Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (6) — 1873

DOI chapter:
Nr. 88 - Nr. 96 (1. November - 29. November)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44619#0064
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
376

ö D'r Nagglmaier.
Ma diewert ſchunn gar ö
zu lang vumme zwette
Brief, den d'r heilige Vat-
ter an de deitſche Kaiſer
g'ſchriewe. Die Berliner
Zeitung rickt awer nit mit
raus? Warum? Dorum?
D'r Reichskanzler werd's
am Beſchte wiſſe, wann'r
ſein Drimp rauszudhun
hott. — Vun annerer Seit
werd iwerigens aah be-
haupt, der zwette Brief vum
heilige Vatter an de Kai-
ſer ſei e Ent! — Uff alle
Fäll dirft's gut ſein for
die reemiſch Kleriſei, wann
der Briefwechsl zu End
wär. D'r Reichskanzler
ſegt heekſchtens, wann ſo
e Briefl aus Room an⸗—
kummt: Was ich mir do-
foor koofe! — Im iwerige
glaab ich nit, daß der zwette S ⸗=
Brief e Zeitungsent is. D'r heilige Vatter is gege-
wärtig zu ſchreibſeelig. Es is aah bereits ſchunn fol-
gend „Lied eines Peterspfennig⸗Fuchſes“, nooch bekann-
ter Melodie zu ſinge, iwer ſein Schreibwuth ent-
ſchtanne: ö

Im Vatikane ſitz' ich hier
Bei einem Dintenfaſſe,
Vor mir die Mappe voll Papier
Und Enveloppes in Maſſe.
Läßt Antonelli mich allein
Und ſieht nicht, was ich treibe,
Dann tunke ich die Feder ein
Und ſchreibe, ſchreibe, ſchreibe.

Ich ſchreib' ſo oft, als ich nur kann,
Die Zeit mir zu vertreiben,
Ich fluch' nicht mehr, es ſtrengt mich an,
Bequemer iſt das Schreiben.
Ein Fluch verhallt, allein ein Brief
Bleibt ſtehn auf dem Papiere,
Ich ſtipp' die Feder ein recht tief
Und ſchmiere, ſchmiere, ſchmiere.

Und ob der Adreſſat auch dreiſt
Gleich ohne Redensarten
Den Brief in den Papierkorb ſchmeißt
Und läßt auf Antwort warten,
Und ob die Welt auch immer mehr
Darüber lachend witzle, ö —
Ich nehm' ein neues Quartblatt her
Und kritzle, kritzle, kritzle.

** 67 7 7

Bis daß der Kaiſer Wilhelm ſpricht:
„Das iſt nicht auszuhalten.
Nein, Bismarck, länger geht es nicht,
Verſöhne mir den Alten!“ *
Kommt dann der Kanzler an, ſo laß'
Ich packen ihn recht recht feſte
Und ſchütte dann das Dintenfaß
Ihm auf die weiße Weſte!

E nei Lied, iwer Een, der Wein mache hott wolle,
is aach nit iwl. Es laut:

Wenn unſere Bauern beim Weinproduziren
Auf allzu großen Profit ſpeeuliren,
Dem lieben Herrgott ins Handwerk pfuſchen
Und glauben, ſie könnten mit Miſchmaſch vertuſchen
Den Jahrgang, in welchem der Wein nicht gerathen,
Dann gönnen wir ihnen von Herzen den Schaden.
So hat jüngſt ein Bauer mit weitem Gewiſſen
Des Weines Verfälſchung ſchwer büßen müſſen.
Dem ſelben dünkte als Weinbergbebauer
Das heurige Herbſterträgniß zu ſauer.
Was thun? Er ſchrieb an verſchied'ne Droguiſten
Ob ſie ihm vielleicht ein Mittel wüßten,
Den heurigen Moſt damit zu behandeln,
Um ihn in ſüfſigen Wein zu verwandeln.
Dem Bauersmann wurde alsbald geſchrieben,
Es ſtünde gänzlich in ſeinem Belieben,
Den Wein zu verſüßen für heikle Schlucker
Je nach Bedürfniß mit Traub enzucker.
Die Sache war gut. Auf der Eiſenbahn
Kommen plötzlich drei Fäßchen an,
Die werden vom Bauern vor Einbruch der Nacht
Alsbald abgeholt und nach Hauſe gebracht,
Und ſehen wir, wenn wir uns d'rum int'reſſtren,
Denſelben im Keller herum hantiren,
Von einem Weinſtänder zum andern laufen,
Hier miſchen, dort rühren und jenſeits taufen.
Als andern Morgens der Bauersmann
Aufwachte und ſeinen Profit überſann,
Schleudert er langſam die Kellerſtufen
Hinab und ſah nach des Weines Kufen,
Ob wohl über Nacht auch der Saft gegohren
Und inwiefern er die Säure verloren. ö
Da plötzlich ein Aufſchrei, ein kreiſchender heller,
Und todesblaß ſteht der Bauer im Keller;
Ihm giengen vor Sckrecken die Augen über,
So oft er nur ſchaute hinein in die Züber,
In denen noch Abends der Wein gefloſſen,
Nachdem er mit jenem den Zucker begoſſen.
Und jetzt, wie oft er auch danach faſſe,
Es war halt und blieb auch der Wein eine Maſſe,
Die ungefähr ins Graugelbliche ſpielte ö
Und ſich wie ein Steinblock, nicht anders anfühlte.
Der Bauer bekreuzt ſich und flieht aus dem Keller,
In welchem ſoeben der rothe Zeller,
Welchen er Abends ſo ſchmählich behandelt,
Vor ſeinen Augen in Stein ſich verwandelt.
Und alſo geſchah es in dieſem Jahrhundert.
Damit nun nicht der Leſer ſich wundert,
So wollen wir ihm noch in Kürze ſagen,
Wie ſich's mit dem Weine hat zugetragen.
»Der Bauz hatte durch Schickſals Tücke
Beim 6 verwechſelt die Frachtgutſtücke,
Iahnt jene drei Fäßchen als Ladung ein
Schüttet' den Inhalt des Nachts in den Wein
Und ſetzte ihm zu damit zwanzig Prozent,
Nichi „Traubenzucker“, ſondeRement.

Druck und Verlag von G. Geiſendörfer.
 
Annotationen