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Heidelberger Jahrbücher der Literatur — 34,1.1841

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No. 12
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https://doi.org/10.11588/diglit.41334#0186
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118 Strauss: Leben Jesu, u. Anijinon; Fortbildung d. Christenthums.
christlichen Systemen Halt und Ruhe finden. Dieses unbefriedigte
Bedürfniss hat dem Pietismus in den protestantischen Ländern
bei allen Ständen vielen Eingang verschafft, und da seine Lehrer
sich auf die Schrift stützen, sie in den Augen vieler zu Aposteln
erhoben. Es entsteht daraus vielerlei Missstand, und es dürfte
daher nicht ohne Nutzen seyn, eine Beleuchtung desselben vorzu-
nebmen. Wenn in derselben einiges berührt werden muss, das
vorher schon gesagt worden ist, so liegt es in der Natur des Ge-
genstandes. Es wird auch nöthigseyn, öfters Stellen aus der Schrift
anzuführen. Der Leser wird gebeten, sie zu seiner eigenen Ue-
berzeugung zur Hand zu nehmen.
Zu richtiger Beurtheilung einer religiösen Secte ist die Kennt-
niss ihrer Lehre nicht allein erforderlich; der in derselben herr-
schende Geist muss nicht minder in Betrachtung gezogen werden,
es sey als Folge derselben oder auch zufälliger Umstände, denu
er entscheidet gutentheils die Anwendung der Lehrsätze und ihren
Einfluss auf die Handlungen.
Die altern und neuern Pietisten in Deutschland und in Frank-
reich , die Mucker in Preussen, die Momiers in der Schweiz, die
Methodisten und ihre Erneuerung, die Wesleyaner in England
stimmen bei mancherlei Verschiedenheiten doch in Hauptsachen
überein, welche aus der Lehre des heiligen Augustinus von der
Gnade und der Prädestination hergenounnen sind, nehmlich dass
jedes Menschen Seligkeit und Verdammniss von Ewigkeit her vor-
aus bestimmt seyen, die Gnade allein selig mache, in den Werken
kein Verdienst sey, und diese für das Schicksal des Menschen im
künftigen Leben nicht entscheidend sind.
Der Glaube, die Gnade, der Geist sind Alles. Diejenigen,
welche den Geist haben, sind die Kinder Gottes, die ihn nicht ha-
ben , die Kinder des Teufels. Zerknirschung des Herzens, sich
mit inbrünstigem Gebete zu Gott erheben, der beständige Gedanke
an ihn und das Entsagen allem sogenannt Weltlichen sind die
Mittel, des Geistes theilhaftig zu werden und zum Schauen Gottes
zu gelangen. Dieses kann schrankenlos so weit getrieben wer-
den, dass des Menschen Zustand und Bestimmung ira jetzigen
Leben ganz vergessen wird; der Beispiele älterer und neuerer
Zeit sind nur zu viel.
Aus ähnlichen Begriffen entstand in den ersten Jahrhunderten
der Kirche das ascetische Treiben. Gemüthskranke Meuscheu
flüchteten sich vor den Gräueln der Welt, oder den Vorwürfen
 
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