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Feuilleton.

Die Nähnadeln.

Wenn man von guten Nähnadeln ſpricht,
ſetzt man ſicherlich „engliſche! dazu, denn man
glaubt allgemein, es gebe keine andern brauch-
baren und wenn es noch einmal zur Konti-
nentalſperre käme, würden Schneider und Schnei-
derinnen, wie alle Damen, die eine Nadel zur
Hand nehmen, von der Beforgniß geängfligt
werden, gar nicht mehr nähen zu können, weil
keine Nadeln zu erlangen wäten. Und doch
ſind die wengliſchen Nähnadeln“ eine Fabel,
eine Illuſton, denn nicht der fünffigſte Theii
der Nähnadeln, die bei uns verbraucht werden,
ſtammt aus England; vielmehr ſind alle die
Nähnadeln, welche man engliſche nennt und
als ſolche über alle andern ſetzt, vaterländiſches,
ächt deutſches Fabrikat. Sie kommen aus Aachen,
das ganz Deutſchland, Frankreich, Italien und
Spanien, ſelbſt Amerika mit ſeinen Nähnadeln
verſorgt. Leider hat es freilich bis zu dem
Jahre 1852 dem Vorurtheile ſo weit nachge-
geben, ſeine Nähnadeln unter engliſcher Etikette
zu verbreiten. Die ausgezeichnetſte Nähnadel-
fabrik in Aachen, Beiſſel, die bereits ſeit 1730
beſteht, hat indeß jetzt den ehrenhaften Ent-
ſchluß gefaßt, jenem Vorurtheile entgegenzutre-
ten und ſeine Nadeln als deutſches Fabrikat
unter deutſcher Etikette zu verſenden und aus
gutem Grunde. Als im vorigen Jahre die
große Weltinduſtrieausſtellung in Londnn ſtatt-
fand, ſandte auch jene Fabrik ein Sortiment
ihrer Nähnadeln ein. Die Prüfungskommiſ-
ſion, welche die eingeſandten Gegenſtände zu
unterſuchen hatte, um für die ansgezeichnetſten
Preiſe zu beſtimmen, muſterte auch die aachener
Nadeln und erkannte ihnen den erſten Preis
zu, obglelch ausgezeichnete wirklich engliſche
Fabrikate und deren Ruf zu überwinden wa-
ren. Das werden ſich unſere nähenden Leſer
und Leferinnen merken und nicht mehr engliſche,
ſondern Beiffelſche Nadeln kaufen, denn dieſe
ſind ihre ſonſtigen engliſchen und die, welche
etwa jetzt noch als engliſche ausgeboten werden,
kann man in 99 Fällen unter hunderten für ge-
ringeres Fabrikat unter englifcher Etikette halten.

Was eine Mutter leiden kann.

Eine wahre Geſchichte.
Aus dem Vlämiſchen des Hendrik Conſeienee von
Dr. Eduard Wegener.*)
*

Es war ausnehmend kalt in den letzten Tagen
des Monats Januar 1841. Die Straßen der
Stadt Antwerpen hatten ihr Winterkleid an-
gethan und glaͤnzten von ſauberem Weiß. Der
Schnee fiel jedoch nicht in weichen und zarten
Flocken, erfreute auch das Auge keineswegs
mit ſeinen tauſend durch einander ſpielenden
Federchen, ſondern ſchlug im Gegentheil praſ-
ſelnd und wie Hagel gegen die Fenſter der
geſchloſſenen Häuſer; und der ſcharfe Nord⸗—
wind jagte die meiſten Bürger, die ſich etwa
vor ihrer Thür zeigten, wieder nach dem glü-
henden Ofen zurück. — Trotz der heftigen
Kaͤlte und obgleich es erſt neun Uhr Morgens
fein konnte, fah man, da es gerade Freitag,
alſo Markttag war, doch viele Menſchen vor-
übergehen. Die jüngeren Perſonen ſuchten ſich
durch Laufen zu erwärmen, die guten Bürger
hauchten murrend in die Hände und die Arbeits-
leute ſchlugen ſich mit Gewalt die Arme um
den Leib.

In dieſem Augenblick ging eine junge Dame
ziemlich langſam durch die Winkelſtraße, deren
Bewohner ſie wohl kennen mußte, da ſie in
den armen Häuſern aus- und einging und
dieſe ſtets mit einem Ausdruck der Zufrieden-

*) Aus dem eben erſchtenenen 23. Band der
nicderländiſchen Bibliothek“, Leipzig, Verlag von
Karl B. Lork. 1852.

heit verließ, Ein Atlasmantel der gewiß mit
Watte gefültert war, umhüilte ihre zarten
Glieder, ein Sammethut bedeckte ihr artiges
Köpfchen und ihre Wangen, die von der eis-
kalten Luft etwas ſcharf geröthet waren; eine
Boa umſchlang ihren Hals, und ihre Hände
verbargen ſich in einem zierlichen Muff. Dieſe
Dame, die ziemlich reich zu ſein ſchien, befand
ſich auf der Schwelle eines Hauſes, in welches
ſte eben eintreten wolle, als ſte ploͤtzlich ein
junges Mädchen ihrer Bekanntſchaft auf ſich
zukommen ſah. Sie blieb daher vor der Thuͤr
der ärnilichen Wohnung ſtehen, bis ihre Freun-
din in ihrer Nähe war, ging ihr darauf mit
herzlichem Lächeln entgegen und ſprach ſte mit
den Worten an: Guten Tag, Adela. Wie
geht es? — D, ziemlich gut, nnd Dir? —
Gott ſei Dank, ich bin geſund und ſo froh
und glücklich, daß ich es Dir gar nicht fagen
kann. — Wie ſo? Es ſcheint mir doch, als
ob das Wetter nicht eben ſehr ergötzlich ſel. —
Ja, für mich doch, Adela. Ich bin nur erſt
ſeit einer Stunde aus dem Bette und habe
ſchon zwanzig arme Wohnungen beſucht. Aber
Armuth habe ich geſehen, liebe Freundin, Ar-
muth, daß das Herz dabei brechen möchte.
Hunger, Kälte, Krankheit . . . e8 iſt unbe-
ſchreiblich und unbegreiflich. Wie glücklich fühle
ich mich, daß ich bemittelt bin, denn «8 iſt
fo fhön, Gutes zu thun! — Sollte man nicht
glauben, daß Du Luſt am Weinen haͤtteſt.
Anna? Ich fehe Thränen in Deinen Augen;
— jei doch nicht fo empfindſam. Die Armen
ſind ja in dieſem Winter nicht fo beklagens»
werth. Sieh nur, welche Menge von Almo-
ſen und Nahrungsmitteln vertheilt wird. Koh-
len, Brod, Kartoffeln, es mird alles in Ueber-
fluß gereicht. Geſtern noch habe ich meiner-
ſeits fünfzig Franken zu Gunſten der Armen
gezeichnet, denn ich geſtehe Dir gern, daß ich
mein Geld lieber von anderen zu wohlthaͤtigen
Zwecken verwenden laſſe, als daß ich felbſt alle
armlichen und ſchmutzigen Wohnungen auffuche.
— Adela, Du kennſt keine Armen. Beurtheile
ſie nicht nach jenen unſauberen Bettlern, die
das Einſammeln von Almoſen als ein gutes
Gewerbe betrachten und ihre Kleider abſichtlich
beſchmutzen und zerreißen, um gutherzigen
Menſchen Mitleid und Theilnahme einzuflößen.
Komm einmal mir mir, ich will Dir Arbeits-
leute zeigen, deren Kleider nicht zerriſſen ſind,
deren Wohnung nicht ſchmutzig iſt und deren
Mund ſich nicht öffnen wird, um zu fordern,
fondern nur, um zu danken und zu ſegnen.
Du wirft das Elend und den Hunger aug
ihren Geſichtszügen herausleſen, wirſt das
ſchwarze Brod, von Froſt gehärtet, in den
Fingern der Kinder, die bitteren Thränen der
Mutter und die düſtere Verzweiflung des Va-
ters ſehen.
dieſes ſtumme Gemälde des Schmerzes und der
Leiden richteteſt, welche Freude, welche Selig-
keit würdeſt Du darin finden, das alles mit
wenigem Geld zu verändern. Du würdeſt als-
dann die armen Kleinen jubelnd und tanzend
ſich an Deine Kleider hängen, die Mutter mit
gefalteten Händen Dich anlächeln ſehen und
fühlen, wie der Vater, außer ſich vor Rührung.
und Freude, Deine feine Hand mit ſeinen
rauhen, knochigen Händen umſchließt und fie
mit heißen Thränen benetzt. Dann würdeſt
aber auch Du Thränen vergießen, Thränen
der Seligkeit, Avdela, und Deine Hände wür-
den ſich denen jener armen Menſchen, wie rauh
ſie auch ſeien, gewiß nicht entziehen! Sieh,
Freundin, die Erinnerung an jene Stunden
rührt und ergreift mich ſo ſehr!

Waͤhrend Anna mit tiefem Gefühl und weis
cher, klangvoller Stimme dieſes Gemälde ent-
worfen hatte, war ihre Freundin ſtumm gewe-
fen und hatie ſelbſt keine jener kurzen Worte
und Laute geäußert, die bei ſolchen Gelegen-
heiten die Theilnahme des Hörers anzudeuten pfle-
gen. Die innere Bewegung Anna's war gänzlich


auf ſie übergegangen und als dieſe ſie anſah,
war ſte eben im Begriff, ein Taſchentuch aus
ihrem Muff zu ziehen um ſich die Thraͤnen ab-
zuwiſchen, die über ihre Waͤngen rannen. Anna,
ſagte ſte, ich begleite Dich, ich gehe mit Dir,
die Armen zu beſuchen. Ich habe Geld genug
in meiner Taſche. Laß uns den ganzen heuti-
gen Morgen guten Werken midmen. O, wie
froh bin ich, daß ich Dir begegnet bin.

Die gute Anna fah ihre Freundin mit tie-
fem Gefühl an und ihr Geſtcht drückte deutlich
genug aus, wie glücklich ſie ſich fchäßte, ihren
armen Mitbürgern eine Wohlthäterin mehr
verſchafft zu haben. Von Adela gefolgt, giyg
ſie einige Schritte weiter in ein Haus, wo M
mit Sicherheit erwarten durfte, Unglückliche zu
finden.

als ſte ihre Freundin kommen fah, war da-

gegen vergeſſen. Es war ihr dies jedoch zu

verzeihen, da fie noch niemals in daſſelbe einz

getreten war und jetzt nur deßhalb hineingehen

wollte, um zu ſehen, ob ſich vielleicht arme, ihr

noch unbekannte Familien darin befänden-
Fortſetzung folgt.)

Buntes.

. Or. Thiers, mit ſeinen hiſtoriſchen Arbet
ten beſchäftigt, fährt fort, zu behaupten, daß er ſich
nicht mit Politik beſchäftigen wolle, fpricht aber
überall davom Man will bemerken! daß er nie
mit ſo viel Wohlwollen über die Legitimiſten und
den Grafen Chambord gefprochen habe, als feßf.
Im ebrigen iſt er ſehr munter und gefund. „VBor


in einem Salon —, „meine Luftröhren waͤren an-
gegriffen; ich aß Wenig, verdaute ſchlecht! Jetzt
befinde ich mich vortrefflich, effe, frinke , verdaue
für Vier Louis Napoleon iſt wirklich ein großer
Doctor.

Als der Gemeinderath von Gray, im Oher-
Saone-Departement, erfuhr, daß die Coneeſſton
zum Bau einer Eiſenbahn nach dieſer Stadt un-
ierzeichnet ſei, votixte derſelbe eine Danfk-Advreffe
an den Prinz - Präfiventen und fügte daran die
dringendẽ Bitte, Ludwig NMapoleon möge die Fe-
der, mit welcher er das Decret unterzeichnet, der
Stadt zum Geſchenke machen Diefer Bitte ift
willfahrt und die Feder eingerahmt, mit einer Aufs
ſchrift verſehen und in dem Verſammlungs- Locale
des Munteipalraths aufgehängt worden. ;

In Lyon wurde juͤngſt ein gewiſſer Berniszt
wegen, Brandftiftung zum Tode verurtbeilt. Mit
der größten Gleichgülligkeit hörte er das Urtheil
an, und als daſſelbe geſprochen war, neigte er ſich
zu ſeinem Advocaten mit den Worten: Wie faͤn⸗
gen wir es aber künftigen Freitag an, wo ich vor
dem Correctionelhofe wegen Theilnahme an gehet-
mer Geſellſchaft erſcheinen ſoll?“

Der Herzog von Veragua, ein Nachkomme
des großen Columbus, hat der National Bibliothet
zu Madrid ſämmtliche in ſeinem Befiße ſich be-
findende Handſchriften ſeines großen Vorfahren ge-
fchenft. Es iſt dies ein wahrer Schaß für die Ge-
fchichte, und der Hiftoriker Don Antonio de los
Rins iſt Lom Könige bereits beauftragt, ſie zu be-
arbeiten.

Von Otto Hübner iſt Fürzlich ein „Jahrs


und ſchätzbare Beiträge zur Beurtheilung der ge-
genwärtigen ſchwebenden handelspolitiſchen und
nattonal ökonomiſchen Fragen gibt. Der Heraus
geber hat, damit ein Werk begonnen, wie deren
Fte franzöſiſche und engliſche Literatur ſchon befißt,
das für Deutſchland aber fehlte, nachdem Reden’s
ſtatiſtiſche Monatsſchrift durch die Ungunſt der
Zeitverhältniſſe und die politiſchen Beſtrebungen
des Herausgebers ihr Ende fand. Dem Jahrbuche
ift alg Beilage die dritte Auflage der ftatiftiſchen
Tafel aller Länder der Erde beigegeben, welche
der Verfaſſer durch zuperlãſſtge Miltheilungen viel-
fach zu ergänzen und zu berichtigen im Stande
war.

.. Neulich wurde des Nachts die Gemeinde
Montreuil (bdet Varis) durch mehrere Schüffe
und durch militäriſche Commando's, von einer Fräf-
tigen Stimme ertheilt, in Allarm verſetzt. Man
drang in das Haus, woher der Lärm kam, und
fand deſſen Bewohner mit dem Abfeuern von La-
nonenſchlägen befchaͤftigt. Derſelbe hatte den Ver-
ſtand verloͤren und hielt ſich für einen dem Feinde
eine Schlacht liefernden Obergeneral.

Redigirt unter Verantwortlichleit von G. Keichard.

Druck und Verlag von G. Re ich ard.
 
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