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Samſtag, den 22. November 1873.

6. Johrg.

Arſcheint Mittw och und S amſia g. Vreis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer àa 2 tr. Man abonnirt in der Druckerer, Schiac ſſe 4
und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Zu fpät!
Novelle von Clariſſa Lohde.

CFortſetzung.)

„Aurelie hat mir bereits erzählt“, ſagte ſie, „daß
Sie ein Freund Walter's ſind — und ich freue mich,
Sie als ſolchen begrüßen zu dürfen. Ich habe Wal-
ter früher näher gekannt.
ſtieß an die Beſitzung ſeiner Eltern. Seit meiner Ver-
heirathung habe ich ihn indeſſen nicht wiedergeſehen.
Meines Gemahls Beſitzungen liegen in den Oſtprovin-
zen; ſeine Kränklichkeit bannte uns an dieſelben —
erſt nach ſeinem Tode
aufgeſucht.“ ö
„Um ſie nicht mehr zu verlaſſen, Conſtanze“, rief
Aurelie ſchmeichelnd. — „Du biſt nicht für den rauhen
Norden, für die Einſamkeit geſchaffen! Du mußt hier
im Mittelpunkt des Lebens, im Strahlenglanze der
Intelligenz leben —“
Die Gräfin lächelte etwas ſpöttiſch. —
Vyum meiner reizenden jungen Schwägerin nicht zu
ſehr nachzuſtehen — nicht wahr? — Nun ja, Du haſt
recht — ich werde meine alten Studien wieder auf-
nehmen, um dem Niveau der Reſidenzgeſellſchaft nicht
zu fern zu ſtehen. Wann können wir die Geſangſtun-
den beginnen, Herr Gruber?“ ö
„Wann Sie befehlen —“
„O, recht bald — meine Zeit iſt noch ſo ganz un-
ausgefüllt. — Doch“, ſetzte ſie nach kurzer Pauſe hinzu,
als ſtiegen plötzlich in ihr bisher noch unbeachtete Be-

denken auf — „ich muß — mir das doch noch reiflicher

überlegen — jedenfalls werden Sie bald von mir hö-
ren, Herr Gruber!
Hiermit machte ſie gegen Paul eine freundlich her-
ablaſſende Handbewegung und ſchritt dem Ausgang zu.
Aurelie folgte ihr mit hoch gerötheten Wangen.
ſah, wie Paul's Blicke wie gebannt ihrer ſchönen Schwä-
gerin folgten, ihre kleine Hand ballte ſich vor Zorn,

ihre Zähne biſſen heftig auf die roſigen Lippen. Paul,
über den ihr der Sieg heute ſo ſicher gedünckt, den zu

gewinnen ſie ſich zur Aufgabe gemacht, gerade weil er
ihren Bemühungen widerſtanden, Paul drohte ihr aber-
mals zu entſchlüpfen. Erſt war es Bodo geweſen,
Bodo, den ſie durch ihre Liebe ausgezeichnet, der zwi-

Das Gut meines Vaters

habe ich die Heimath wieder

Sie

ſchen ſie und ihn getreten, jetzt war es eine Frau, die,

ſie fühlte es wohl, viel ſchöner war, als ſie. — Doch
nein, gar ſo leicht ſollte ihrer ſchönen Schwägerin der
Sieg nicht werden. War auch das Gefühl für Paul

anfangs nur einer augenblicklichen Laune entſprungen,

jetzt gewann es an Kraft durch die Empfindung tief
gekränkter Eitelkeit. Um ſich ſelbſt genug zu thun,
mußte ſie Siegerin in dem Kampf um das Herz des
jungen unerfahrenen Mannes bleiben.
Ahnungslos über die Stürme, die er in dem Her-
zen der rofigen, lächelnden Aurelie angefacht, ſtand Paul
noch immer an das vom dunklen Grün der Camelien
durchzogene Spalier gelehnt und ſchaute auf die Por-
tiere, durch die die Gräfin verſchwunden war. Wie
Rinald im Zaubergarten Armidens, war er gänzlich
verſenkt in den Reizen dieſes herrlichen Weibes. Ver-

gangenheit, Zukunft, Alles verſank in ihm vor der

Macht des Zaubers, den das ganze Weſen der Gräfin
auf ihn ausgeübt hatte. Selbſt das Bild Käthchen's
wurde verdunkelt durch den Strahlenglanz ihrer Er-
ſcheinung; das holde, ſüße Mädchen lebte in ihm wie
das Abbild ſeiner Jugend ſelbſt — voll Reinheit und
Poeſie — Leidenſchaft war ſeiner Neigung für ſie fremd
geblieben, Aurelie dagegen hatte gewußt, ſeine Sinne
zu reizen, aber vorübergehend wie jeder Sinnenrauſch
war ihr Einfluß auf ihn geblieben. Anders war es
mit der Gräfin. Geiſt und Sinne waren vereint durch
ihren Liebreiz ergriffen worden, in Paul begann eine
Leidenſchaft zu keimen, die, wenn ſie zur höchſten Höhe
der Empfindung ſich entwickelte, ihn zur Seeligkeit er.
heben, oder gänzlich vernichten mußte. War es dieſes
vorahnungsvolle Empfinden deſſen, was ſchwer und ge-
waltig in ſein Leben einzugreifen drohte, was ihn
plötzlich fort trieb aus der Geſellſchaft, in der er noch
ſo eben die Luſt des Genuſſes in vollen Zügen getrun-
ken, fort aus dieſen Räumen voll Glanz und Freude,
hinaus in die ſtürmiſche kalte Winternacht, wo der
Nordwind ſein glühendes Antlitz kühlte und die friſche
Luft erquickend in ſeine Adern drang. Stundenlang
durchirrte er, wie ein Traumwandelnder die Straßen,
ſtundenlang kämpfte er mit den berauſchenden Gebil-
den ſeiner Einbildungskraft. Endlich ſuchte er ſein
Zimmer auf — müde warf er ſich auf ſein Lager,
aber auch hier verfolgten ihn noch die verführeriſchen

Bilder der Phantaſie. Ueber ihm ſchwebten liebeglü-
hend die dunklen Augen der Gräfin, ſehnſuchtsvoll
neigte ſich ihr ſchönes Antlitz zu ihm, er fühlte den

Hauch ihres Mundes — ſein Herz hob ſich in heftigen,
 
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