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402

Zur griechischen Historiographie. I.

tigen Flamme zu wachsen. Diesen zerstreuten Erscheinungen nach-
zugehen, eine jede zu würdigen und nöthigenfalls den Nimbus ab-
streifen , den Uebertreibungssucht und Winkelpatriotismus ihr ge-
liehen haben; den Bestrebungen der kleinsten Cyklade gerecht zu
werden, und uns von der asiatischen Küste bis zu den jonischen
Inseln über Land und Meer mit stets ruhiger und fester Hand zu
führen: dazu war Trikupis der rechte Mann. Grosse Gesichts-
punkte dürfen wir ebenso wenig erwarten wie allgemeine Betrach-
tungen; das subjektive Urtheil des Verfassers tritt fast überall
zurück; und wir gestehen, dass uns dies nicht allzusehr Wundei’
nimmt. Trikupis ist kein räsonnirender Kopf; er greift die That-
sachen eine nach der anderen auf und stellt sie in schönster Ord-
nung neben und nach einander hin; der innere Zusammenhang,
die tieferen Beziehungen der Theile und des Ganzen, die geistigen
Faktoren der Revolution bleiben uns verborgen. Wir hören wohl,
dass gekämpft worden ist, aber keiner von den Kämpfern steht als
ein scharfausgeprägtes Lebensbild vor unserer Seele. Wir erfahren,
dass eine politische Verbindung sich gebildet hat, nicht wie sie
sich bildete; wir können das Sein, nicht das Werden der Begeben-
heit verfolgen. Anschaulichkeit und Lokalfarbe fehlen. Besässen
wir nicht die diktirten Memoiren von Kolokotronis, eins der merk-
würdigsten Denkmäler des griechischen Freiheitskampfes, so würde
uns der Einblick in das ureigene Leben der Nation versagt blei-
ben. Ein solches Leben besteht aber in voller Eigenthümlichkeit,
und gerade in der Schilderung dieser Eigenthümlichkeit suchen
wir den Historiker. Auch Trikupis hat hervorragenden Antheil an
den Ereignissen genommen, über die er selbst berichtet; aber er
gehört zu den Gebildeten, die dem Volke und dessen Freuden und
Leiden ferner stehen, er hat die Fustanella mit dem europäischen
Frack vertauscht. Der Wunsch, dass die Geschichte des griechi-
schen Aufstandes von einer frischen und echt nationalen Feder ge-
schrieben werde, von einem Mann den des Gedankens Blässe noch
nicht angekränkelt hat, ist nun durch das 1864 erschienene Werk
des Oberst Kutsonikas in erfreulichster Weise erfüllt worden. Hier
begegnen wir der lebendigen Auffassung, der Unmittelbarkeit und
Reflexionslosigkeit, die in den Memoiren von Kolokotronis hervor-
treten. Der Verfasser unterscheidet sich sofort in seiner Darstellung
der Gründe des griechischen Aufstandes von den meisten Vorgängern.
Anstatt das Loblied der Bildung zu singen, die von den Türken
befreit habe, anstatt die geistige Ueberlegenheit der Griechen über
ihre türkischen Unterdrücker zu einem wesentlichen Moment der
Erhebung zu machen, begnügt Kutsonikas sich damit, die physische
Verjüngung des griechischen Volkes zu betonen. Er entwirft uns
ein Bild von der Militärkraft und der Marine Griechenlands zu
Beginn des Jahrhunderts. Er zeigt uns wie sich auf dem Festland
der Kern eines militärischen Widerstandes gegen die Türken her-
ausbildete. Die ersten türkischen Sultane, die Griechenland unter-
 
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