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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Editor]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 2
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Wille, Jakob: Pfalzgräfin Elisabeth Charlotte, Herzogin von Orléans
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0231
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Pfalzgräfin Elisabeth Charlotte

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an Sophie fort, „und will Euer Liebden Gesundheit trinken und bis in
Tod verbleiben Euere Liselotte“. „Ei pfui Euer Liebden sprechen um
Gottes willen nicht vom Sterben, das hör ich bitter ungern“, ruft sie
ein anderes mal ganz plötzlich ihrer Tante zu. So ist überall in diesen
Briefen unmittelbares Leben und Empfinden.

Mit geradezu dramatischer Lebenskraft versteht sie uns Personen
zu zeichnen. Sie lässt sie reden, ahmt ihre Stimme nach, wie gar oft
den Prediger auf der Kanzel oder den messelesenden Priester, die singende,
betende Gemeinde, sie hat uns den guten aber schwachen Jakob II. von
England in seiner ganzen Einfalt dargestellt, dass man sich heute noch
des Mitleids nicht erwehren kann. Ganz besonders lebendig werden ihre
Briefe, wenn sie oft mitten im Schreiben ganz plötzlich ihrer pfälzischen
Heimat gedenkt. Charakteristisch durch den Wechsel und die Kontraste
der Stimmung ist folgende Stelle aus einem Briefe an Sophie: „Wir
kommen ietzt aus der Kirche, wo wir seider halb drei sein und heute
Morgen hat es schon drei halb Stunden gewehrt. Es soll in währender
Predigt gedonnert haben, ich habe es aber nicht gehört, soll doch zwei
grosse Schlag gethan haben, aber ein süsser Schlaf hat mich verhindert,
solches zu hören“. — Und nun ein ganz anderer Gedanke: „Zu sehen
wie Alles nun grün ist und das Wetter warm, kann man singen wie die
Buben auf dem Berg zu Heidelberg früh:

Strub, struh, Stroh, der Sommer der is do,

Wir sind nun in den Fasten,

Da leeren die Bauern die Kasten,

Wenn die Bauern die Kasten leeren,

Woll uns Gott ein guts Jahr bescheeren,

Struh, struh, stroh, der Sommer der is do!“

Alles der unmittelbaren Stimmung entsprechend, einfach, schlicht, ja all-
täglich : die Schwüle in der Kirche, die langweilige Predigt und draussen
der kommende Frühling. Ihre Gedanken sind plötzlich in Heidelberg
angekommen, dass sie singen muss wie eine Heidelbergerin. Diese
heimatliche Frühlingsstimmung kehrt an vielen Stellen wieder. Wenn sie
in warmen Frühlingsnächten im Park zu Marly oder St. Cloud vom
offenen Fenster aus die Nachtigallen schlagen hört, zieht es ihre Ge-
danken mächtig nach dem Schlosse des Vaters, sie denkt selbst an den
schönen Lenz ihrer eigenen Jugend.

Gar wunderbar sind doch manchmal ihre Gedankengänge. Ich
will Ihnen aus den vielen Beispielen hier nur eines anführen. Sie erzählt
uns von den guten Schriesheimer Kirschen, von denen sie sich den Leib
so voll „gefressen“ habe, dass sie nicht mehr gehen konnte, dann fährt
 
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