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BeilageBlatter
zuin Heidelberger Journal.
Frettag, den 30. Jult
1852
England.
Loudon, 24, Juli. Die Oppoſtions-
Ölätter. geben nun felber zu, daß die Mini-
fer im nächften Parlament über eine abfo-
Iute numerifde Maforität werden verfügen
Önnen; aber Diefelbe ift ſo unbedeutend,
daß fie vom einfachen Geſichtépunkt der
Jaͤrteien jegliche Bedeutung verliert. Es
it in dieſem Augenblick noch ganz unmög-
lih, in beflimmter Weife den politiſchen
Standyunkt. einer Menge von neuen Mit-
Altedern und die Partet, in deren Reihen
e fich ſtellen werden, zu bezeichnen. Un-
Widerfprechlihe Thatſache iſt aber auch, daß
die Minifter, wenn ſie mit derſelben Vor-
ſcht und Klugheit, von welcher ſie feit ihrem
Amtsantritt Proben abgelegi haben, zu han.
deln fortfahren, in wichiigen Fragen auf
eine anſehnliche Majorität zählen können.
Dagegen wäre auch die leiſeſte Wendung
zum proteetioniſtiſchen Syſtem ihr Tores-
Urtheil. Schwer compromittirt haͤt ſich die
NRegierung in Derby. Man hat dort in
flagranti delicto der Wahlbeſtechung einen
ann ergriffen und einen Brief bei dem-
Aben gefunden, von welchem eidlich erhärz
tet ſein [oll, daß er von dem Staatsſecretär
des Kriegs, Major Beresford, herruͤhrt,
dem, wie fidh annehmen läßt, der Gebrauch
dieſes Briefs zu Wahlumtrieben wentgſtens
Nidht unbefannt geblieben iſt. Die Sppo-
ſition wird natuͤrlich nicht verfäumen, dieſen
daäcklichen Fall in ihrem Intereſſe nach
Moͤglichkeit auszubeuten.
Feuilleton.
—
Drei Stunden im Thurm von Piſa.
Ein Erlebniß von G. &.
(Schluß.)
Karl, der einige Minuten vor Guſtav aus
Dem Waͤſſer geftiegen war, haͤlte ſich bereite
wieder haͤlb angekleidet und muſterte die Lar
Gen ſeines Uederrocks, während er kopſſchüt-
Vlnd einige unverſtändliche Worte zwiſchen den
ähnen murmelte. ; ; ;
Was iſt Ihnen? fragte ich endlich.
Meine goldene Uhr iſt verſchwunden, ent-
gegnete er.
Unmöglich! wenn Sie eine Uhr bei ſich ge-
‚Babt und ſie nicht ſelbſt ins Meer geworfen
Vaben, ſo muß ſie noch liegen, wo Sie dieſelbe
bingelegt. Ich ließ ihre Garderobe keinen Aus
Uenoͤlick aus dem Auge und unfere zwei Schif-
fer kamen nicht in deren Naͤhe.
Aber Karl, durch deſſen Angſt um das Ver-
lorene die Wirkungen des Weins noch geſtei-
gert zu werden ſchienen, börte nicht auf meine
Worte, Wie ein Pfeil ſchoß er im ſchmalen
Kaͤhn ‚an mir vorüber, packte den zunächſtſtehen-
den Schiffer an der Kehle und ſchrie: Kerl,
giß mir die geſtohlene Uhr zurück!
Da gabs nun ploͤtzlich ein Schimyfen und
ein Hins und Herzerren; keiner verſtand den
andern; der Gondoliere wußte nicht, warum
er ploͤtzlich ſo wüthend angefallen worden ſei;
fers Aniwort uͤberhört haben, auch wenn er
italtenifch verſtanden hätte! Ich wollte die bei-
den güilich trennen, doch ehe mir's gelang, hat-
ten ſie auf der engen Kahnſpitze das Ueberge-
wicht bekommen, und lagen zappelnd im Waf»
fer, Da war nun meine Intervention vor-
lauftg unnöthig geworden, denn das Element
war kaum über ihrem Kopf zuſammengeſchlagen,
als fie ſich gegenſeitig fahren ließen und jeder
wieder auf trocknen Grund zu kommen füchte,
Karl ſteuerte gegen unſer Schiffchen, der Ita-
liener ſchwamm dem Infelchen zu, auf dem der
Thurm von Viſa ſtand. Während jener trie-
fend zu ung eingeſtiegen war, haͤtte auch Gu-
ſtav ſich vollends angekleidet und rief, in ſeine
Rocktaſche greifend was ſteckt denn da drinnen?
Es mar die vermißte Uhr.
Alle Teufel! ſchrie Kart; das iſt ein toller
Streich! Da habe ich meine Uhr vorher ſtatt
in meine Taſche in die deine geſteckt.
Aber das Geſchehene konnte nun nicht mehr
ungeſchehen gemacht werden.! Der davonge-
reits Larm gemacht und die vollzählige Be-
ſatzung des Thurmes von Piſa, beſtehend aus
acht Gemeinen und einem Korporul, ſtand ſchon
in Reih und Glied am Ufer, um uns in Em-
pfang zu ‚nehmen, Anfangs wollte ich den
zurückgebliebenen Schiffer bereden, ſeinen Col-
legen mit den Soldaten auf der Inſel ſtehen
zu laſſen und uns zum Dampfboot zurückzu-
bringen. Er ging darauf nicht ein! Guſtav
wurde wüthend und ich konnte ihn nur mit
Mühe von Thätlichkeiten abhalten.. Inzwiſchen
banden die Soldaten einen Kahn 108 und ſchick-
ten ſich an, uns entgegen zu rudern! Sonach
[ag die Unmöglichkeit unſerer Flucht auf der
Haͤnd, ich und die zwei Maler fügten uns ins
tückiſche Schickfal und ließen den Schiffer auf
der Inſel anlanden. Kaum dort angekommen,
fielen die acht Soldaten uͤber uns arme Deutſche
her und wollten alle drei gefangen in den
Thurm abführen. Aber die zwei Schiffer nah-
men ſich meiner an. Nach kurzer Debatte er-
klärte der Korporal als oberſte Inſtanz dieſes
Inſellandes! ich koͤnnte frei abziehen, meine
zwei Gefährten aber würden um Mitternacht,
wo die Ablöſungsſtunde fet, von der Maͤnn-
ſchaft nach Livorne gebracht und den Behörden
überltefert werden. }
Gegen dieſen Ausfpruch gab's keine Appel-
latton. : Die zwei Maler wurden von meiner
Seite fortgeriſſen und in den Zhurm geſchleppt
Unter dem Thor rief Karl noch! Unterhandeln
Sie für uns, wir koͤnnen nicht parliren!
Dampfboot fährt ſchon in brei: Stunden ab
und wir haben unſere fämmtlichen Effecten
darauf! ergänzte Guſtav-
Damit verſchwand meine Reiſegefellſchaft und
hinter ihr ſchlug das Thor des alten Thurmes
knarrend zu. Ich febte mich auf einen Stein
und üÜberlegte, was nun zunthun fei! Die
zwei Schiffer nahmen auf ihrem Kaͤhn Platz
und riefen von Zeit zu Zeit zu mir hHerüber,
ob ich noch nicht Luſt zur Zurückfahrt habe!
In längſtens zwet Stunden mußten die Gefan-
genen wieder befreit ſein oder fte verloren nicht
nur ihr ſchon bezahltes Paſſagiergeld, ſondern
liefen auch Gefahr, um ihre Effeeten zu kom-
men, Da unſer Dampfboot, welches in die Le-
vante beſtimmt mar, in Civitaveechia nur fluͤch-
tig anlanden wollte und ich mich nicht im
Beſitz der Scheine befand mittelſt welcher ich
die Habe meiner unvorſtchtigen Reiſegeſellſchaft
hätte an mich nehmen können. Sie Zeit, um
mich mit Hoffnung auf Erfolg nach Livorno
wenden zu können, war viel zu kurz — ich
ſah das Schickſal meiner zwei Maler in den
Händen von neun Soldaten mit welchen nun
ein moͤglichſt billiger Versleich geſchloffen wer-
den mußte. Ich befhloß, diplomatiſch zu agi-
ren wie ein Gefandter, der nach einer verlo-
renen Schlaͤcht zum Sieser Fommt und die
Auslöſung der Kriegogefangenen erwirken will.
Geld für die zwet Maler! war mein Lofungs-
wort. Und alſo trat ich vor den Comman-
danten der feindlichen Armee, nämlich vor den
Korporalk, bielt ihm eine chemiſche Vorleſung
über den Unterſchied zwiſchen nordländiſchen
Bieren und ſüdländiſchen Weinen und machte
daraus den Schluß, daß meine zwei Freunde
unzurechnungsfähig, alfo ſchuldlos feien weil
ſie in der Einfalt ihrer Sitten den italieniſchen
Wein mit deutſchem Bier verwechſelt haͤtten-
Meine gelehrte Peroration half noch weniger
als ich vermuthet, nämlich gar nichts! Der
bartloſe Kriegsheld, welcher auf dieſe waͤhr-
ſcheinlich erſte Schlacht ſeines Lebens ſich nicht
wenig einbilden mochte, haͤtte Feinen Sinn
für meine Unterfheidungsgabe. Ich mußte
einen Schritt weiter gehen und begann eine
neue Rede, in der ich nachzuwerfen fuchte, daß
der Herr Korvoral ſich viel beſſer ſtelle, wenn
er für den Kopf einen Seudi Löfegeld nähme
als wenn er die Gefangenen abliefere wofuͤr
er wahrſcheinlich gar nichts erhalte Der Kriegs-
held fuhr auf. Ich hatte augenſcheinlich zu
wenig geboten.
Zwei Seudi für jeden!
Nein, war die Antwort.
Drei! ;
Nein!
Sechs!
Nein!
Fünfzehn Seudi für beide!
Nein und abermals nein!
Je mehr ich bot, deſto mehr ſchien ſich mein
ſtegreicher Feldherr feines Fangs zu fıeuen.
Endlich wurde mir die Summe,, doch zu hoch
und ich begann an ſeine Menſchenfreundlichlelt
zu appelliren, indem ich ihm die unberechen-
baren Nachtheile augeinanderfeßte,. welche für
meine Gefährten aus einem längeren Aufent-
halt im Thurm unfehlbar. erwaͤchſen müßten.
Das war vollends Waffer auf die Mühle des
Korporals und ich erkannte zu fpät, daß iich
es mit einem ausgepichten Geizhals zu thun
hatte, bet dem ich vielleicht beffer gefahren wäre,
für zwei arme Teufel ausgegeben hätte. Dem-
gemäß änderte ich nun meinen Opexations-
ylan, ſoweit es nach dem erſten Fehlgriff noch
thunlich war. Die Gefangenen, ſagte ich, ſeien
allerdings vermoͤgliche Leute , „ allein. fie haͤtten
ihre Güter auf dem Schiffe und waͤhrſcheinlich
nur wenige Seudi ‚in der Taſche! Wenn der
Herr Korporal mein gemachtes Angebot ver-
ſchmähe, ſo würde er ein ſchlechtes Geſchäft
machen! Ich fel der Kaſſter der Gefellſchaſt
und würde nun gehen.
Gehen Sie! entgegnete er und drehte mir den
Ruͤcken zu.
Augenſcheinlich traute er meinen letzten Wor-
ten nicht, da ſeinen Blicken die goldenen Ringe
und Ketten der zwei Maler ohne Zweifel nicht
entgangen maren, Inzwiſchen rückte die Ab-
fahrt des Dampfboots immer näher, Es war
höchſte Zeit zurückzukehren, wollte nicht aug ich
unſer Schiff verfehlen., Kaum zehn Minuten
vor der Abfahrt langte ich in der Kajüte un-
feres Kapitäns an, erzaͤhlte {fm den Vorfall
und ſicherte das Gepäck meiner Gefährten ge-
gen die Gefahr, mit in die Levante gefchleppt
zu werden oder fonft ſpurlos verloren zu gehen.
Die Abreiſe des Bootes zu verzoͤgern war ich
außer Stande.
Schon bewegten ſich die Räder, Hon durch-
ſchnitt das Schlff immer raſcher die Wogen,
als ich, mit einem Fernrohr auf dem Verdeck
ſtehend, neben dem eine italieniſche Meile da-
von entfernten Thurm von Piſa einen Kahn
in der Richtung gegen uns daher ruͤdern ſah.
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BeilageBlatter
zuin Heidelberger Journal.
Frettag, den 30. Jult
1852
England.
Loudon, 24, Juli. Die Oppoſtions-
Ölätter. geben nun felber zu, daß die Mini-
fer im nächften Parlament über eine abfo-
Iute numerifde Maforität werden verfügen
Önnen; aber Diefelbe ift ſo unbedeutend,
daß fie vom einfachen Geſichtépunkt der
Jaͤrteien jegliche Bedeutung verliert. Es
it in dieſem Augenblick noch ganz unmög-
lih, in beflimmter Weife den politiſchen
Standyunkt. einer Menge von neuen Mit-
Altedern und die Partet, in deren Reihen
e fich ſtellen werden, zu bezeichnen. Un-
Widerfprechlihe Thatſache iſt aber auch, daß
die Minifter, wenn ſie mit derſelben Vor-
ſcht und Klugheit, von welcher ſie feit ihrem
Amtsantritt Proben abgelegi haben, zu han.
deln fortfahren, in wichiigen Fragen auf
eine anſehnliche Majorität zählen können.
Dagegen wäre auch die leiſeſte Wendung
zum proteetioniſtiſchen Syſtem ihr Tores-
Urtheil. Schwer compromittirt haͤt ſich die
NRegierung in Derby. Man hat dort in
flagranti delicto der Wahlbeſtechung einen
ann ergriffen und einen Brief bei dem-
Aben gefunden, von welchem eidlich erhärz
tet ſein [oll, daß er von dem Staatsſecretär
des Kriegs, Major Beresford, herruͤhrt,
dem, wie fidh annehmen läßt, der Gebrauch
dieſes Briefs zu Wahlumtrieben wentgſtens
Nidht unbefannt geblieben iſt. Die Sppo-
ſition wird natuͤrlich nicht verfäumen, dieſen
daäcklichen Fall in ihrem Intereſſe nach
Moͤglichkeit auszubeuten.
Feuilleton.
—
Drei Stunden im Thurm von Piſa.
Ein Erlebniß von G. &.
(Schluß.)
Karl, der einige Minuten vor Guſtav aus
Dem Waͤſſer geftiegen war, haͤlte ſich bereite
wieder haͤlb angekleidet und muſterte die Lar
Gen ſeines Uederrocks, während er kopſſchüt-
Vlnd einige unverſtändliche Worte zwiſchen den
ähnen murmelte. ; ; ;
Was iſt Ihnen? fragte ich endlich.
Meine goldene Uhr iſt verſchwunden, ent-
gegnete er.
Unmöglich! wenn Sie eine Uhr bei ſich ge-
‚Babt und ſie nicht ſelbſt ins Meer geworfen
Vaben, ſo muß ſie noch liegen, wo Sie dieſelbe
bingelegt. Ich ließ ihre Garderobe keinen Aus
Uenoͤlick aus dem Auge und unfere zwei Schif-
fer kamen nicht in deren Naͤhe.
Aber Karl, durch deſſen Angſt um das Ver-
lorene die Wirkungen des Weins noch geſtei-
gert zu werden ſchienen, börte nicht auf meine
Worte, Wie ein Pfeil ſchoß er im ſchmalen
Kaͤhn ‚an mir vorüber, packte den zunächſtſtehen-
den Schiffer an der Kehle und ſchrie: Kerl,
giß mir die geſtohlene Uhr zurück!
Da gabs nun ploͤtzlich ein Schimyfen und
ein Hins und Herzerren; keiner verſtand den
andern; der Gondoliere wußte nicht, warum
er ploͤtzlich ſo wüthend angefallen worden ſei;
fers Aniwort uͤberhört haben, auch wenn er
italtenifch verſtanden hätte! Ich wollte die bei-
den güilich trennen, doch ehe mir's gelang, hat-
ten ſie auf der engen Kahnſpitze das Ueberge-
wicht bekommen, und lagen zappelnd im Waf»
fer, Da war nun meine Intervention vor-
lauftg unnöthig geworden, denn das Element
war kaum über ihrem Kopf zuſammengeſchlagen,
als fie ſich gegenſeitig fahren ließen und jeder
wieder auf trocknen Grund zu kommen füchte,
Karl ſteuerte gegen unſer Schiffchen, der Ita-
liener ſchwamm dem Infelchen zu, auf dem der
Thurm von Viſa ſtand. Während jener trie-
fend zu ung eingeſtiegen war, haͤtte auch Gu-
ſtav ſich vollends angekleidet und rief, in ſeine
Rocktaſche greifend was ſteckt denn da drinnen?
Es mar die vermißte Uhr.
Alle Teufel! ſchrie Kart; das iſt ein toller
Streich! Da habe ich meine Uhr vorher ſtatt
in meine Taſche in die deine geſteckt.
Aber das Geſchehene konnte nun nicht mehr
ungeſchehen gemacht werden.! Der davonge-
reits Larm gemacht und die vollzählige Be-
ſatzung des Thurmes von Piſa, beſtehend aus
acht Gemeinen und einem Korporul, ſtand ſchon
in Reih und Glied am Ufer, um uns in Em-
pfang zu ‚nehmen, Anfangs wollte ich den
zurückgebliebenen Schiffer bereden, ſeinen Col-
legen mit den Soldaten auf der Inſel ſtehen
zu laſſen und uns zum Dampfboot zurückzu-
bringen. Er ging darauf nicht ein! Guſtav
wurde wüthend und ich konnte ihn nur mit
Mühe von Thätlichkeiten abhalten.. Inzwiſchen
banden die Soldaten einen Kahn 108 und ſchick-
ten ſich an, uns entgegen zu rudern! Sonach
[ag die Unmöglichkeit unſerer Flucht auf der
Haͤnd, ich und die zwei Maler fügten uns ins
tückiſche Schickfal und ließen den Schiffer auf
der Inſel anlanden. Kaum dort angekommen,
fielen die acht Soldaten uͤber uns arme Deutſche
her und wollten alle drei gefangen in den
Thurm abführen. Aber die zwei Schiffer nah-
men ſich meiner an. Nach kurzer Debatte er-
klärte der Korporal als oberſte Inſtanz dieſes
Inſellandes! ich koͤnnte frei abziehen, meine
zwei Gefährten aber würden um Mitternacht,
wo die Ablöſungsſtunde fet, von der Maͤnn-
ſchaft nach Livorne gebracht und den Behörden
überltefert werden. }
Gegen dieſen Ausfpruch gab's keine Appel-
latton. : Die zwei Maler wurden von meiner
Seite fortgeriſſen und in den Zhurm geſchleppt
Unter dem Thor rief Karl noch! Unterhandeln
Sie für uns, wir koͤnnen nicht parliren!
Dampfboot fährt ſchon in brei: Stunden ab
und wir haben unſere fämmtlichen Effecten
darauf! ergänzte Guſtav-
Damit verſchwand meine Reiſegefellſchaft und
hinter ihr ſchlug das Thor des alten Thurmes
knarrend zu. Ich febte mich auf einen Stein
und üÜberlegte, was nun zunthun fei! Die
zwei Schiffer nahmen auf ihrem Kaͤhn Platz
und riefen von Zeit zu Zeit zu mir hHerüber,
ob ich noch nicht Luſt zur Zurückfahrt habe!
In längſtens zwet Stunden mußten die Gefan-
genen wieder befreit ſein oder fte verloren nicht
nur ihr ſchon bezahltes Paſſagiergeld, ſondern
liefen auch Gefahr, um ihre Effeeten zu kom-
men, Da unſer Dampfboot, welches in die Le-
vante beſtimmt mar, in Civitaveechia nur fluͤch-
tig anlanden wollte und ich mich nicht im
Beſitz der Scheine befand mittelſt welcher ich
die Habe meiner unvorſtchtigen Reiſegeſellſchaft
hätte an mich nehmen können. Sie Zeit, um
mich mit Hoffnung auf Erfolg nach Livorno
wenden zu können, war viel zu kurz — ich
ſah das Schickſal meiner zwei Maler in den
Händen von neun Soldaten mit welchen nun
ein moͤglichſt billiger Versleich geſchloffen wer-
den mußte. Ich befhloß, diplomatiſch zu agi-
ren wie ein Gefandter, der nach einer verlo-
renen Schlaͤcht zum Sieser Fommt und die
Auslöſung der Kriegogefangenen erwirken will.
Geld für die zwet Maler! war mein Lofungs-
wort. Und alſo trat ich vor den Comman-
danten der feindlichen Armee, nämlich vor den
Korporalk, bielt ihm eine chemiſche Vorleſung
über den Unterſchied zwiſchen nordländiſchen
Bieren und ſüdländiſchen Weinen und machte
daraus den Schluß, daß meine zwei Freunde
unzurechnungsfähig, alfo ſchuldlos feien weil
ſie in der Einfalt ihrer Sitten den italieniſchen
Wein mit deutſchem Bier verwechſelt haͤtten-
Meine gelehrte Peroration half noch weniger
als ich vermuthet, nämlich gar nichts! Der
bartloſe Kriegsheld, welcher auf dieſe waͤhr-
ſcheinlich erſte Schlacht ſeines Lebens ſich nicht
wenig einbilden mochte, haͤtte Feinen Sinn
für meine Unterfheidungsgabe. Ich mußte
einen Schritt weiter gehen und begann eine
neue Rede, in der ich nachzuwerfen fuchte, daß
der Herr Korvoral ſich viel beſſer ſtelle, wenn
er für den Kopf einen Seudi Löfegeld nähme
als wenn er die Gefangenen abliefere wofuͤr
er wahrſcheinlich gar nichts erhalte Der Kriegs-
held fuhr auf. Ich hatte augenſcheinlich zu
wenig geboten.
Zwei Seudi für jeden!
Nein, war die Antwort.
Drei! ;
Nein!
Sechs!
Nein!
Fünfzehn Seudi für beide!
Nein und abermals nein!
Je mehr ich bot, deſto mehr ſchien ſich mein
ſtegreicher Feldherr feines Fangs zu fıeuen.
Endlich wurde mir die Summe,, doch zu hoch
und ich begann an ſeine Menſchenfreundlichlelt
zu appelliren, indem ich ihm die unberechen-
baren Nachtheile augeinanderfeßte,. welche für
meine Gefährten aus einem längeren Aufent-
halt im Thurm unfehlbar. erwaͤchſen müßten.
Das war vollends Waffer auf die Mühle des
Korporals und ich erkannte zu fpät, daß iich
es mit einem ausgepichten Geizhals zu thun
hatte, bet dem ich vielleicht beffer gefahren wäre,
für zwei arme Teufel ausgegeben hätte. Dem-
gemäß änderte ich nun meinen Opexations-
ylan, ſoweit es nach dem erſten Fehlgriff noch
thunlich war. Die Gefangenen, ſagte ich, ſeien
allerdings vermoͤgliche Leute , „ allein. fie haͤtten
ihre Güter auf dem Schiffe und waͤhrſcheinlich
nur wenige Seudi ‚in der Taſche! Wenn der
Herr Korporal mein gemachtes Angebot ver-
ſchmähe, ſo würde er ein ſchlechtes Geſchäft
machen! Ich fel der Kaſſter der Gefellſchaſt
und würde nun gehen.
Gehen Sie! entgegnete er und drehte mir den
Ruͤcken zu.
Augenſcheinlich traute er meinen letzten Wor-
ten nicht, da ſeinen Blicken die goldenen Ringe
und Ketten der zwei Maler ohne Zweifel nicht
entgangen maren, Inzwiſchen rückte die Ab-
fahrt des Dampfboots immer näher, Es war
höchſte Zeit zurückzukehren, wollte nicht aug ich
unſer Schiff verfehlen., Kaum zehn Minuten
vor der Abfahrt langte ich in der Kajüte un-
feres Kapitäns an, erzaͤhlte {fm den Vorfall
und ſicherte das Gepäck meiner Gefährten ge-
gen die Gefahr, mit in die Levante gefchleppt
zu werden oder fonft ſpurlos verloren zu gehen.
Die Abreiſe des Bootes zu verzoͤgern war ich
außer Stande.
Schon bewegten ſich die Räder, Hon durch-
ſchnitt das Schlff immer raſcher die Wogen,
als ich, mit einem Fernrohr auf dem Verdeck
ſtehend, neben dem eine italieniſche Meile da-
von entfernten Thurm von Piſa einen Kahn
in der Richtung gegen uns daher ruͤdern ſah.
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