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Feuilleton.

Ein Telegraph nach Auterika.
Die Idee, einen Telegraphennach Amerika
ins Leben zu rufen, iſt durchaus noch nicht
aufgegeben, wenn auch im Augenblick wegen
der ungeheuern Schwierigkeiten, die dem Un-
ternehmen im Wege ſtehen, nicht viel davon
die Rede iſt. Dieſe Schwierigkeiten ſind viel-
fach unterſchätzt worden. Naͤchdem der unter-
ſeeiſche Telegraph zwiſchen Dover und Calais
in Thätigkeit geſetzt worden war, glaubte man,
die Legung eines Drahtes durch den atlantiſchen
Oeean fei geſichert, und es Fomme nur darauf
an, Dden Draht zu fabriziren. Dieſe Anſicht
iſt falſch. Mit ver Herſtellung eines 3000
Veilen langen iſolirten Leitungoͤdrahtes iſt die
Sache wenig gefördert, ſo lange nicht für den-
ſelben ſichere Zwiſchenankerpunkte aufgefunden
werden können. Für dieſen Zweck gibt es aber
zwiſchen England und Amerika auͤf der näch-
ſten Route nur wenige vereinzelte Stellen tin
Meere, als die: toree Chimneys, 30 Gr. weſt-
liche Länge, und Jachuet Islaud, 40 Gr., von
wo aug kein weiterer ſeſter Ankerpunkt bis
Newfoundland exiſtirt. Der atlantiſche Decean
ſelbſt iſt der Orahtlegung bei Weitem nicht fo
günſtig, als der Kanal war! Hier iſt der
Grund feſter, gleichmäßiger, ebener, die Tiefe
nicht über 200 Faden. Im atlantiſchen Ocean
bagegen hat man mit einem Senkblei, bei deſſen
Lange von fünf Meilen an manchen Stellen
nicht den Grund erreichen können; die Breite
der unterſeeiſchen Thäler wechſelt zwiſchen einer
halben und zwei Meilen; die aufſpringenden
Felſen ſind zumeiſt riffig und ſcharfkantig, ſo
daß die Drähte an ibuͤen bei einigermaßen be-
wegter See bald in Stücke geriſſen würden,
und überdieß iſt der Meeresgrund auf weiten
Strecken bald von gigantiſchen Seegewächſen
bedeckt, aus denen dek Lingeſenkte Draht, wenn
er einmal zerriſſen oder befchädigt werden follte,
durch keine Kraft der Welt wieder herausge-
wunden werden könnte! Dieſe Umſtände haben
die Gebruͤder Harriſon veranlaßt, einen andern
Weg zur Legung des transatlantiſchen Drahtes
aufzuſuchen, und ſte machen nun folgenden
Vorſchlag: Von der Landſpitze Schottland3 aus
wyllen ſte den Draht hinüber nach den Orkney,
Shetland- und Farber Inſeln gelegt wiſſen,
von da na Island, von Islaͤnd nach deni


durch die Halbinfel nach irgend einem Punkte
an der Davisſtraße, von hier durch die Hud-
ſoneſtraße nach Obercanada, über Quͤebee
hinab in das amerikaniſche Feſtland. Auf die-
ſem Wege käme der Draht bios 2500 Meilen
unter Waſſer zu liegen, und zwar auf der
längſten Strecke zwiſchen den Farder Infelu
und Island blos in einer ununterbrochenen
Ausdehnung von 500 Meilen, mo der Meeres-
Vund ungleich günſtiger, als im atlantiſchen
Ocean ſein ſoll. Bei dieſem Plane wird, wie
man ſteht, auf den ungeheuern Umweg, der
für die elektriſche Strömung freilich keine (deſto
mehr für die Herſtellungskoſtenj Bedeutung
hat, durchaus nicht Rückſtcht genommen und
blos auf die geographiſche Lage der feſten, ge-
hotenen Ankerpunkte gefehen. Die Gebtüder
Harrifon glauben überdieß, daß mit der An-
nahme ihres Plaͤnes der erſte Schritt gemacht.
ſei, die ganze Erdkugel mit einer Telegraphen-
Litung zu umgeben, denn ſetzt man ihre beab:
ſichtigte Drahtleitung weiter gegen Weſten fort,
ſo kommt man nach der Behringsſtraße, legt
hier den unterſeeiſchen Oraht wieder hinüber
nach der aſtatiſch-ruſſiſchen Küſte und hat von
da aug feſten Boden zur Verbindung mit allen
Welttheilen der Öftliden Hemifphäre. Warum,
bemerkt dazu der Schw. M, macdht man diẽ
Leitung von England aus nicht gleich über
Sibirien, da man in dieſem Falle doch nur

]
|

die kleinen Waſſerſtraßen des engliſchen Kanals


Mas eine Mutter leiden kann.
(ortſetzung)

In dieſem Augenblick war es, wo die men-
ſchenfreundliche Dame ſchon auf der Schwelle
dieſes armen Hauſes ſtand, als ſte ihre Freun-
din aus der Ferne auf ſich zukommen ſah.
Noch eine ganze Stunde verging, ehe ſich die
unglückſelige Mutter aus ihrem traurigen Nachs
denken erhob. Auch ſie Hatte Hunger, auch
ſie vernahm die Stimme des darbenden Koͤr
pers, und Weh und Schmerz durchwühlten ihre
Eingeweide! Aber ſie ſaß an einem Sterbe-
bett und erwartete mit Angſt die ſchreckliche
Stunde, wo ſie als Mutter die brechenden Au-
gen und die letzten Bewegungen ihres Kindes
ſehen ſollte. — Konnte ſte da wohl an ihre
eigenen Leiden denken? Nein! Eine Mutter iſt
ſtets Mutter, ſei ſie glücklich oder unglücklich,
reich oder arm; es gibt kein tieferes Gefühl,
keinen gewaltigeren Trieb als den, der die
Frauen an ihre Kinder feſſelt; und diefes Ge-
fühl, Diefer Trieb iſt noch inniger und mäch-
tiger bei jenen, die es wiſſen, wie viel Sorgen,
wie viel Angſt, und wie viel Mühe und An-
ſtrengung ihre Kinder ihnen gekoſtet haben.
Arme Leute wiſſen das aber vor allen anderen.

Um zehn Uhr wurden die Frau und der
Knabe zugleich wie von einer geheimen Berüh-
rung ergriffen; {ie ſprang von ihrem Stein,
er von dem Kamin auf, und beide riefen aus
einem Ton: Ha, da iſt Vater/ Hänschen! Ach,
Mutter, va iſt Vater! — Und ein Lächeln
der Freude gab ihren Geſichtern einen neuen
Ausdruck. Sie hatten vor der Thür das Ge-
räuſch eines Fuhrwerkes gehoͤrt und wollten
demjenigen, den ſie erwarteten, entgegengehen;
aber noch ehe ſie die Thüre erreicht hatten, trat
ein Mann in die Stube! Während dieſer den
Schnee von ſeinen Schultern ſchüttelte, hatte
Hänschen ſeine eine Hand ergriffen und zerrte
daran, alg ob er ſeinen Vaͤter tiefer in das
Zimmer ziehen wollte. Die andere Hand gab
der Mann ſeiner Frau, die er mit tiefer Be-
trübniß anblickte. Endlich ſeufzte er: Trees,
Weib, wir ſind unglücklich! Nun ſtehe ich ſchon
ſeit heute früh mit meinem Schubkarren an der
Eiſenbahn und habe doch noch nichts verdient!
Was nun anfangen? Sieh, Trees, — magſt
Du's glauben oder nicht, — ich wollte wohl,
daß ich todt wäre!

Wie ungenügend die Worte des Mannes
auch waren, um einen tiefen Schmerz auszu-
drücken, ſo waren ſeine Qualen deshalb doͤch
nicht wentger heftig. Sein Kopf hing ihm
muthlos auf der Schulter, ſeine Augen waren
ſtarr auf den Boden gerichtet und an dem
Ringen ſeiner Hände fah, an dem Knacken
ſeiner Finger hörte man wohl, daß die Krämpfe
der Verzweiflung ſeine Sehnen und Nerven
ergriffen hatten. Die Frau, die ihr eigenes
Weh vergaß, fobald ſie erkannte, welche Fol-
terqualen ihr Mann innexlich duldete, ſchlang-
ihren Arm um ſeinen Hals und antwortete
ſchluchzend: Ach Sus, ſei nur ruhig, es wird
ja nicht immer ſo bleiben. Du kannſt ja nichts
dafür, daß wir ſo unglücklich ſind. — Vatet,
ach lieber Vater, rief der Kleine, mich Hungert;
bekomme ich nun ein Butterbrod?

Dieſe Worte erregten in dem Manne eine
ſchreckliche Bewegung: all ſeine Glieder bebten,
ſeine Blicke fielen wie in Raſeret auf den kla-
genden Knaben, UND er ſah ihn ein Weilchen
ſo ſtier und wild an, daß Hänschen, erſchreckt
und ſchluchzend, zu dem Kamin zurückeilte und
von dorther ſeinem Vater weinend zurief! Ach,
lieber Vater ich will es nicht wieder thuͤn!

Ohne von ſeiner geiſtigen und körperlichen
Auftegung befreit zu fein, trat nun der Mann

an das Bett und betrachtete mit noch ſchärferen
Blicken das ſterbende Kind, daͤs ſeine matten
Aeugelchen noch einmal zu feinem Vater aufs
ſchlug. Trees! rief er, ich kann es nicht laͤn—
ger aushalten. Es iſt beſchloſſen; denn einmal
müßte es ja doch dahin kommen! — Was ift?
Ach Gott, was haſt Du?

Der Mann, in deſfen Herzen ſoeben ein
großer Kampf gekämpft worden, ward ruhiger
und da er erfannte, welche Angſt er feiner
zuten Frau durch ſeine Ausrufungen verurſacht
hatte, fo ergriff er ibre Hand und fagte mit
Niedergeſchlagenheit: Trees, Frau, Du weißt
es, ſeit wir verheitathet find, hHabe ich ſtets
redlich gearbeitet; nie habe idy einen Tag vor:
übergehen laſſen, ohne für Dich und unfere
Linder zu ſorgen. Sollte ich nun, nach zehn
Jahren mühſeligen Arbeitens, betteln gehen,
ſollte ich das Brod, das ich ſonſt immer durch
meine Anſtrengungen verdient habe, nun von
Thür zu Thür erbitten müſſen? Trees, das
kann ich nidt. .. und wenn wir alleſammit
vor Hunger und Noͤth ſterben follten. Sieh,
ich werde roth vor Scham, wenn ich nur daran
denke! Betteln, nein! Aber es bleibt uns noͤch
etwas übrig, das im Stande iſt, uns auf el-
nige Zeit mit Nahrung zu verſehen. Es ſchmerzt
mich, Frau, aber es muß ſein: ich will unſern
Schubkarren auf dem Freitagsmarkt verkaufen.
Vielleicht habe ich wieder Arbeit, wenn der
Erlös daraus verzehrt ſein wird; und dann
wollen wir ſparen, damit mir uns einen neuen
Schubkarren anſchaffen können! Wartet alſo
nur noch ein halbes Stündchen! dann werde
ich Euch allen etwas zu eſſen bringen.

Der Schubkarren war das einzige Werkzeug,
womit der brave Arbeitsmann fein Brod ver:
dienen mußte. Kein Wunder alſo, daß der
Beſchluß, ihn zu verkaufen, ihm fo viel Ue-
berwindung gekoſtet hatte und ſo viel Kummer
verurſachte. Die Frau war über dieſen trau-
rigen Vorſatz nicht minder trofllos; da aber
ihr Mutterherz dringend für ihre Kinder um
Hülfe rief, ſo billigte ſie ihn und antwortete:
Ja, ja, eile nur nach dem Freitagsmarkt und
verkaufe den Schubkarren, denn unfer arnies
Hänschen vergeht vor Hunger; ich ſelbſt kann
beinahe ebenfalls nicht mehr auf meinen Beinen
ſtehen; und das unſchuldige Würmchen, das
da im Sterben liegt. . , .. ach, mein armes,
liebes Kind, wäreſt Ou doch ſchon im Him-
mel und ſpielteſt mit den Engeln! Bet dieſen
Worten drangen heftige Thraͤnen aus ihren
Augen, und eine Auftegung, wie er ſie bereits
kurz vorher empfunden hatte, ergriff auf's neue
Seele und Koͤrper des Mannes, der ſich jedoch
in der Aeußerung derſelben Gewalt anthat
und mit ſtiller Verzweiflung zur Thür hinaus-
ſtürzte.

Bald darauf hörte ıman das Raſſeln eines
fortgeſchobenen Karrens, das augenblicklich in
der Ferne verhallte.

(Fortſetznng folgt.)

Buntes.

In der fibiriſchen Provinz Zakutst, deren
Flächenraum einem Drittel von Europa gleichtfommt,
haben vie griechifh=ruffifchen Mifſtonare eine trag-
bare Kirche bauen laffen, die man aus einander
nehmen und leicht wieder zufammenfeßen Fann.
Seit 8 Monaten haben ſte mit diefer auf mehrere
große Wagen geladenen Kirche, in welcher bereits
1500 Heiden die Taufe empfingen, den größeren
Zheil der Provinz durchogen und mehr alg 2200
Stunden zuͤrückgelegt.

Ein Amerifaner will eine Flinte erfunden
haben, die wenig ſchwerer als eine gewöhnliche
fet und mit der man in anderthalb Minuten 50
Schüſſe losfeuern könne.

Nach der Canadtan Tribune ſtarb in der Naͤhe
von Montreal, in Berthier ein Or. K, Boucher,
106 Jahre altı Er war dreimal verheirathet und
Vater von fedh$zig Kindern. Es überkleben ihn
43 Rinder, 66 Entek, 13 Urenkel, 20 Neffen, 70
Ur-Neffen und 12 Ur-Ur-Neffen.

Redtgirt unter Verantwortltchteit von G. Keichard.

Druck und Verlag von G. Re ich ard.
 
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