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Mittwoch, den 28. Jult

1852

Frankreich.

Aus Paris, 23. Juli, wird der Fraff.
oftzig. gefhrieben, wahrſcheinlich würde
demnächft Drouin de Lhuys wiederum das
Portefeuille der auswärtigen Augelegenhei-
ten erbalten, v. Turgot würde Staatsmint-
ſier und Magne ‚übernähme das Deyartes
ment der öffentlichen Bauten, Bleibt nun
au die Poͤlliit des Elyfee durch dieſe Per-
fonalveränderungen im Algemeinen unde-
tührt, fo wird wenigſtens der Wiedereinz
tritt von Drouin de Lhuys ins auswaͤrtige
Amt die Beziehungen zu England freund-
licher geſtalten, denn dieſer Mann iſt als
ein waͤrmer Anhänger der Allianz mit Eng-
land bekannt. Heberdies wird dieſer Wech-
ſel das Cabinet nur Fräftigen, denn es er-
ſetzt 2 der undedeutendfien Mitglieder, die
auch, wie man weiß, ihre Poſten nur pror
viſoriſch bekieideien. Drouin de Lhuys iſt
ein gewandter und gewiegter Diplomat und
fennt das auswärtige Departement aus
Tangfähriger Erfahruuz. Ebenſo iſt Magne
ber rechie und erprobte Mann für das
Miniſterium der öffentlichen Arbeiten.

England.

London, 23. Juli. Die Berechnungen
der engliſchen Journale über die Ergebniffe
der Waͤhien weichen noch immer in unge-
woͤhnlichem Verhaͤltniß von einander ab,
Db das Cabinet im neuen Parlament die
Maforität habe oder gezwungen ſein werde,
abzuͤtreten, daruͤbex Läßt ſich heute kaum
eine Vermuthung äußern. ;
Italten.
Turin, 11. Juli. Die elerikale Partei
nimmt gegen das Ehegeſetz eine wahrhaft
revolutionare Stellung ein, welche täglich
zum Buͤrgerkrieg und zur Geſetzesverletzung
aufreizt. Und dieſe Partei nennt ſich die
erhaltende! Das Volt verhält ſich ſolchem
Treiben gegenüber ruhig und vertraut dem
Koͤnig und der Regierung.
Turin, 20. Juli. Die ſavoyiſchen Bi-
ſchoft erklären jedermann „für excomunicirt,
Welcher ſich nicht nach danoniſchen Vor-
ſchriften trauen laſſen will, ſie bezeichnen
in ihrem Hirtenbrief das neue Ehegefeß
als verfaſſungoͤwidrig, unmoraliſch/ antfifo-
cial und aͤntikatholiſch.

Vereinigte Staaten von
Nordanterika.

Der Dampfer Pacific hat Vachrichten
aus Newyork bis zum 10. und die Kunde
von einer ſchrecklichen Feuersbrunſt in Mont-
real mitgebracht. Das Feuer hatte bis zur
Abgangszeit des Dampfers, wo es no
/ wüthete, bereits 300 Häufer in Aſche ge-
legt und hunderte von Familien obdachlos
gemacht

Neuere Poſten.

Wie der Niederrh. Curier“ verſichert,
hat Louis Napoleon einen diplomatiſchen
Agenten nach Neuenburg geſchickt, um eine
guͤtliche Ausgleichung zwiſchen Preußen und
der Schweiz in Betreff diefes Fuͤrſtenthums
zu Stande zu bringen.

Die belgiſche Miniſterkriſis dauert noch
fort, da bisher alle Siaatsmänner, welchen
die Bildung eines neuen Cabinets angetra-

gen wurde, abgelehnt haben.

Feuilleton.

Drei Stunden im Thurm von Piſa.
Ein Erlebniß von G. X-

@8 war am 3, Oetober 1839. Die unter-
gehende Sonne ſpiegelte ihre Strahlen maje-
ftätifch in den ruhigen Gewaͤſſern des mittel-
laͤndiſchen Meeres, das am fernſten Horizonte
mit dem wolkenloſen Gewoͤlbe des Firmaments
zu verſchwimmen ſchien. Wie eine Königin
ſchaute das ſtolze Genua nieder in die unge-
heure Spiegelflaͤche, auf der ſeine Schiffe ihm
einſt Reichihum und Macht erkämpft. Im
Golf wehten die Flaggen faſt aller Nationen,
zwiſchen den rieſtgen Meerſchiffen kreuzten kleine
Barken und Kähne emſtg hin und her; längs
des Strandes und in den zunachſt liegenden
Gaſſen wogten neugierige Zuſchauer und ge-
ſchäftige Kaufteute in buntem Gedraͤnge auf
und ab, denn es war eben Meſſe und mit
Einbruch der Nacht wollten mehrere Schiffe
die Anker lichten! Auch das franzoſiſche Dampf-
boot, auf dem ich mich zur Weiterreiſe nach
Livorno eingeſchrieben, rüſtete ſich zur Abfahrt.

Ich mar kaum in der Kajüte angekommen,
als zwei Paſſagiere mit entfetzlich langen Bär-
ten mir nach die enge Treppe herabſtiegen und
dicht neben meinem Lager ihre Plätze ange-
wieſen erhielten. Ein Eieexone trug den zwei
Fremden ihre Reifeſäcke und ſte ſtritten mit ihm
auf die poſſterlichſte Art wegen des Trägerlohns.
Augenſcheinlich verſtand keiner von beiden franz


blos in einzelnen Erelamationen, wie 3, 8.
burbante! eanaille! und machten mit ſichtlichem
Unmuth darüber, daß ſie ſich nicht verſtändlich
ausdrücken konnten, die lebhafteſten Geſticula-
tionen, während der Italiener mit ungewöhn-
lich geläufiger Zunge bewies, daß er aus pu-
rer Gefälligkeit nicht mehr als zwei Lire ver-
lange obgleich er eigentlich das doppelte ver-
dient habe! Ich hHörte ſchweigend zu und wußte


ſollte, ihr dieſe zwei haarüberwachſenen Geſich-
ter zu oktroyiren. Bald aber ſollte meine
Neußierde befriedigt werden. Der eine von
den zwei Fremden, eines Zankes, zu welchem
ihin die Worte fehlten, überdrüßig geworden,
warf einen Seudi vor die Füße des Ftalieners
und ſchrie dabel wülhend: Marche, canaille!
— Triumphivend hob der Cicerone die leicht
eroberte Beute auf und pfiff ein Liedchen, in-
deß er behend die Treppe hinaufſprang und
verſchwand.

Lumpengeſindel, dieſe Italiener! ſagte hierauf
der Fremde, ſich an ſeinen Begleiter wendend;
uns für ein paar hundert Schritte um einen
Speciesthaler zu prellen! wenn das fo fortgeht,
ſo werden wir ärmer als die Kirchenmaͤufe,


Verſtänden wir nur ihre Spitzbubenſpraͤche!
entgegnete der andere und ſchleppte ſeinen Reiſe-
ſack feufzend unter eine Hängematte; koͤnnten
wir init den Leuten ſprechen, fo muͤßten wir
uns ſo etwas nicht gefallen laffen,

Ich trat näher. Wie es ſcheint finde ich
hier Landsleute ? redete ich die zwei an. Belde
drehten ſich verwundert gegen mich um, denn
ſie ſchienen mich noch nicht bemerkt zu haben
und haͤlten geglaubt, allein in der düſtern Ka-
jüte zu fein,

Sie derſtehen deutſch? fraͤgte der eine.

Ich bin ein Deutſcher.

Und wohin reiſen Sie?

Vorlaͤufig uͤber Livorno und Eivitaveechla
nach NRom, ſpäter nach Neapel.

x

Wir haben dieſelbe Reiſe vor; ſprechen Sie
italieniſch?

Zu dienen, leidlich!

Das trifft ſich gut.
zuſammen.

Ja, mir reiſen zuſamnien! wiederholte der
zweiie; Sie haben eben ſelbſt geſehen, wie’8
hier zu Land den Fremden ergeht, welche nicht
mit dem Bettelvolk zu reden wiſſen. Sie dür-
fen uns die Bitte nicht abſchlagen, unſern Doll-
metſcher zu machen.

Da ich allein reiſte und die zwei Landsleute
trotz ihrer romantiſch ſtruppigen Bärte einen
angenebmen Eindruck auf mich machten, ging
ich gern auf den Vorſchlag ein. Wir reichten
uns die Haͤnde und der Bund war geſchloſſen.
Meine zwei neuen Gefährten ſtellten ſich mir
alg Maler aus B, vor. Sie kamen eben über,
Marfeille aus Paris und gedachten in Rom
und Neapel ihre Studien zu vollenden. Beide
ſind jetzt noch am Leben und meine Leſer wer-
den eniſchuldigen, daß ich ihre wahren Namen
verſchweigend ſie Guſtav und Narl nenne.

Die Sonne hatte ihre letzten Straͤhlen be-
reits in den Gewäſſern ausgelöfht, al8 unſer
Dampfer zum Golf hinausſchoß. Hinter ung
in einer weitern Ferne lag ein impofanter
halbmondförmiger Lichterfireif: Genua zeigte
ſich uns bei Lampenbeleuchtung und erſt nach
zwei Stunden ſchien es ins Meer unterzutauchen.
Dafür prangten jetzt über uns am wolkenloſen
Firmament zahlloſe Sterne, und das Aufgehen
des Mondes der ſich aus dem Waſſer loszu-
winden und aus unermeßlicher Ferne ſeine
milden Strahlen bis an unſer Schiff herüber
zu werfen ſchien, bereitete unſerm ſtaunenden
Auge ein neues Schauſpiel! Eine wolkenloſe
Mondnacht auf ſtiller See iſt etwas herrliches.
Wir blieben bis gegen Mitternacht auf dem
Verdeck. Als wir endlich unſere Hängematten
aufgeſucht hatten, wiegte das Schaukeln des
Schiffes und das Plätſchern der Räder uns
bald in feſten Schlaf.

Als ich wieder erwachte, kündigte das Mor-
genroth bereits den nahenden Tag an und ich
hatte nochmals das Vergnügen, mich auf offe-
ner See am Erſtehen der Nönigin des Lichtes
zu weiden. Gegen acht Uhr konnte ich mit
freiem Aug in blauer Ferne wieder Land er-
blicken und um zehn Uhr legte ſich unſer Schiff
im Golf von Livorno vor Anker, um dort bis
zum Abend zu ruhen und mit einbrechender
Nacht die Reiſe nach Civitaveechia fortzuſetzen.
Ug uns die Stunden des Aufenthaltes zu vers
ſchoͤnern, ſtieg ich mit Guſtav und Karl ans
Land. Neugierig ſchlenderten wir in den Stra-
ßen von Livorno umher, bis uns eine Wein-
ſchenke recht freundlich anlächelte. Wir traten
ein. Der Wein war vortrefflich und da wir
in der heißen Luft Durſt füblten, ſtürzten wir
einige Humpen raſch nach einander hinunter.
Die ſteigende Zahl der Gläſer ſchien auch den
Durſt meiner Gefährten zu ſteigern. Schon
bemerkte ich in beiden den Geiſt des Baechus
und tcimer mußte noch ein neuer Humpen her
— kurz, gegen Mittag fahen meine zwei Ma-
ler den Himmel für eine Baßgeige an. End-
lich gelang es mir, ſie wieder aus dem infer-
naliſchen Local herauszubringen. An jedem
Arm einen fuͤhrend mußte ich meine ganze
Kraft zuſammennehmen, um nicht die Ecken der
Gaſſen abzuſtreifen oder mit meiner waͤckeligen
Laſt umzuwerfen. Auf der See haͤtten wir
Windſtille gehabt, jetzt auf offenem Land war
in meine zwei Gefährten der Sturm gefahren.

So kamen wir wieder an den Strand zu-
rück. Beim Anblick des Meeres rief Guſtav

Mein Herr, wir reiſen

aus: Hoͤr, Bruͤderchen, ich habe einen genialen
 
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