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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 1
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Neumann, Carl: Über Kunst in Italien im zwölften Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0024
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Carl Neumann

zuführen, hinderte hier die Schrägrichtung der oberen Begrenzungslinie.
Das Problem war das gleiche wie bei der Ausschmückung antiker Tempel-
giebelfelder. An den äginetischen Gruppen der Münchener. Glyptothek
kann man sehen, wie sinnreich und befriedigend die Schwierigkeit gelöst
wurde: den immer niedriger werdenden Raum füllte man mit sich
bückenden, mit knieenden Gestalten, schliesslich mit liegenden Verwun-
deten oder Gefallenen. Wie aber halfen sich die Künstler der Pisaner
Fassade? Sie hatten keine Empfindung dafür, dass eine Säule, auch
wenn sie dekorativ verwendet wird, eine Art lebenden Wesens bleibt
mit bestimmten Verhältnissen und Gliedern: sie schlugen einfach am
Schaft weg, was zuviel war für den niedriger werdenden Raum, und so
weiter, immer noch ein Stück, bis am Ende vor dem Schnittpunkt der
Horizontal- und Schräglinie nur noch Platz für das Kapitell übrig blieb.
Hier setzten sie denn ruhig ein Kapitell hin ohne Säule.

Man wird zugeben, dass das eine wüste Barbarei ist. Am ent-
sprechenden Geschoss der Domfassade von Lucca ist dieses Verfahren
insoweit gemildert, als die schräge Begrenzungslinie des Pultdaches in
schwächerem Gefäll verläuft und nicht bis zum Schnittpunkt mit der
Gesimslinie des nächstunteren Geschosses durchgeführt ist. Hierdurch
wird wenigstens jene radikale Barbarei vermieden. Befriedigen aber
können solche Lösungen nicht. Ein wirkliches Gefühl der Schwierigkeit*)
und einen sehr annehmbaren Versuch der Lösung zeigt die Rückseite
des Domes von Murano (bei Venedig). Die gleiche Höhe der Säulen
wird in dem trapezförmigen Raum der Seitenschiffgiebel festgehalten;
die Ausgleichung erfolgt in den Bögen, die einfach der Steigung der

D „Schwierigkeiten, die nachmals der Renaissance noch lebhaftere Sorgen
machen sollten.“ Dehio und Bezold, kirchliche Baukunst des Abendlandes I 610.
Übrigens ist nicht einmal in dieser Barbarei das zwölfte Jahrhundert recht original.
Das Innere des Pantheons in Rom zeigte an der Oberwand, wie sie durch die
Severische Restauration a. 202 gestaltet wurde und bis zur Posischen Umänderung
im vorigen Jahrhundert blieb, eine Gliederung mit Pilastern, welche in den Zwickeln,
die die einschneidenden Archivolten des Eingangs und der gegenüberliegenden
Hauptnische übrig Hessen, einfach abgeschnitten wurden, der Steigung des Bogens
entsprechend. Doch kann man hier zur Entschuldigung sagen, dass diese Pilaster
eine Flächendekoration bildeten, da sie kein Relief besassen und nur durch die
Marmorfarbe von der umgebenden Inkrustation sich abhoben. Abbildungen geben
die Zeichnungen von Raphael (Gazette des beaux arts 1870 p. 83) und Desgodetz
(les edifices antiques de Rome p. 26); diese zweitgenannte am deutlichsten; dass
die Pilaster auf dem Stich hervortreten, hat Adler als Irrtum korrigiert. Die Zeich-
nung von Dell (Zeitschrift für bildende Kunst 1893 S. 276) giebt nicht den für
unsern Fall in Betracht kommenden Schnitt.
 
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