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Sonntag/ den 11. Juli

1852

Deutſchland.

Leipzig, 7. Juli. Die /Deutſche Alg.
Zeitung“ theilt den Wortlaut der in der
Sigung der Zolleonfexenz am 1. SJuli ab-
Begebenen Erkflärung Preußens mit. Es iſt
folgender: „Die preußiſchẽ Regierung hat
wiederholt die Gründe dargelegt, aus wel-
en fie der Ueberzeugung iſt, daß Yor der
Einleitung von Berhandlungen mit Oeſter.
reich die Erneuerung und Erweiterung des
Zollvereing unter dem Hinzutritt des Sleuer-
bereins geſichert fein müſſe. Sie vermag
in Beziehung auf die Einleitung ſolcher Ber-
handluͤngen die Stellung des Zoͤlivereins erſt
dann alg geſtchert anzuſehen, wenn derVertrag,
deſſen Errichtung der Zweck der hier ſchwe-
benden Verhandlungen iſt, zum Abſchluß
gebracht ſein wird. Die preuß. Regierung
hat, von jener Ueberzeugung durchdrungen,
Unter dem 7, Juni d. I. eine Erklärung
abgegeben, welche ihren Standpunkt we-
ſenilich von demfjenigen unterſcheidet, wel-
Hen Bayern, Sachſen, Würtemberg, Ba-
den, Kurheffen, Großherzogthum Heſſen
Uund Naffau nach dem von ihnen unter dem
25. Mai d. 3. geflellten Antrage einneh-
men. Sie muß um ſo mehr Werth dar-
Auf legen, in kürzeſter Friſt davon Unter-
richtet zu werden, ob die bei dieſem An-
trage betheiligten Regierungen den von ihr
entwidelten Anfihten über die in Rede
ſchende Frage fich anzuſchliehen geneigt
feien, als ſich nicht verkennen laͤßt, daß die
Verhandlung unter dem fortdauernden Ein-
fluſfe der obwaltenden Meinungsverſchie-
Denheit nicht in erwuͤnſchter Weiſe gedei-

en kann. Das Bedürfniß nach einer Ent-
ſcheiduͤng über die zufünftige Geſtaltung
des Zouͤvereins wird aber von Tag zU
Tag dringender, Handel und SGewerbe, die
gefammten Verkehrsbeziehungen des Zoll-
dereins fuͤhlen ſich durch die Unſicherheit
gelähmt; die Ungewißheit, welche — über-
dieß noch duͤrch mandche falſch gedeutete Um-

Äände genaͤhri — auf den Verhältniſſen
laſtet, wird nach allen Richtungen hin im-
Mer ſchwerer empfunden und die preußiſche

egierung fühlt ſich gedrungen, ſo weit es
von ihr abhängt, dem Verlangen nach ei-
ner baldigen Entſcheidung gerecht zu wer-
den. Mit Rückficht hierauf, fowie in Er-
wägung, daß ſich ein Erfolg von den Ver-
handlungen ſo lange nicht abfehen läßt als
die Förderung und der Abſchluß der Zoll-
vereinsangelegenheit durch andexweite au-
ßerhalb der Sache liegende Umſtände auf-
gehaͤlten wird, endlich in Betracht, daß die
Berathung über den Vertrag vom %. Seps
tember v. J. ihrer Beendigung entgegen-
geht, nimmt die preußiſche Regierung kei-
Hen Anfland, daraͤuf anzutragen, daß von
Seiten Baͤyerns 2C. eine baldige Erklärung
darüber folge, ob Ihrerſeits bei dem in
der Sitzung vom 25. Mai d. J. geſtellten
Antrage beharrt werde, damit ſie demnaͤchſt
diejenigen Entſchließungen faſſen kann, welche
ſich als nothwendig würden anerkennen laſſen.“

Schweiz.

Der 6. Juli, der vielgefürchtete Tag der
zwei Volks-Verſammlungen zu Valendi, iſt
ohne den mindeſten Exceß vorübergegangen.
Frankreich.

X Paris, 7, Juli. Der Prinz-Präſident
der Republik hat vorgeſtern die Staaisbe-
hörden in Saint⸗Cloud empfangen und dann
zur Tafel gezogen. Geſtern beſuchte Ludwig

Napoleon von Saint⸗Cloud aus die Tui-


ſchein zu nehmen. Der Prinz⸗Präſident kehrte
fodanın um halb 9 Uhr Abends nach Hauſe
zuruck und nahm dabei ſeinen Weg über
die elyſeeiſchen Felder. Der Prinz war in
offenein Waͤgen, nur von ſeinem Adjutanten,
aber von keiner Escorte begleitet. — Der
„Moniteur“ fährt heute fort, die zuletzt noch
vom deſetzgebenden Körper angenommenen
und vom Senat genehmigten Geſetzentwürfe
zu promulgiren. Außerdem veröffentlicht das
amiliche Blatt heute einen Bericht des Mi-
niſters des Innern über die Zuſammenſe-
tzung ſtatiſtiſcher Commiſſionen in der Haupt-
ftadt eines jeden Kanions. — Der „Mo-
niteur“ ſagt ferner heute: Es ſeien ©erüchte
ausgeſprengt von angeblicher Entdeckung
eines Complotis in einem Regiment und
dieſelben hätten ſogar in verſchiedenen Blät-
tern Glauben gefunden, Dieſen Gexüchten
könne er als durchaus grundloſen entſchieden
widerſprechen/ die Armee werde bleiben, was
ſie bisher gewefen, feſt und treu in ihren
Pflichtẽn. Das fraͤnzoͤſiſche Evolutionsge-
ſchwaͤder iſt am 6, Juli, von Algier und
den baleariſchen Inſeln kommend, im Hafen


— Schon vor einiger Zeit hieß e6, auf
großem Fuß werde für den Prinz Präſiden-
ſen der Republik ein eigentlicher Hofſtaat
organiſirt werden. Das beftätigt fidh. Das
Reglement, welches die verſchiedenen Dienſt-
obliegenheiten beſtimmt, iſt bereits redigirt.
Man findet in demſelben ereirt: einen Groß-
ceremonienmeiſter als Einführer der Ge-
fandten einen Mundfchenk 20. Bei St. Cloud
hat ſich der Prinz⸗Präſtdent ein neues Be-
ſitzthum gefauft, um e8 ſeinem Oheim
Hieronymus zum Geſchenk maͤchen.

Italien.

Turin, 1, Juli. Die Generaldebatte über
das Ehegeſetz wurde heute geſchloſſen. Mor-
gen beginnt die Debatte über die einzelnen
Artifel, ;

Turin, 4. Juli. Trotz der heftigſten Des
batten ſind vom Eivilehe Geſetz bereits die
erſten 14 Artikel mit unbebeutender Modi-
ftcation adoptirt.

Zu Velletri in der Romagna hat die
Bevölkerung die Steuereinnehmer fortgejagt;
der Cardinal Maechi entfloh und das gar-
niſonirende Jäger-Regiment weigerte ſich,
gegen die erregte Einwohnerſchaft einzu-
ſchreiten.

Durch Großberzogliches Deeret ſind die
Statuten der italieniſchen Eentraleifenbahn-
geſellſchaft für Toscana genehmigt. Auch
ſtiftete der Großherzog eine goldene Preis-
medaille zur Belohnung neuer Erfindungen
auf dem Gebiete des Gewerbfleißes.

Feuilleton.



Ileber Luther's Einfluß auf die Mulik.
Aug einer Vorleſung gehalten in der Geſeliſchaft

Srig zu Frankfurt.

Die Geſchichte fagt uns, daß unter Leo X.
den Mönchen alles daran liegen mußte, Das
laͤſſig gewordene Volk durch ein neues ſinn-
liches Neizmittel in die aufgeſchmückten Tempel
zu locken und nichts ſagte auch dem lüſternen
Leben des paͤpftlichen Hofes mehr zu als Muſik.
Sie konnten alfo ihre kalte und mechanifche
Kirche nicht beſſer erwärmen, und daraus nicht
beſſer die Langrbeile verbannen als durch Muſtt.
Sie verſtelen daher auf die Idee, durch pla
ſtiſche Darſtellungen in den Kirchen die Per-

foniftelrung Jeſu, der Apoſtel, des Volks, die
Geburt Chriſti und die Leidensgeſchichte u. f m.
zu verſinnlichen, wie es in paͤpftlichen Capellen
in der Chatwoche und andern Tagen noch
beſteht.

Daß aber in Italien dadurch der Grund zur
modernen Muſtk gelegt, und das mujifalifche
Drama, das Singſpiel angebaut wurde, dürfte
wohl vielen heutigen Opernbefuchern noch un»
bekannt ſein.

Bald wanderte allerdings das itolieniſche
Singſpiel nach Deutſchland und erweiterte ſich
zur Oper/ allein hier war ſchon größtentheil8 -
ein hoͤheres gelſtiges Intereſſe angeregt. Bei
den ächt deutſchen Fürſten fand die italieniſche
Muſik wenig Anklang, und die proteſtantiſchen
Bürger hHatten ihre Freude an dem verbeſſerten,
deutfchen, geiſtreichen frommen Kirchengeſang
der lebendigen in freierer Anſicht der Religion
erwärmten Dichter und TonfeBer. —

Durch den freien Geiſt des Reformators,
der ſelbſt Dichter, warmer Muſikfreund, Sänger
und Tonſetzer war, gewann der Choral eine
Vollendung, die ſich gleichſam eleftrifch bald
durch den größten Theil Deutſchlands urd duͤrch
Daͤnemark und Schweden verbreitete, denn die
Muſe der Tonkunſt ſelbſt proteſtirte gegen die
kirchlichen Feſſeln, und die begeiſterten Iuthe-
riſchen Cantoren und Organiſten fegten zu
freier gedichteten Poeſten rührende Choral-
Melodien, welche in jener bewegten Zeit wieder
alles begeiſterten wie z. B. „D Haupt voll
Blut und Wunden 26.“ Jeſu, meine Zuverz
ſicht 26./; oder die Dichter vaßten {hre chriſt-
lichen Lieder ſchönen profanen Voltsmelodien
an, wie z. B: Nun ruhen alle Wälder 26,,
Nun danket alle Gott 20., Freu’ dich fehr,
o meine Seele 20., Herzlih thut mi verlanz -
gen 26., Werde munter mein SGemüthe 26

Der Choral muß Volkögefang fein.
Dies fühlte Luther eben fo. tief, alg daß die
alten monotonen Weifen in den griechiſchen
Tonarten nicht mehr anſprachen.

So gab er zuerſt ein kleines Gefangbüchlein
mit Melodien von Walther heraus im Jahr 1514,
und von ihm ſelbſt ſind die Melodien zu: Ein


Worfkıc., Ach Gott vom Himmel ſieh darein 26.“
und viele andere, die noch heute unſere Begei-
ſterung für Kirchengeſang entflammen. Andere
Lieder überſetzte er aus dem Lateinifhen, z
B.: „Cs iſt gewlßlich an der Zeit 20., Vom
Himmel hoch da kommich her 126. Doch be-
förderte Luther auch die Figural-Muſik und
bewog deßhalb den Buchdrucker Rhau, die vor-
handenen kirchlichen Compoſitionen (größten:
theils aus dem 15. Jahrhundert) zu fammeln,
Dieſe Sammlungen find glücklicherweife in der
Univerſttätsbibliothek zu Jena aufgefunden wor-
den! Eine dieſer Sammlungen führt den Titel?
Simphoniae jucundae, enthält 52 vierſtimmige
Moietten, und iſt zu Wittenberg 1538 gedruckt.
Luther ſelbſt aber hat fie mit einer herrlichen
lateiniſchen Vorrede begleitet, worin er unter
anderm fagt: „Es iſt ein volfommener Beweis
der göttlichen Weisheit, daß Gott den Menſchen
die Muſik und die Singſtimme gegeben hat,
um welche wunderbarerweiſe mehrere Stimmen
ſpielen, ſpringen und ſcherzend liebliche Geber-
den ſchmücken, und gleichfam einen goͤttlichen
Reigen führen, daß wenigſtens denen, die auch
nur mäßig davon gerührt werden, nichts wunder-
barer in unferer Zeit zu beſtehen ſcheint?
Auffallender Weiſe ſtimmt diefer ſchone Spruch
mit dem Motto unter Schwerdgeburts Bild
überein, welches uns den groͤßten Mann des
16. Jahrhunderts am heiligen Chriſtabend 1536
im Kreiſe ſeiner Familie zeigt, mit gemüthlichem
 
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