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Beilage Blaͤtter


N“ 123.

Freitag, den 8. October

1852

Oeſterreichiſche Monarchie.

In der galtziſchen Kreisſtadt Koloutea
bat ſich/ wie dem Lloyd berichtet wird, ein
bedauernswerthes Ereigniß zugetragen! Am
jüdiſchen Verlöhnungstage waren Tauſende
von Israeliten in der Synagoge verſam-
melt, als ſich das Geruͤcht verbreitete, im
oberen Stockwerk, wo ſich die Frauen be-
fanden, fet Feuer ausgebrochen Angſt und
Schrecken bemächtigten ſich der Fraucn, und
ein großer Theil derſelben drängte ſich über
die ſchmale Stiege dem engen Ausgange
mit ſolcher Heftigkeit zu, daß viele erſtick-
ten, was um ſo eber geſchaͤh, als alle in
Folge des Feſttags durch 24 Stunden we-
Dder Speife noch Trank zu ſich genommen
hatten und daͤher nicht hinreidhende Kraft
befaßen, ſich einen Weg ins Freie zu baͤh—
nen. Bei mandden erwieſen ſſich die raſch
angewandten Wiederbelebungsverſuche als
wirtſam, 36 Individuen aber erlitten den
Tod in Folge des durch eine Diebesbande
abſichtlich erzeugten Feuerlärms, welche die
Verwirrung benützen wollte, um den Ju-
denfrauen im Getümmel den mit Perlen
und Diamanten beſetzten Kopfputz (die ſo-
genannten Sternbündeh) zu rauben, was
au zum Theil geſchah. Unter den Ver-
unglückten befinden ſich mehrere ſchwangere
Nerſonen und 3 Kinder.

Fraukreich.

Varis, 5 Dct., Nach den neueflen
Berichten iſt Louis Napoleon, inmitten des
kaiſerlichen Jubels der Bevoͤlkerung, geſtern
um 5 Uhr in Toulouſe eingezogen. Der
Moniteur! bringt wieder eine lange Neihe
Adreffen für das Kaiſerreich. — In Boͤr—
deaur und der Umgegend wurde bedeuten-
des Schießmaterial entdedt und in Beſchlag
genommen. — Heute Nacht wüthele in Pa-
ris ein ſchrecklicher Sturm, -

* Baris, 6, Oet. In Montpellier hat


gehen Verurtheilte amneſtirt.

Aus Toulon berichtet man, daß der
Prinz am 28, vı M. Morgens einen lan-
gen Mitt unternahm, um die Feſtungswerke
zu beſichtigen und an Ort und Stelle vie
jhwierige Frage von der Erweiterung der
Stadt zu unterſuchen. Denn die doͤrtige
Bevölkerung, auf 70,000 Seelen angewach-
ſen lebt innerhalb der Fortificationen außerſt
gedrängt (1400 Einwohner auf einer Hec-
tare, waͤhrend in Paris felbſt nur 350 auf
denſelben Raum fkommen) ; die Miethe und
in Folge davon guch alle anderen Bedürf-
niffe, werden dadurch ſehr vertheuert und
die Arbeiter ſind genöthigt, weit vom Ha-
fen entfernte Wohnungen zu ſuchen. Durch
das nachſtehende Decret (gegengezeichnet
vom Kriegeminiſter) ſind nun die Schwie-
vigfeiten, welche weszuräumen die fruͤheren
Regierungen Anſtand nahmen bei Seite
geſchoben; Ludwig Napolcon, Praͤſident
der franzöſiſchen Republik, in der Abſicht,
der Stadt Toulon die Ausdehnung zu ge-
ben, die ſchon lange ihre Bevoͤlkerungszaͤhl
und der Rang diefes großen Kriegshafens
unter unferen Nationalehrenzierden und
Leichthümern fordern, Decvetirks Art. 1,
Der Feſtungsring der Stadt Toulon wird
ſofort erweitert, und zwar auf den im Ge-
ſetzentwurf v. 17 Mai enthaltenen Grund-
lagen. Art.2. Der Miniſterſtaats ſeeretär
des Kriegs iſt mit der Vollſtreckung gegen-
wärtigen Decrets beauftragt.“ Als Des
Abends im Graͤtisſchauſpiel das Gerücht

Lon der für die Stadt fehr erfreulichen
Verfügung zu cireuliren anfing, emftand
eine ſoͤlchẽ Aufregung, daß das Stuͤck un-
terbrochen werden mußte, Einer der Zu-
ſchauer, der ein gedruͤcktes Exemplar der
Proelamation in der Hand hielt, mußte e$
auf Verlangen vorleſen, worauf ein confu-
ſer Subel, aus dem ſich der gewohnte Ruf:
„Es lebe der Kaifer!“ entwicelte, 20 Miz
nuten lang die Schauſpieler nicht zu Worte
fommen Iteß. — Durch das Marfeiller Com-
plott, das hier und da ſchon als ein Ar-
gument gegen die Milde ausgebeutet wurde,
ließ Ludwig Napoleon ſich nicht abhalten,
153 Verbannten und Internirten des Var-
departements Gnade zu gewaͤhren.!

Eugland.

London, 2. Dcthr., Auf der britiſchen
Armeeliſte ſtehen jetzt nur noch 3 Feldmar-
ſchälle: Prinz Albert, der König von Bel-
gien und der Marquis von Anglefey. 6
Feldmarſchälle ſtarben in den letztẽn 3 Jah-
ven: der Herzog von Wellington, Sir
George Nugent, Feldmarfhall Grosvenor,
der Herzog von Cambridge, der König von
Hannover und der König der Niederlande.
Der Generallieutenant Lord Fitzroy
Somerſet iſt zum Feldzeugmeiſter ernannt
worden!

* Qopndon, 4, Och Nach der Sunday
Times ift die feierliche Beftattung Weling-
tong auf den 13, Nov. feſtgeſetzt! — Chro:
nicle behauptet, der Papft werde Im Dechr.
nach Fraͤnkreich fommen, um die Kaiſerkrö-
nung zu vollziehen. —. Die Invaſtonsbe-
forgniß i in Dden Wochenblättern immer
noch an der Tagesordnung.

Belgien.
Brüſſel, 5, Oet Heinrich v. Broeckere

hat die Bildung eines neuen Cabinets über-
nommen.

Italien.
Die neueſien Berichte aus Turin mel:
den, daß die ſardiniſche Regierung mit dem
Plane umgehe, ſaͤmmlliches Kirchengut zu
confisciren und die Biſchöfe künftig „aus
der Staatskaſſe? zu ‚bezahlen. . Nom habe
darauf mit der Crcommunication gedrobt,
Frankreich ſucht zu vermitteln.

Spanien.

In Madrid fand am 28. Sept. Nach-
mittags die feierliche Beerdigung des ver-
ſtorbenen Generals Caſtanos ſtatt. Es war
ein prachtvoller Zug. Der Koͤnig folgte zu
Suß, umgeben von allen Großwürdenträ-
gern des Reichs. Der Leichenwagen ward
von 8 Marſtallspferden gezogen und hiel-
ten das Leichentuch 2 Marſchaͤlle, der älteſte
Grande ein Ritter des goldenen Vließes,
der Praͤſident des Senats und der der Dee
putirten 260 arme Kinder, denen der Vet?
ſtorbene in ſeinem Leben viel Guͤtes ge-
than, eröffneten den Zug, dann kamen 280
arme alte Männer. Alle trugen brennende
Fackeln. Es iſt dies das erſte Mal, daß
in Madrid einem Unterthan eine ſolche Ehre
widerfuhr. Die ſpaniſche Etiquette laͤht dies
an einem Orte, wo der Monarch ſich auf-
hält, nicht zu. Die Königin aber hat dieſe
Feierlichkeit eigens befohlen, und werden
die Koſten aus Staalsmitteln beſtriiten Die
Königin Iſabella war ſelbſt in der Atocha-
kirche wo der General vorläufig beigefetzt
iſt, gegenwärtig und wird auch morgen daͤs
feierliche Seelenamt dort anhören! Auf
dem Rückwege nach dem Schloſſe wurde

die Königin mit ſtürmiſchem Beifall von
den verſammelten Maſſen empfangen. Das
Volk weiß ihr Dank für die Ehre, die ſie
dem Lieblingẽ der ganzen Nation erzeigt hat.

Feuilleton.

Ein Luftſchiffer.

Aus Bagneres de Luchon wird berichtet,
daß dort ein Spanier, Namens Antonto
Moles, eine Luftfaͤhrt mit einem von . ihm
erfundenen Apparate gemacht, in welcher er
bei ruhiger Luft das Problem, den Baͤllon
nach Willkühr zu. (enken, vollkommen ‚gelößt.
Der horizontal geſtellte Ballon hatte ‚ungefähr
15 Fuß Durchmeſſer in der Höhe und ‚21 in
der Breite, Umflochten mar er mit einent fetz
denen Neße, an welchem ſtatt des Naͤchens
fefte Riemen angebracht waren! Der Luͤftſchiffer
Moles befeſtigte an demfelben ein Brett, auf
welches er ſich in der Stellung eines Schwim-
menden legte nach der Länge des Ballons, Cr
war auf dem Brette freigeſchnallt haͤtte an
den Füßen, zwiſchen Knie und Knöchel beweg-
liche Schirme, in der Form von großen Regen-
ſchirmen, und in den Händen große Schieme
gleich Lichtſchirmen, die ſich in der Mitte zu-
flappten. Der Strick der Ventile war an
ſeinem Focke Defeftigt, . am Gürtel hing ein
Sack mit Schrot als Ballaſt. Er erhob ſich
ungefähr 600 Fuß und ließ dann feinen Appa-
vat fpielen, indem die Schirme an den Füßen
ſich öffneien und ſchloffen und er mit den
Schirmen in den Händen in derſelben Richtung
ruderte und wirklich fhwanım er in der Luft,
wohln es ihm beliebte! Der Luftſchiffer behaup-
tet, bei Wind noch raſcher manbvriren zu können.

Mas eine Mutter leiden kann.
Gortſetzung und Schluß.)

Ein kaͤlter Schauer überlief Anna und ibre
Freundin. Die Seene, die ſich hier ihren
Blicken darbot, war herzzerteißend! Die junge
Srau, die vor dem Beit geſeffen hatte, Lag
ohne Regung und Gefühl auf dem Stein; Ihre
Wangen waten bleich ihte Augen geſchioffen,
ihre Lippen blau und ihr Kopf hing nadh hin!
ten über der Ecke des Bettes, wie der empfin-
dungsloſe Theil einer Leiche, Der Knabe hatte
den ſchlaff herabhängenden Arm feiner Mutter
ergriffen und rief in dem Augenblick wo fein
Vater und die beiden Fräulein in die Stube
traten: Lieb Mütterchen, ah, mich huͤngert fo
ſehr! Nar ein Stückchen Brod! — Der Mann,
ohne die Gegenwart Adela's und ihrer Fteun?
din zu brachten, ſprang angſtvoll auf ſein Weib
zu, rief ſte in voller Verzweiflung bet ihrem
Namen, zerraufte ſich die Haare und braͤchte
nur abgeriſſene Worte hervor! Trees! rief er
hHeulend, ach, liebe Trees unglückliche Frau! ..
Herr, mein Gott, ift das möglih? , . Tovt,
todt vor Hunger und Kälte! Haͤben wir
das auf der Welt verdient? — Unfer dieſen
Ausrufungen griff er nach dem Tiſch und er⸗—
faßte ein Meffer. Anng aber, die feine Bes
wegung mit einem Angſtſchtei bemerkt hatte,
eilte fofort hinzu und entriß ihm das töotliche
Werkzeug! Eure gute Frau {jt nicht todt! rief
ſie; va, lauft fo ſchnell Ihr könnt und hoͤlt
Wein aus dem erſten beſten Weinkeller! Hler-
bei gab ſte ihm Geld und wies ihn haſtig naͤch
der Zhür, Er ſtuͤrzte zur Stube hHinaus und
flog wie ein Pfeil von dannen.

Anna nahm die unglückſelige Mutter in ihren
Arm. Ihr ſeldener Mantel und ihr Sammet-
 
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