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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — 5.1895

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Heft 2
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Wille, Jakob: Pfalzgräfin Elisabeth Charlotte, Herzogin von Orléans
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https://doi.org/10.11588/diglit.29062#0230
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J. Wille

gerade wie ihrs durch den Kopf geht. Sie will sich aber nicht allein
selbst die Zeit vertreiben, sondern auch andern Unterhaltung machen.
Es ist ihr eine besondere Freude, launige Geschichten, scherzhafte Anek-
doten, nicht immer die anständigsten, zu erzählen, um ihre Tante recht
lachen zu machen. Oft gibt sie auch den Naseweisen, die, wie der ihr
verhasste Torry, der Leiter des Postwesens, bei ihr im Verdacht stehen,
dass sie ihre Briefe erbrechen, zu Schluss derselben noch etwas Un-
angenehmes zu schnupfen. Im Momente der Stimmung wechselt Scherz
und Ernst, Wemut und Humor, ihre Derbheit und ihr Witz bewegen
sich oft in sehr niedrigen Sphären mit einem Cynismus, der mit den
Begriffen unsrer heutigen guten Gesellschaft von Sitte, Anstand, ja von
Schamhaftigkeit nicht immer vereinbar ist. Die immer wiederkehrende
Freude am Obscönen und Gewöhnlichen lässt sich auch mit der „sitt-
lichen Gesundheit“ 7Si) dieser Frau nicht immer entschuldigen.

In dieser Unterhaltung durch die Briefe, in denen Liselotte sich in
alle ferne liegenden Verhältnisse so hinein versetzt, dass man ihres
Schreibens ganz vergisst, dass man ihr Geplauder zu hören glaubt, liegt
eine ungemein frische Lebendigkeit. Durch die Erzählung der oft un-
bedeutendsten Dinge weiss sie die Leser ihrer Briefe in ihre unmittel-
bare Nähe zu ziehen. Wir sehen sie schreiben, wir hören sie lachen
und singen, wir hören sie auch schelten und dies oft recht laut. Ihre
Naturschilderungen wirken unmittelbar stimmungsvoll und malerisch,
ohne jeden gesuchten Effekt. Selbst wenn sie vom Alltäglichsten, vom
Wetter spricht, versteht sie uns ihre eigene Empfindung in wirksamer
Weise auf uns zu übertragen. Sie schreibt einmal an einem heissen
Julitage, man fühlt, wie es ihr schwer fällt: „Es ist heute eine so ab-
scheuliche Hitze, dass einer schmelzen möcht, es ist mir so heiss, dass
ich während dem Schreiben entschlafen bin. Ich glaub es wird ein
Wetter kommen. Adieu liebe Luise! Ich muss bei diesem Wetter noch
vier Brief schreiben, kann Euch also vor dies mal nicht mehr sagen, als
dass ich Euch allezeit lieb behalte“. Das Wetter mag die Kaugräfin
wenig interessieren, aber die dicke Liselotte sieht sie lebendig vor sich
sitzen, müde sich nach dem erfrischenden Regen sehnen, der ihr das
Schreiben leichter macht. Von feinem Naturempfinden zeigt ein anderes,
nur mit ein paar Zeilen hingeworfenes Bildchen des noch schüchtern
kommenden Frühlings: „Es ist heute recht kalt wie im Januari und
allebewohl hört man die Nachtigall singen. Ich weiss nicht wie das
Vögelchen das Herz dazu hat“. In dieser Stimmung wird sie unter-
brochen, da man zur Tafel ruft. „Gehe denn“, fährt sie in ihrem Briefe
 
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