahn, welcher der Prinz⸗Präſident be-
flimmt beiwohnen wird, iſt vom 17. auf
den 24. Juli verſchoben. — Das Complott
der Barriere Fontginebleau ſoll immer mehr
an Bedeutung verlieren, je weiter die Un-
terfuchung voͤrſchreitet. Es heißt, die Affaire
ſtelie ſich bereits als ſo unerheblich heraus,
daß fie waͤhrſcheinlich nicht vor dem Aſſi-
ſerhofe, fondern vor dem Zuchtpolizeigerichte


weiteres vor/ alg eine heimliche Anfertigung
von Kriegswaffen. Vorgeſtern Abend gegen
5 Uhr verfügte ſich der Prinz-Präſident,
nur von einem Adjutanten begleitet, in D}
fener Caleſche nach dem Platze in dex Nähe
des Stadthaufes, wo eine neue Kaſerne
gebaut wird, um die Bauten in Augenſchein
zu nehmen. Er wurde von den Arbeitern
und einer ſich alsbald verſammelnden gro-
Ben Volksmenge mit enthuͤſiaſtiſchen Zuru-
en begrüßt. Die Boͤrſe war heute, der
drügenden Hitze wegen, weniger beſucht,
das Geſchaͤft jedoch trotzdem fehr belebt.
Die Notirungen der fraͤnzoͤſiſchen Reuten
nahmen wieder einigen Aufſchwung. Die
Baͤnkactien, ſowie mehrere Eiſenbahnactien,
beſonders die Lyener/ waren ſtark begehrt.

Paris, 6. Iuli. Man beſchäftigt ſich
mit Vorbereitung des Geſetzentwurfes in
Betreff der Gewerkverſtaͤndigenraͤthe. Hier
ſind die Haupiverfügungen deſſelben: Man
wird zu 25 Jahren Wähler und zu 30
Jahren waͤhlbar fein. Um gewählt zu wer-
den, muß man wenigſtens leſen und fchrei-
ben fönnen. Die Raͤthe werden zur Hälfte
alle drei Jabre erneuert, die Präſidenten
und Vieepraͤſidenten werden vom Präſiden.
len der Repuͤblik ernannt und können außer
halb der Wahlberechtigten und der Wahl-
faͤhigen genommen werden. Die Mitglieder
des Rathes werden hoͤchſtens 16 und we-
nigſtens 10 ſein. Die Parteien werden ſich
unter keinem Vorwande von einem Ber-
heidiger unterſtützen laſſen können; das
Lontumazurtheil, welches nach Verlauf von

Monaten nicht vollzogen iſt, wird als
ungeſchehen angeſehen. Die Regierung wird
die Gewerkverſtändigenräthe aufiöſen können
auf den Bericht des competenten Miniſters
Im Falle von Coalition oder Feierung ſoll
der Raͤth ſich beſireben, die Meiſter und


auffeßen , um unmittelbar die competente
Behoͤrde davon zu unterrichten. Durch ein
Decret des Prinz Präſidenten vom geſtrigen
Taͤge iſt und bleibt die Seſſion des Senate
für 1852, welche am 29, März d. S erz
öffnet wurde, geſchloſſen.

Italien.

Turin, 30. Juni. Die Debatten über
das Ehegeſetz waren geſtern und heute febr
febbaft, mitunter ſogar tumultariſch. Die
Meinungen für und gegen rannten hart
an einander, Nach vielen Hin- und Her-
reden wurde heute beſchloſſen, morgen die
Debaͤtten fortzuſetzen.

Feuilleton.
Ein Naturdichter.

K, — Sn der ärmlichen Huͤtte eines Hau-
ſirers geboren, und den unterſten Stufen des
Proletartats angehürend, lebt in Niederkail
an der Eifel gegenwärtig ein junger Mann
von kaum 24 Jahren, deſſen voetiſche Bega-
bung Staunen erregt. Er hat nie eine andere
Bildung genoffen, al8 die, welche ihm die
Eifeler Doͤrfſchule gewähren Fonnte; und auch
dieſe Schule befuchte er nur während der fireng-
ſten Wintermonate, da er in der guten Jahres
zeit mit den Eltern wandernd umferziehen und
Steingutwaaren verfaufen mußte, Wie weit
er e8 trotz dieſes Minimums literartſcher Bil-
dung in Ueberwindung formaler Schwierig-
keiten gebracht, dafür ſpricht folgendes von ihm
verfaßte und „der., gefangene Ritter"

betitelte ©edicht: .
Das Abendroth fliebt; es nahet die NMacht,


Sie ſchliehet das Auge, das troſtlos geweint,
Erquickung reicht ſie dem Müden.

Im Schloſſe, deß Mauern beſpület das Meer,
Da ſchmachtet ohne Erbarmen

8 Kerler ein Ritter viel Jabre ſchon.

Bringt ſie auch Frieden dem Armen?

Er ſiehet kaum, wenn die Sonne ſcheint,

Kaum, wenn das Abendroth glühet;

Er hört nur das Kauſchen der Wellen, wann wild
Ein Wetter votüberziehet.

Durch eine Luke, vergittert und klein,
Schaut er eruſt über die Slutben,

Yuf denen des Mondes blaſſer Schein
Und Sternenſchimmer ruͤhten.

Da rauſcht es und plätfhert es langſam heran,
Jetzt höret erg deuilichk dort untın ;

Hat denn durch Wogengeprauſe den Weg

Die diebe zum Kerker gefunden ?

Der Nitter, er lebnt arı vas Gitter das Ohr
Er höret ein wunderbar Klingen —

E tönet Geſang zur-Lufe empor,

Sein eignesg Lied hört er ſingen!

Das hat er fein Liebchen einft fingen gelehrt,
In ſchöneren Lebenstagen.

Ach, Eft e$ tein Traum, der den Armen vethört,
Darf er e$ zu glauben wagen?

Sein Liebchen ifl’$, das in kühner Fahrt
Vollbringet das fühne Waogen,

Sm {fchwanken Rahne zum Armen den Treſt
Der treuen Liebe zu tragen!

Wie ſchwer auch ſein Oerz iſt vom alten Leid,
Er ftimmet.ein in das Singen, ;
Und fühlet füßen, himmlifhen Troſt

In ſeine Seele dringen.

So fingen zufammen die Treuen das Lied,
Vergeffend ihr bitteres_Leiven,

Bis daß der Tag im Oſten erglüht

Und mahnet wieder ans Scheiden.

Es ſchleichet der Tag ſo träge dahin.
Wiro's Heute ihr wieder gelingen?
Sobald die Sterne am Hımmel erglühn,
Sie wieder zuſammen fingen? —

Etiſt ſtand er harrend des Liebchens ſo lang,
Der Abend war Ik blich und mild — C
Er lebnet am Oitter fo ahnungsbang —
Wie hebt ſich der Sturm fo wild!

Da rollet der Donner im wilden Gebraus,
Es mübhlet der Sturm in dem Meer;

Es zucken am Himmel die Blige ſo wild.
Treuͤliebchen, o wag Dich nicht her!

Da taumelt er hin auf den feuchten Sitz.
Verzweifelnd die ſchregliche Nacht

Der KRıtter, von Angft und Qualen erfuͤllt,
Bis zu dem Morgen durchwacht.

Und als er beim Morgenlichte binaus
Schaut in der Wellen Neich —

Da frägt einen Leichnam die Fluͤth daher,
— Es ift ſein Liebchen ſo bleich!

Da taumelt er auf ſein Lager zurüc,
Es legt ſich die Todesnacht

Aufg Auge des Armen; fie hat ihm doch
Den Frieden endlich gebracht.

Dies als Probe! Wer von unſerm neuen
Naturdichter mehr zu leſen wünfcht, dem eme
pfehlen wir ſeine dieſer Tage im Buͤchhandel
unter dem Titel: „Geſammelte Gedichte von
Peter Zirbes, wanderndem Steinguthaͤnd-
ler, heraͤusgegeben von W. D. v. Horn“
erſcheinenden Boefien. Dem Herausgeber Herrn
von Horn, deſſen vielgelefene „Sypinntube“
gewiß allen Abonnenten unſers Blattes bekannt
iſt, gebührt das Verdienſt, den armen Dichter
in ſeiner beſcheidenen Einſamkett zuerſt auf-
geſucht und aus der Dunkelbeit hervorgezogen
zu haben, Möge ihm dafär nun auch die
Genugthuung werden, das Loos ſeines Schütz-
lings durch zahlreiche Theilnahme des Publi-
cunis verbeſſert zu ſehen.! Er ſelbſt führt den
wandernden Sänger mit einem höchſt intereſſan-
ten Vorwoͤrt ein, aus dem wir, um nicht
vorauszugreifen, nur einen einzigen Zus wört:
lich hervorheben. Die Stelle, welche die Eltern
unfers Naturpoeten betrifft und zugleich ein
Bild von der Armuth an der Eifel liefern
mag, lautet: „Ihre Hochzeit wurde zlemlich
ſparfam gefeiert, und der Brautigam erzählte
nachher oſt ſeinen Kindern, daß er bei feiner >
Hochzeit ein Halstuch angehabt habe, in welz
dem zehn Katzen keine Maus hätten fangen
fönnen, wegen der vielen Löcher. — Daß e8
leichter iſt Heirathen, als Hauſen — iſt eine
alte Lebre.. Hat man nichis erheirathet, ſo
gibt ſich das fparfame Haufen von ſelbſt. Das
fand auch das junge Baar. Nikolaus Zirbes.
befamı von feiner Murter ein Leintuch und
einen Eßloͤffel zur Augiteuer. Sie wollte ihm
auch eine Gabel aeben, aber die nabm er
nicht; denn ſeine Frau brachte ibm auch nur
ein Leintuch und einen Eßlöffel zu, und er
wollte duͤrchaus nicht reicher fein, als ſie.“

Literariſche und Kunſt⸗Notizen.

Die in Leipzig bei O. Spanier erſchenene Schrift:
„Der Arzt, volfsthümliches Leſebach der vernünfe
tigen Lebendweife, befonders zum Schuß gegen die
Kranfkyeiten der Ackerbauenden, Selehrien, Ge-
fHäitsmänner, Handwerker und Künftler, von Dr.
€ KReclam“, verdient in hobem Grade duͤrch
große Berbreitung eine Voltsſchriſt zu werden. Ein
folcher ärzilicher Rathgeber ıf um fo empfedlen3=
werther, je arößer im Allgemeinen die Nafenntniß
auch der einfachften Regeln der Diatertk, ift. — Bon
andern eben erſchienenen Bolksfchriften nennen wir:
„Ralender=SGefchichten“ von Zranz Hoff-
mann, dem bekannten beliebten Kinderfchrirtiteller z
„WahHreVolkegelchidhten“ von © A. Pflanzz
und „HandbügiLein für das Volk und feine
Freunde von H. Pröhle“ Die Geſchichten von
 
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