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hut litten zwar durch die Berührung mit den
groben und ſchlechten Kleidern derſelben; das
barmherzige junge Mädchen fragte aber wenig
darnach und fuhr fort, die Kranke wie eine
Schweſter zu pflegen. Und in der That ſah
ſie in ihrer Menſchenfreundlichkeit nach dem
Gebot des goͤttlichen Jeſus die Sterbende wie
eine wirkliche Schweſter , an. Sie zog eine
Apfelſine aus ihrer Taſche, Ddrückte den Saft
derſelben auf die blauen Lippen der Frau und
deren Hände ſorgfältig in den ihrigen! Ein
Freudenſchrei entfuhr ihren Lippen, ais ſie ſah,
daß die Augen der Mutter ſich öffneten.

Während dieſer Zeit war Adela nicht müßig
geweſen und hatte ſich nicht damit begnügt,
dieſes Bild des Hungers und der Armulh an-
zuſtarren. Als ſte beim Eintritt in die Stube
den Ausruf des kleinen Jungen gehört haͤtte,
war ſie eilig nach dem Schubkarren gegangen,
haͤtte den ſteinernen Topf und ein Brod herein-
geholt und den Knaben einige Stücke Holz
auf das Feuer werfen laſſen.

Kaum hatte Hänschen das Brod gefehen,
als ſeine Augen nicht mehr davon abzumwenden
waren und er noch einmal um Butterbrod bat.
Adela, die heute Morgen noch ſo viel Abſcheu
vor armen Menſchen gezeigt hatte, war jetzt
beim Anblick ſo bitterer Noth dermaßen gerührt,
daß ſie ſelbſt das Meſſer vom Tiſch nahm,
das Brod an ihre Bruſt und ihre ſchönen
Kleider ſetzte und dem Knaben das ſo flehent:
lich erbetene Butterbrod ſchnitt! Da, mein
Kind, fagte ſte ſodann; iß nur jetzt, Du ſollſt
keinen Hunger wehr leiden. — Hänschen er-
griff mit Freuden das ihm dargereichte Butter-
brod warf der Dame zum Zeichen der Dank-
barkeit einige Kußhändchen zu und ſah ſie mit
ſo ſüßen Blicken an, daß Adela ſich abwenden
mußte, um ihre Thränen und ihre Rührung
zu verbergen.

Zu gleicher Zeit hatte die Mutter thre Au-

gen aufgeſchlagen und ſie mit ſeligem Entzücken
auf ihr eſſendes Kind gerichtet. Vielleicht wollte
ſie eben ihrer Woblthäterin mit Worten danken;
aber die Zurückkunft ihres Mannes hinderte
ſte daran. Als diefer ſeine Frau gegen ſeine
Erwartung lebend wiederfand, ſtellte er haſtig
die Weinflaſche auf den Tiſch, ſprang hinzu
und warf ſich mit einer Fluth von Freuden-
thränen um ihren Hals und küßzte ſie zu wie-
derholtenmalen mit inbrünſtiger Liebe.
Der Mann hielt ſeine Frau feſt in den Ar-
men, als ob er fürchtete, ſte noch einmal zu
verlieren, und rief dabei: Liebe Trees, lebſt
Du noch, mein gutes Weib? D, dann ift
alles gut! Ich habe Geld für unſern Schub-
karren erhalten; nun koͤnnen wir eſſen! Sei
nur ruhig! Ach, Gott, bei all meinem Ungluͤck
bin ich noch ſo froh Ja, liebe Trees,
denn ich habe gewiß geglaubt, ich würde Dich
in dieſem Leben nicht mehr wiederſehen.

Anna trat jetzt mit einem Schaͤlchen Wein
hinzu und hielt es an die Lippen der ſchwachen
Frau. Während dieſe den ſtärkenden Trank
zu ſich nahm, warf der Mann Blicke voller
Verwunderung auf Anna und ihre Freundin,
die ein wenig entfernter mit Häͤnschen beim
Feuer ſtand und deſſen Hände gegen die Flamme
hielt, mit den Worten: So, mein Soͤhnchen,
wärme Dir nur die Fingerchen, und iß ge-
ſchwind Dein Butterbrod auf, denn ich will
Dir noch eins geben.

Der Aibeitsmann ſchien aus einem Traum
zu erwachenz es war, als ob er jetzt erſt die
Anweſenheit der beiden Damen bemerkte Fräu-
lein, fagte er ſtockend, verzeiht mir, daß ich
Euch für die Hülfe, die Ihr meiner armen
Frau geleiſtet noch nicht gedankt habe.. 8
iſt gewiß menſchenfreundlich und milde von
Euch, in das Haus armer Leute zu treten,
und ich danke Euch Deßbalb aus voller Seele
taufend: und tauſendmal! Ihr guten Leute,


wiſſen, wie viel Hunger und Kälte Ihr erdul-
det habt und wie es Cuch ſchmerzen würde,
wenn Ihr Euer Brod erbetteln müßtet, da ihr


Eures Angeſichts erwerben wollt! Solche Ge-
ſinnungen verdienen Belohnung. Ihr ſollt
keinen Mangel mehr leiden. — Darauf warf
ſie eine ganz bedeutende Handvoll Geld auf
den Tiſch und fuhr fort: Hier iſt Geld! Vor
Eurer Thür ſtehen Kartoffeln, Holz und Brod.
Das alles gehört Cuch. Was den Schubkarren
betrifft, fo ift dieſer gar nicht verkauft worden;


täglichen Brodes, lebt auch fernerhin tugend-
haft und ordentlich und bettelt nicht! Wenn
aber Hunger und Kälte noch einmal Euch tref-
fen ſollten, ſo ſteht auf dieſem Zettel mein
Name und meine Wohnung, und ich werde
jederzeit Eure Freundin und Beſchützerin ſein.
— Während Anna ſprach, hörte man in dem
Zimmer keinen Athemzug , ſo ſtill war alles;
nur eine Thränenfluth ſtrömte aug den Augen
des Arbeiters und denen feiner Frau! Der
Mann vermochte im wahren Sinn kein Wort
mehr hervorzubringen und betraͤchtete nur wechſels-
weiſe die beiden Damen mit einem Erſtaunen,
das genügend zu erkennen gab, er könne nicht
glauben, was ſeine Ohren vernahmen! Als
Anna mit Sprechen aufgehört hatte, fank die
tiefergriffene Mutter von dem Stein auf den
Boden hinab, gleitete weinend auf ihren Knieen
in die Mitte der Stube ergriff die Hand des
Fräulein8, die ſie mit Thränen benetzte, und
rief: Ach Fräulein, Ihr werdet ſicher einen
ſeligen Tod ſterben! Gott wird e& Euch loh-
nen, daß Ihr wie ein Engel in unfer Haus
gekommen ſeid und mich vom Tod errettet habt!
— Seid Ihr nun zufrieden, Mutter? fragte
Anna. — Ach ja, gute8 Fräulein, nun find
wir glücklich! Seht nur einmal, wie unfer
Hänschen dort vor Freude bei dem warmen
Feuer hüpft und ſpringt! und wenn das kleine
unſchuldige Würnmchen, das dort im Sterben
liegt, ſprechen könnte, e8 würde Euch gewiß
auch danken und ſegnen! — Bei dleſen Wor-
ten lief Anna auf das kranke Kind zu, und
in der Vermuthung, daß es ebenfalls durch
Mangel dem Grab nahe gebracht worden, gab
ſie Adelen ein Zeichen zum Aufbruch! Dieſe,
die ſich an der Freude des kleinen Knaben er-
götzt hatte, hob ihn jeßt empor, küßte ihm die
Wangen und trat dann zu ihrer Freundin.
Unna wendele ſich nach der Thür und fagte
im Fortgehen: Seid getroſt, ihr lieben Leute,
binnen einer halben Stunde ſoll ein Arzt für
das Kind bet Euch fein; und ich zweifle nicht,
daß Ihr es noch werdet blühen, gedeihen und
heranwachſen fehen. — Ein feliges Laͤcheln
ſchwebte zugleich über die Züge der Frau und
des Mannes.

Beide begleiteten die Damen unter Segens-
wuͤnſchen und den feurigſten Ausdrücken der
Dankbarkeit bis zur Thür und ſahen ihnen
nach, ſo weit ſie ſie erkennen konnten.

Weder Anna noch Adela haͤtten ein Wort
zeſprochen, ehe ſie den Markt erreicht hatten.
Ihr Herz war zu voll, {br Gemüth zu ſehr
ergriffen, als daß ſte ihre Empfindungen duͤrch
die Sprache hätten ausdrücken können! Nun,
ſagte Anna endlich, was meinſt Du Adela,
findeſt Du die armen Leute in der That ſoͤ
ſchmutzig und abſchreckend wie man ſte ge-
wöhnlich mit Unrecht hält? — D nein, antz
wortete Adela, ‚ Ich bin ſorfroh, daß ich Dir
begegnet bin.. Es iſt mir, ‚ al8 ob ich durch
etwas Heiliges erhoben worden; ich empfinde
eine Rührung wie ſte mir bisher unbekannt
geweſen. Die Armuth flößt mir keinen Abſcheu
mehr ein.
den kleinen Knaben anf meinen Schoos genom:
men und geküßt habe? Welch artiges und auf-
gewecktes Kind! Das arme Hänschen! Die
Thränen ſtürzten ihm aus den Augen, al8 er


Dich fortgehen ſah. Nun ſage mir, liebe
Freundin, gibt e8 wohl auf Erden noch ein
größeres Glück als bag unfere? Jene guten
Menſchen waren faſt dem Hungertod nahe, fie
erhoben ihre Hände gen Himmel und riefen
den Herrn um Hülfe an, Da kamen wir zu
ihnen, als Abgefandte der goͤttlichen Barmher-
zigkeit; fie haben vor ung gefniet, mie vor
Engeln, die ihnen verkündeten, daß ihr Gebet
erhört worden, und haben Gott in uns geſeg-
net und gedankt! D, Avela, mag auch unfer
geſellſchaftliches Leben leichtſinnig und eitel ſein
die Freudenthränen diefer Menſchen wer-
den viele unſerer Suͤnden aufheben! — Sage
mir nichts mehr , fiel Adela mit tiefer Bewe-
gung ein, ich habe das alles klar eingeſehen
und verflanden. O, nun will ich alle Tage
mit Dir ausgehen, um arme Leute zu befuchen
und an Deinen guten Werken Zheil zu haben.
Sa, dann nun erſt kenne ich eine himmlifche
Freude und eine Art ven Srligkeit auf dieſer
Welt. Heiliges Wohlthun , unglücklich. ſind vie
Reichen, die Dich nicht kennen! Welche freu-
dige Rührung und welche füßen Genüffe ent-
behren ſte!

In dieſem Augenblick traten ſie in die Ho-
bokenſtraße und verſchwanden hinter der Ecke.

Buntes.

.. Bom 1. Juli 1848 big zum 30. gunt 1852
ſind nach einer in New-York erfhienenen Ueberſicht
von Europa aus 120 Mill. Dollars in america»
niſchen Staatspapieren und Eifenbahn-Actien. an-
gelegt worden. * *

.. Ein Königsberger Souhnacher 4 6
zur Taufe feines achten Kindes fämmtliche‘ Lan d=
tags=Deputirte alg Zeugen ein. Diefelben
nahmen die Einladung an, Keßen ſich durch Einen
aug ihrer Mitte bet der Taufhandiung, welche in
der kaiboliſchen Kirde Statt fand, vertreten und
dem Vater des Täuflings ein Pathengefchent don
zwanzig Thalern überreichen.

Wie bedeutend der Verkehr in Californien
iſt, mag man daraus entnehmen, daß der am 31-
Sult von San Francisco abgehende Dampfer Ore-
gon 60,000 Briefe und 30,000 Journale nach den
Vereinigten Staaten mitnahın, Die Journale er»
ſcheinen nicht ganz regelmäßig, weil es den Drit-
ckereien in Californien oft an Papier gebricht.

.. In München wurde zur Warnung bekannt
gemadht, daß in Defterreih feßt Scheine (Papier-
geld) im Umlaufe find, weiche ganz das AÄnfehen
von FJünfgulden-Noten hHaben, am Rande - aber
die Inſchrift führen: Muſter ohne Werth“. Die
Polizet in Wien ſoll fehr bemübt fein, diefer Sas
tire auf die Spur zu Fommen.

Ein höchſt feltenes Natur=-Creigniß hat vor
Kurzem in dem Dorfe Kolacı towo beti Schuz
bin im Großherzogthum, Bofen, Statt gefunden.
Sonntag vor 8 Tagen nämlich, gegen 4 Uhr Nachs
mittag$, 30g eine Windhofe, von Noͤrdweſten
fommend, heran und führte bis hoch an die Wol-
fen eine Staubwolke mit fich. Einige Einwohner
des Dorfes, welche dieß von fern fahen, hielten
es Anfangs für den auffteigenden Rauch eines
Heuers, big das Unwetter mit einem furchtbaren
Sturm mitten in das Dorf einbraͤch und eine
ſchreckliche Verwüßung anrichtete. Zwet Häufer
wurden gänzlich zerſtoͤrt, von 7' Gebäuden wurden
die Dächer und Giebel abgehoben und weithin auf
die Felder zerſtreut, 12 andere wurden mehr oder
minder peſchadigt. Sanze Scheunen und Stäle,
welche kein Fundament haben, find von Ihrem
Plaße gehoben und mehrere Fuß weit fortgerückt
worden. Zwei Schweine und eine Menge andere
kleiner Hausthiere find bei dem Einfürzen der Ges
|bäude erfehlagen‘ worden, Menfchen find. vdabet
gluͤcklicher Weife nicht ums Leben geklommen, va
diefelben ſich nach draußen auf freie Pläße ge-
flüchtet hatten. Ein Bauer wurde , während er
über ſein Gehöft ging, mehrmals in die HDöhe ges

wurde in eine Pfüße geſchteudert nnd hat fein Les
ben nur mit Noth und Muͤhe gerettet. ;
Zu Marfeille hat ſich ein angeblicher Dr.
Lonjon der in einer vierfpäantgen Equipage fuhr
‘und alle Kranfheiten vermittelſt des Oalvanismus
heilen zu fönnen verficherte, nach wentgen Wochen
mit etiva 30,000 Fr. davon gemacht, die er den
ihm ſeine Kuren vorausbezahlenden Leichtgläubigen
abgeſchwindelt hatte. -

Redigirt unter Verantwortlichkett von G. Neichard,

Druck und Verlag von G. Re ichard.
 
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