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Heidelberger Tagblatt — 1860 (Juli bis Dezember)

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December
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https://doi.org/10.11588/diglit.2834#0534
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ei'n „dliriiiiies Gesetz" genannt, v. Hi'nkel-
dep habe el'iigclciikt, und sci' dann ei'ne
Cnu'gung zu Stnndc gckoinineu, wonach
das Gcsetz bi's auf- ei'ne kleine Modi'fica-
ti'on beobachtct wcrdcn sollte. Cc niiisse
dcn Angeklagten Stiebcr „Lügen strafen",
wenn er behauptet habe, daß bis zu Hi'n-
keldcv's Tod das früh.erc gesctzwl'dri'ge
Verfahren bei Vcrhaftungen rcgclinaßig
fortgedaucrt habe. Ällcrdi'ngS sei'en se»c
Modi'sicatl'oncii wicder abgcschafft worden,.
aber erst iin vorkgen Jahrc. Der Obcr-
staatsanwalt geht dann näher auf die Art
nnd Weise ei'ii, wic daö Gesetz züin Schutze
der persönll'chen Freibei't von der Berlincr
Polizei' verlctzt wördcn sei. Dic Polizei
bäbc Verhaftungen vorgenoinmeii und stch
dann erst uach Vcrdachtsgi ündcn ningc-
sehen; es scien in dicser Beziehung Dinge
vorgekonnneu, wclche man crlebt habcn
müsse, uin ste zu glaubcn. Cr wolle nnr
kini'gc Fälle anführen, dic wir, des Nan-
mcs weaen, auslassen mnssen.

Im Iahre 1856 habe das Kamnier-
gericht rine Züsammenstclliiiig derjenigen
Fälle aus dem Zeitraum Vvm Jliui 1855
bis 1856 veranlaßt, in dencn Scitens der
Polizess die Vorführung der Vcrhafteten
innerhalb der bestiminten Frist nicht er-
folgt sei. Es seien 387 Fälle der Art
constatirt worden, darunter 60 mit knrzer
UeberschreitüNg der gesctzlichen Frist, 90
mit Ucberschrcitung uni 3 bis 4 Wochen.
Auf seine Vörstellung habe Polizciprasi-
dent v. Zcdlitz, an den er sich nach Hin-
keldcp's Tode acwendct, anerkäniit,' daß
Unordniiiigeii iii der Anweiidung des Gc-
setzcS vvrkämen iliid Abhilfe vcrsprochen.
Die Abhilfe sei abcr keineswegs crfolgt,
wenn auch manchcs vermieden wordcn sei,
was früher vörgeköiiimen. Thatsächlich
habe die Polizri nuii so verfahren, däß'
ste die 24stündige Frist, welche das Gesetz
vorschreibe, auf eine 48stündige aiisgcdehnt
habe, indem sie den Tag der Verhaftung
ni'cht mitgerechnet. Dies sei Theörie.gc-
weseii, daun habe sie gegläubt, gar nicht
gegeu- das Gesetz zu verstößen, in dcr
Praris seien aber dcnnoch fortdaucrnd
Verhäftungen von läiigerer Dauer.wor-
gekommen.

Dcr Oberstaätsaüwält kommt dann auf
dcn Gewaltstrcich gegcn den Prinzen von
Arinenicn zn sprechen. Diesem Manne
habe man Kopf- und Barthaar abgeschnit-
tcn imd sci derselbe alsdann änf Stiebers
spccicllen Bcfchl zur schwcrsten SträfliiicM
arbeit angehalten wordcu. Gleich darauf
sci ein maiktschrel'erl'scher Bcrichd i'n den
Zeituligen crschienen, worin nber diescn
Fall virl Aufhebcns geniacht wordcn.' An-
geblich wäre der Prinz vön Armenien
wegen Betruges veryaftet wordeii, aber
der Betrug solle noch jetzt entdeckt we'rdeii.
Uui elwas gegcn den Verhaflcteii festzü-'
stellen, habe man änf Kosten der gchcimen
Fouds Agenten nach London, Brüsscl und

Paris geseudct, aber auch da kcineii Bc-
trng cntdeckt. Znlctzt habe maii ihn nnr
dcr Aiiiiahme eines falschcn Naincns nnd
Litels bcschiildigt, abcr auch hicr sci dcr
Bewei's.glicht gclungen. Nach lOOtägiger
Häft ünd Mißhaiidlnng sci Lco von Ar-
menieil übcr die Gränze spedirt wordcn.
Der Staatsanwalt Nörncr habe von die-
scin Vorfallc Ke.niitniß gehabt und dazu
gcschwiegeii, ja sogar dabei geholfcn. Er,
der Obcrstaatsaiiwalt, h.abe sich dann an
din Miiiister des Jnnern gcwendct und
hättrii bei' diescm scine Bcschwerdcn ci'Ne
besserc Aufnahme gefunden. Der Minister
habe angeordnet, daß bei allen Vörläiifigcii
polizeilichciiWerhaftungcn eine schriftliche
Verfügung ausgefertigt werdcn solle. Däs
habe die Polizci iinn zwär gethan, zuletzt
mit lithographirtcn Dccrctcii, dic sich als
nicht 'geiiligend herausstellten. Er habe
nun schließlich dett Weg 'der Anklage gegen
die Beamten brtreten, welche sich dcrarti-
ger Gesetzesvcrlctznugcn schuldig gemacht,
und der Ilistizmittistcr habe dieses Ver-
fahren gtbilligt. Er habe nun, da die
Anklägeii wcgen rechtswl'bri'ger Vkrhaftnng
sich seh'r schwer bcgrüiiden ließen, sich auf
Fällc beschränken müssen, wo ein Zwang
äilsgeübt worden. Der Obcrstaatsanwalt
geht nuiimthr anf die Begrüttdlilig dcr
'speci'ellcn Apptllätionspunkte näher eiu un.d
schließt eiidlich ssein Pläidopcr mit dcm An-
trägc: 1) den Angeklagtcn Tichv wegen
wicderholteii Amtsvcrgchcns zu 2 Mona-
ten Gefäiigniß und 2) den Mitaiigcklägtcn
Stieber w'egcn wicderholten Amtsvergeheiis
zu 1 Iahr Gcfängniß und Unfähigkcit zu
öffentlichen Acmteru aiif 1 Jahr zu ver-
urtheileii, welchcr'Aiitrag, wie Eingängs
schon erwähnt, abgclchnt wnrde.

Berlin, 27. Nov. Der aüffällcndc
Artikcl, welcher aüs Anlaß des Stieber'schen
Prozesscs ,'n dcm gestrigen Abendbla.tte dcr
offiziösen „Prcußischeii Zeitüng^ gegen dcn
Oberstaätsanwalt Schwar-ck enthalten
war, hat keineli güten Eindriick gemächt.
Man bctrachtct .dieseii Arrikel, der nür
bcwcist, vaß die Krcüzzcitüngscinflüssc in
unserem Staate iiöch keineswcgs aüfgchört
haben, als dcn größtcii Mißgriff von der
Welt. Die Sache wird übrigcns nicht ohne
Weitcrilngen blei'ben, die dcr Negiernilg
schr leicht uiiangeiiehin werden dürften.

Berlin, .28. Nov. In Sachen des
Obcrstaatsanwalt Schwarck und I)r. Stie-
ber ist gegen deii Polizei - Präsidenten
v. Zedlitz unverzüglich die Uiitersuchnng
eingeleitet wördcii. — L u d w i g N e 11-
stab ist iu dcr Nacht von gestern auf
heute^ plötzlich am Schlagflusse gestorbcn.

Berlin, 29. Nov. Dt'ach der ssNätio-
iial-Zeituilg" i'st der Oberstäätsanwalt
Schwarck vom 1. December äb zur
Disposition gcstellt' wordcn.

Aus Mecklenburn, 24. Nov. Ein
.allei'höchstes Nescript verordiiet, aus An-
laß vcr Beschlusse städtt'scher Behorden be-

trcsseiid den Verfassungsreforinantrag ber
82 Mi'ttergntsbesitzer, für Schwerin Fol-
gendes: „1) Die Ocffcntlichkeit der Bür-
gcraiisschiißsitzimgeu soll fortan aufgehoben
seim L) Der Vorsitzcnde dessclben soll in
eine Strafe von 100 Thlr. genominen
werdcn, wcnn er wicder Anträge oder
Berathnngcn von Gegenständen zuläßt, die
sich anf allgemeine Landesangelegenheiten
bezieh.cn. 3) Eine gleiche Sträfe' tri'fft
auch den Antragsteller. 4) Jedcs Bürger-
ausschnßinitglied, das an cincr solchen
Bcrathnng Thcil nimmt, verfällt in cine
Strafc von 10 bis 25 Thlrn.

Oldenburg, 24. Nov. Der Landtäa
des Großherzögthuins i'st auf dcn 6. Dee.
cinbcrufen.

Wien, 24. Nov. Von den bis jetzt
in dcm Nichtcr'schen Prozesse gcladenen
Zeugen hat auch noch kcin einziger eine
Aussage zu Ungunsten des Angeklagten
gemacht. Kriegscominl'ssäre, ein Oberst
und mehrere Offiziere, Commis nnd Fa-
brik-Jnhaber, von der Staats-Anwaltschaft
berufen, üm durch ihre Ängaben das.Ver-
brechcu d'es Betrugs uachzuweisen, treten -
inehr oder minder entschiebcn der ingniri-
renden Staatsbehörde ciitgegeii, und auch
nicht cine Thatsache bekräftigt die An-
schuldigung, daß dem Aerar aus den Lie-
fcriingen ein Nachtheil enlstanden wäre.
Der Oberst Georgi, ein decorirtcr Offizier,
replicirte aüf die Frage der Staatsanwalt-^
schaft in eiitschicdeiitin solbatischcn Tone:
Nichters Waare ivur di'e beste, anf einen
Faden mchr oder weniger iin Calicot kam
cs bei dem Bedarf für dic Armee.nicht
an, sondcrn anf die Qnali'tät und Ver-
wendbarkeit. Nichier sclbst aber stellte
das Ersnchen an die Monturcommission,
llnverweiidbare Waare streng zurückzu!:
wciscn. Maii kanii biesen Aiissagen, von
solchcn Mäniicrn ansgehend, uniiiöglich die
Glaubwürdigkeit eiitzieheii. Die Staats-
anwaltschaft, hierdurch bedrängt, griff zur
Taktik, die Zengeii zu beanstandeu nnd.
sic uicht züin Ei'be ziizulassen. Der Eft-
richtshof hatte.iiuii das sonbcrbare Schau-
spiel, däß die Rcchtsanwältc der Ange-
klagten, dic Doctoren Bergcr und Wieder-
feld, für dic Ebrc üiid llnverdächtigkeit
jcner Zengcn plaibircn mußten, wclchr die
Staätsanwältschaft znr Stützc ihrer An-
klage vorgcfordert hatte. Der, cine der
Vcrtheidiger vergaß .sich so weit, das Ver-
langcn der Staatsanwaltschaft einc Injuri'e
gegeir die vorgcladelicn Zeugen zu nennen,
'iind wurde dcßhaib vom Präsidium zur
Ordnung gerufen. Allein cs ist in der
That cine Insnrie, da es die Ehre und
däs Alisehcn von Offizicren befleckt, ohne
auch iiur diei gei'ingste Thatsache gegen
ihre Aüssagcu vö.rbringen zu können. Der
Gcrichtshöf eiitschich zwar beiin Gencral-
kriegscoüimissar, äaß 'er nicht zu beeiben
sei, .abe.r nicht aus bcn von dcr Staats-
änwällschaft vö.rgebrachtcu Motiven, son-
 
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