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über die Deutiche Wiffenfchaft und Literatur. — 233
weſentlichſten Misverſtaͤndniſſe, die uns ſeine Idee noch zu
verdunkeln ſcheinen. Dieſen verſoͤhnenden Character der hoͤhern
allgemeinen, beynah myſtiſchen Sinne, wo wohl nichts anders
darunter verſtanden werden kann, aͤls die voͤllige und gaͤnzliche
Aufloͤſung aller Gegenſaͤtze in Einheit und Frieden, So we
nig wir dagegen als Geſinnung und als lehztes Diel einzuwenden
hätten, fo müffen wir doch bemerken, daß zwar wohl die Poefie,
5 wie die andern Künfe uns mehr oder minder in einen
Zuſtand zu verſetzen ſuchen, wo aller Streit verfdwindet, {πὸ
Alles in Harmonie verfchmilt; mie aber dies die nächfte und
eigenthuͤmlichſte Beſtimmung der vom Sondern und Unter:
ſcheiden urſpruͤnglich benannten Kritik ſeyn koͤnne, ſehen wir
nicht; es ſey denn, daß ihr bisheriger Begriff voͤllig ver⸗
ſchwinde und ſie ganz eins werde mit der Poeſie. Uns ſcheint
die Sache ſich ſo zu verhalten: die philoſophiſche Kritik iſt an
und fuͤr ſich weder polemiſch noch ireniſch, ſondern ſie iſt bey⸗
des zugleich, das eine oder das andre, ſo wie das Beduͤrfniß
der Kunſt und der Zeit es fordert, und die Beſchaffenheit
der Gegenſtaͤnde es mit ſich bringt. Will der Verf. nun der
bisherigen Deutſchen Kritik, die er als bloß polemiſch ſchil⸗
dert, eine andre durchaus und immer nur ireniſche entgegen—
ſetzen, ſo moͤchten wir ihm zurufen: „falle man doch aus
dere!“ — Hoͤchſtens koͤnnte man behaupten, daß das ireniſche
verſoͤhnende Element in der Kritik zuletzt freylich die Ober—
hand behalten, in einem gewiſſen Sinne alſo vorherrſchend
ſeyn muͤſſe; der Verſuch aber aus lauter Friede und Einigkeit
eine Kritik zuſammenzuſetzen, duͤrfte wohl eben ſo vergeblich
ſeyn, als durch vernuͤnftige Discurſe etwas produciren zu wol—⸗
len. Einige einzelne Beyſpiele werden deutlicher machen, was
es mit dieſer Anſicht, die ſtreng genommen, allen weſentlichen
Moral, ſo in der Literatur, aufheben wuͤrde, eigentlich fuͤr
ein Bewandniß habe. Aus dem hoͤheren hiſtoriſchen Geſichts⸗
über die Deutiche Wiffenfchaft und Literatur. — 233
weſentlichſten Misverſtaͤndniſſe, die uns ſeine Idee noch zu
verdunkeln ſcheinen. Dieſen verſoͤhnenden Character der hoͤhern
allgemeinen, beynah myſtiſchen Sinne, wo wohl nichts anders
darunter verſtanden werden kann, aͤls die voͤllige und gaͤnzliche
Aufloͤſung aller Gegenſaͤtze in Einheit und Frieden, So we
nig wir dagegen als Geſinnung und als lehztes Diel einzuwenden
hätten, fo müffen wir doch bemerken, daß zwar wohl die Poefie,
5 wie die andern Künfe uns mehr oder minder in einen
Zuſtand zu verſetzen ſuchen, wo aller Streit verfdwindet, {πὸ
Alles in Harmonie verfchmilt; mie aber dies die nächfte und
eigenthuͤmlichſte Beſtimmung der vom Sondern und Unter:
ſcheiden urſpruͤnglich benannten Kritik ſeyn koͤnne, ſehen wir
nicht; es ſey denn, daß ihr bisheriger Begriff voͤllig ver⸗
ſchwinde und ſie ganz eins werde mit der Poeſie. Uns ſcheint
die Sache ſich ſo zu verhalten: die philoſophiſche Kritik iſt an
und fuͤr ſich weder polemiſch noch ireniſch, ſondern ſie iſt bey⸗
des zugleich, das eine oder das andre, ſo wie das Beduͤrfniß
der Kunſt und der Zeit es fordert, und die Beſchaffenheit
der Gegenſtaͤnde es mit ſich bringt. Will der Verf. nun der
bisherigen Deutſchen Kritik, die er als bloß polemiſch ſchil⸗
dert, eine andre durchaus und immer nur ireniſche entgegen—
ſetzen, ſo moͤchten wir ihm zurufen: „falle man doch aus
dere!“ — Hoͤchſtens koͤnnte man behaupten, daß das ireniſche
verſoͤhnende Element in der Kritik zuletzt freylich die Ober—
hand behalten, in einem gewiſſen Sinne alſo vorherrſchend
ſeyn muͤſſe; der Verſuch aber aus lauter Friede und Einigkeit
eine Kritik zuſammenzuſetzen, duͤrfte wohl eben ſo vergeblich
ſeyn, als durch vernuͤnftige Discurſe etwas produciren zu wol—⸗
len. Einige einzelne Beyſpiele werden deutlicher machen, was
es mit dieſer Anſicht, die ſtreng genommen, allen weſentlichen
Moral, ſo in der Literatur, aufheben wuͤrde, eigentlich fuͤr
ein Bewandniß habe. Aus dem hoͤheren hiſtoriſchen Geſichts⸗