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Heidelberger Journal (46) — 1852

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Beilage-Blätter Nr. 1-13; 15-18: 20-22; 24-60; 62-157
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https://doi.org/10.11588/diglit.66017#1562
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Feuilleton.
M. wagner über die Veſidis?)


landes gehören die Oeſidis oder Teufelanbeter
in Kurdiſtan, Armenien und Kleinaſien, über
veren Herkommen von Ethnographen und Ge-
ſchichtſchreibern die abweichendſten Annahmen
aufgeſtellt worden ſtnd! Aus dem Vergleich
all der verſchiedenen Mittheilungen, welche wir
über den waͤhrſcheinlichen Urfprung, die Reli-
gion, Gebräuche und Sitten derfelben in Vorder-
aſten erhielten, geht für uns die Ueberzeugung
hervor daß die Heſiden als Volk wie als
Sekte ſtark gemiſchten Urſprungs find, daß
ſie aus den Zrümmern verfolgter altperſtſcher,
chriſtlicher und islamitiſcher Sekten und flüch-
tiger Stämme armeniſchen, perſiſchen und
arabiſchen Blutes welche, vor der Wuth und
dem Fanatigmus mächtigerer Unterdrücker flie-
hend ſich in die Berge und Wüſteneien war-
fen, entſtanden ſind! Hier vereinigte ſte die
gemeinſchaftliche Gefahr und das Bedürfniß
eines Bündniffes zum Widerſtand gegen die
Unterdrücker zu einem Gemeinweſen als Volk
und Kirche welches durch die ſpätern Angriffe
mächtiger Naͤchharn und die blutigen Verhee-
rungszüge der Türken und Kurden wieder
gefprengt murde. Die Flucht vor den Ver-
folgern und die nomadifhe Lebensweiſe trieb
ſie in verſchiedenen Richtungen auseinander,
bis in die Landestheile, in. welchen wir ſſie
jetzt theils feßhaft , theil$ wie die wandernden
Zigeunerhorden in engeren und weiteren Krei-
ſen umherziehend finden. Mir kamen die be-
rüchtigten Satanverehrer bei einer allerdings
zienilich flüchtigen Bekanntſchaft in Armenten
und Kurdiſtan alg recht harmloſe, gutmüthige
und trotz ihrer Armuth gaſtfreie und mit jedem
freiwilligen Geſchenke zufriedene Menſchen vor.
Auͤch das Urtheil meiner armenifhen Freunde
in Eriwan, welche unter den Heſiden gelebt
und jahrelang mit ihnen verkehrt haben, lautet
denfelben entſchieden günſtig! Ueberall, wo man
dieſe urmen verfolglen Sektiver in Ruhe läßt
und ſie wenſchtichet behandelt, alg es die Zürz
ken und Kurden thun, hat man es nicht mit
milden, wuthfhnauben den Barbaren und Räu-
bern, fondern mit frieblichen, frommen, auf Treue
und Ehrlichkeit Haltenden, keuſch und ſtttlich
lebenden Hirten zu thun , welche in rveligiöfen
Dingen fehr tolerant find, neben ihrem großen
Propheten/ Scheich· Hadi/ die Stifter des Chriſten-
{hum8s und des Islam verchren, dabei aber
freilich auch mit dem Teufel in Frieden und
gutem Vernehmen zu leben fuchen, und fogar
große Sympathie ihm {fHhenken, da fle ihn für
ein fruͤher mächtige8, jetzt unglückliches Weſen
hHalten. Ihren großen höchſten Gott bezeich-
nen auch die Yeltden mit dem arabifchen Worte
Allah. Als den Heiland beten {te die Sonne
und das Licht oDder.den Odem Goͤttes an, wel-
chen die Yefivden am Ataxes mit Jeſu wentift-
eiren. Seinen Namen und den des Kreuzes
ſprechen ſte nie andets alg Get feierlichem An-
Taffe, beim Gebet ı. f. w. au8, Der woͤchent-
liche Felertag der Heſiden ift der Donnerftag,
an welchem ſie die Arbeit einftelen, Bußübungen
und Furze einfache Gebete, die Wohlhabenderen
auch Werke der Milvthätigkeit verrichten! In
der Nacht des Charfreitags begehen ſte eine
geBeimnifvolle Feier, von welcher fie nicht
gerne erzählen; doch verſichert ein armenifiher
YNugenzeuge, daß Ddabet duͤrchaus kein unſttt-
licher Akt vorgehe, wie ihre moslemiſchen Feinde
ihnen verläumderiſcher Weiſe nachreden. Sie
ſingen und beten vielmehr mit großer Andacht,
triuken Wein und genießen ungeſäuertes Brod
aus einer gemeinſchaftlichen Schuͤffet, und diefe
Zeremonle ſcheint dem chriſtlichen Abendmahl

*) — nach 2— 2

gleich zu kommen! Drei Tage im Jahre hal-
ten fie ſtrengſte Faften, eſſen wie die Muhas
medaner nur bet Naͤcht und reichen waͤhrend
derfelben auch den Thieren der Heerde kein
Futter. Das deiſtliche Oberhaupt aller
Heſiden iſt der Scheif-Chan, ihr Bapit, welcher
in Baadli mohnt, nördlich von Mofful. Die
Famiilie diefes ihres Oberhauptes ſoll von dem
Hauſe der Omeſjaden abſtamnien, deren erſter
Khalife Muania mwar, der Vaͤter des Oefids
oder Jezids. Oleſem Jezid unterlag Huſein,
der Sohn Alls und daher werden mit feinem
Namen von den Schilten alle Gottloſen belegt,
zu denen fie auch die hier beſproͤchene Sekte
rechnen. Der große Wallfaͤhrtsort der Oeſiden,
einige Stunden ſeitwärts von Baadli gelegen,
heißt Laleſch und ſoll der Wohnſitz ihres größ-
ten Propheten, des Scheik-Hadi geweſen ſein,
deſſen Zeitalter nicht bekannt ift. Eine dortige
Quelle ſoll ihnen als Taufquelle dienen, in
welche ſie ihre Kinder dreimal, jedoch ohne Ge-
bet, untertauchen; dort ſtehe auch ein großes
viereckiges SGebäude, welches ſo viele Zimmer
enthalte, als Tage im SJahre. In der Mitte
dieſer Zimmer, woſelbſt ewige Lampen brennen,
beftude ſich das Anerheiligite. Hier habe ſich
der Scheik⸗Hadi zum erſten Male ſeinen Glaͤu—
bigen geoffenbatt; hier wird das Symbol des
Melek⸗Tauß oder Satang, die Figur eines Hahnen
auf einem Leuchter, zur Verehrung ansgeſtellt
— Alle Jaͤhre erſcheinen waͤndernde Geiſtliche
aus Laleſch bei allen, aug den entfernteſten
Gemeinden diefes Volkes um für den Wall-
fahrtsort und die hohe Geiſtlichkeit fromme
Gaben einzufammeln.: Sie führen eine Puppe,
unter deren Geftalt der Scheik-Hadi verehrt
wird/ jene gehetmnißvolle Vogelftgur ‚einen
dretfüßigen Leuchter von Metall, einen Knäuel
aus groben Zlegenhaaren gewoben eine kleine
Trommel und Schalmet mit ſich. Alt und
Jung eilt ihnen überall mit Freuden zum CEm-
pfang entgegen und begrüßt ſie und den Melek
Tauß mit Jubelruf. Nun werden jene beiden
Symbole inmitten der Verſammlung feierlich
aufgeftellt, die Lichter angezündet, die Trommel
gerührt, die Pfeife geblafen, die mYfiertöfen
Gebete vor dem Volke geſprochen, das zu dem
heil! Symbol auf den Knien herankriecht und
die Hände der Prieſter Füßt. Dieſe empfangen
ſodann die Gaben der Gläubigen und theilen
je nach deren Werthe größere oder kleinere
Fetzen des ziegenhärenen Knäuels aus, welche
die Empfänger fortan auf Ddem bloßen Leibe
tragen! — Checontract und die Ceremonien
des Begräbniſſes, dieſe letzern ſammt den dabei
üblichen Gebeten in ein undurchdringliches
Dunkel gehüllt, finden immer nur unter dem
Beiſein und Vorttitt des Geiſtlichen ſtatt, dein
vor Allein auch die Pflicht obliegt, das Volt
zur ſtrengen Beobachtung der alten väterlichen
Sitten und Gebräuche anzuhalten. Sicher iſt,
daß die Oeſiden an die Unſterblichkeit der
Seele, auch an das Paradies und die Hölle
jenſeits glauben. Aber fie fowohl als die
Armenier pflegen durch Geldgeſchenke an die
Prieſter die beſtimmte Zuſicherung ewiger Se-
ligkeit zu erkaufen. Um jedoch ihrer Sache
gaͤnz ſicher zu fein, wird dem Oeſtdiſchen Tod-
ten auch Geld ins Grab gegeben, womit er
ſich nach ihrem Begriffe den Eintritt in das
Paradies erkaufen kann, falls der Prieſter ihn
doch belogen und betrogen hätte! — Zu den
ſonderbaren Zügen, welche man von dieſem
Volke erzählt, gehoͤrt auch ihr Glaube an den
feſten Bann des Zauberkreiſes. Zieht man um
einen ſchlafenden Meſiden mit einem Stabe einen
Kreis in die Erde und weckt ihn auf, ſo wagt
er es nicht, ſich zu bewegen, und jammert
und bittet die Vorubergehenden, den Kreis zu
zerſtören Thut ihm keiner den Gefallen, ſo
bleibt er unter lautem Wehklagen Tage lang
darin ſitzen. Die Armenier ſollen ſich oft mit
ſchlafenden Meſiden ſolchen Scherz erlauben. —

Vom Teufel reden die Heſiden nicht gerne, und
mit Vermeidung ſeines eigentlichen Namens
Schaitan“ höchſtens in umſchreibenden Worten,
wie Melek Zauß , d. h.ſchwarzer Engel, ein
ſolches iſt. Dieſer, ſagen fte, fet einſtmals
einer der vornehmſten und beliebteſten Diener
oder Engel Goͤttes geweſen. Nach vollbrachter
Buße werde auch er wieder Vergebung und
Gnade finden und beiGott zu Ebren kommen.
Von den Menſchen fei e& dumm uad ſchänd-
lich, die Erbfünde und alles Uebel auf der
Erde dem Einfluß des Teufels zuzuſchreiben,
da ihnen doch Gott die volle Freiheit ihres
Wollens und Handelns gegeben habe, Keinen
Falls dürfe man einem in Ungnade gefallenen!
Engel, der wieder zu Macht nnd Anſehen ge-
langen werde, fluchen! Wer das fhue, Dder
werde es ſpäter zu bereuen haben. Dieſe An?
ſicht, ſchließt Wagner ſeine Mittheilungen hat
etwaͤs fo kindlich Liebenswürdiges daß mandher
mild denkende Ehriſt oder Muſelimann ſich mit
dem Yefidiemus verföhnen koͤnnte! Betet doch
dieſes Volk, mährend e& ſeinem Gott eine ver-
ſoͤhnliche Geſinnung gegen den heſtdiſchen Me-
phiſto zutraut, zu Ddiefem Gott zugleich in-
nerlich andächtig wie irgend ein orthoͤdoxer
Armenier. Keberhaupt gebt aus dem, was
unſere armeniſchen Freunde über den Chargcter
der Oeſtden berichten ein Beitrag zu er
Lehre hervor: Ddaß nicht das Dogma allein
den ſittlichen Werth vder Voͤlker beftimmt. Diefe
Teufelverehrer werden überall, wo fie frei. und
ſich ſelbſt überlaffen find, vder” fo- human bez
handelt werden, wie unter der Statthalterfchaft
des edlen Fürſten Woronzow,. von waͤhrheits-
liebenden Beobachtern fo vortheilhaft geſchildert-
wie mir e8 fchon oben angegeben hHaben , unDd,
beſitzen demnadı faſt mehr gute Eigenſchaften,
als alle übrigen Völker des Orients chriſtlichen,
jüdiſchen und muhamedaniſchen Glaubens zu-
fummengenommen. Auf der Skala des moras
liſchen Werthmeſſers unter den DVölkern des
Orients ſtehen die Yeftden hoͤher als die Tuͤr—
fen und dieſe höher als die Griechen und Ar-
men{ier. Man wäre ſomit beinahe zu denken
geneigt, daß Freiheit, Schickſal! Humanttät und
innere Kraft mehr noch als überlieferte Glau-
bendlehren, mehr noch als der Schwaͤll von
Formeln und Namen den menſchlichen Charat-
ter beſſern und veredeln, und Voͤlker wie In-
dividuen gut und tüchtig maͤchen koͤnnen

Buntes.

Nach der am 1. Juli d. J. vorgenommenen
Volkfszählung für Oldenburg hat die Bes
völferung des Großherzogthums im Vergleich mit
der Zählung vom 2 San. 1850 um 3886 Einwohr
ner zugendommen. Sie beirug nämlich am 1. Sult-
1852 225,699, am 2. Jan. 1850 dagegen 221,813.
Diefer Wachsthum der Bevölkerung hHat aber bloß
in den protẽſtanliſchen Landestheilen Statt gefun-
den! Die Zahl der Proteftanten iſt nämlih um
3859 gewachfen, während die der Katholiken ſich
gleich geblieben oder ganz genau geſprochen, um
29 gefunfen iſt! Die Urfache liegt in der ſtarken
Auswanderung aus den katholiſchen Landestheilen
nach Amerika.

Bei der Präſidenten Wahl in der Unton
wurde für das Washington? Denkmal in Washe
ington die Summe von 5674 Dollars gefam» .
melt.

Die nordweſtlichen Kunſtveretne
haben nun die Reihenfolge, in welchex ihre Ausz
ſtellungen im nächſten Jahre Statt haben ſollen,
feſtgeſetzt. Hannover wird mit dem 15. Februar
den Anfang machen; Halberſtadt eröffnet demnächſt
die Ausftelung am 5. April; Leipzig, das ſich
neuerdings angeſchloffen hat, am 15. Matz Gotha
am 5. Juͤniz Kaffel am 10. Auguſt. Die Sum?
men, welde die Vereine in diefem Jahre zum
Ankauf von Gemälven verwendet haben , find fol
gende: Hannover 3250 Thir., Halberftadt 3500
Thlr., Gotha 2335 Thlr., Kaffel 2337 Ehlr. . Die
mit diefen verbundenen Vereine haben zu Ankäufen

verwandt: Magdeburg 4336 Thlr., Haͤlle 1860
ı Thlr., Braunſchweig 2150 Ehlr..

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