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Vr. 98.

Samſtag, den 6. Dezember 1873.

6. Jahrg.

urſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr.
und bei den Trägern.

Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Man abonnirt in der Druckeren,

Schtſfga ſſe a

Zu fpät!
Novelle von Clariſſa Lohde.

(Fortſ etzung.)

ö Wir reiſten Beide zuſammen ab, ich ſollte Mariele
nach der Reſidenz zu der Tante bringen und dann
meinen ſtilleren Beſtimmungsort,
len von der Reſidenz entfernt liegende Seminar auf-
ſuchen. — Mariele ſchwamm in Seeligkeit — in der
Reſidenz zu leben ſchien ihr etwas wunderbar Ent-
zückendes und Herrliches, denn ſie ſchwärmte für Alles,
was ſchön und glänzend war.
Als wir durch die breiten Straßen an den ſchönen
Häuſern entlang fuhren, jubelte ſie ordentlich auf —
ſie fiel mir um den Hals und küßte mich vor Freude
und nannte mich ihren lieben, lieben Karl — und ich
ſollte ſie doch recht oft hier beſuchen, dann wollte ſie
mit mir zuſammen alle Sehenswürdigkeiten der Stadt
beſuchen. Ich verſprach es, aber — mit dem Abkom-
men, das wußte ich wohl, ſah es ſehr trübe aus —
im Seminar ging es ſehr ſtreng zu — ich hatte nur
ſelten Urlaub zu erwarten.
Die Tante Mariele's wohnte in einer feinen
Straße, in einem ſauberen, hübſchen Quartier. Sie
vermiethete an junge Offizier und Studenten ihre
Zimmer zu hohem Preife.
Tante, war eine behäbige, freundliche Frau, ſie war
noch jung, Mitte der Dreißiger und ſehr vergnügungs-
luſtig und aufgeräumt. Sie freute ſich aufrichtig, von
nun an ein junges Weſen um ſich zu haben, mit dem
ſie das Leben noch etwas genießen könne. Ich weiß
nicht, mir gefiel die Fran trotz ihrer Freundlichkeit
und ihres angenehmen Weſens nicht ſo ganz; aber ich
konnte nicht ſagen, was mir an ihr eigentlich mißfiel.
— Die Zeit, viel darüber nachzudenken, fehlte mir in-
deſſen, denn ich mußte die Reſidenz eiligſt wieder ver-
laſſen. Im Seminar erwartete mich vielerlei Arbeit
— ich hatte in den Ferien mancherlei verſäumt und
mußte Vieles nachholen. So dauerte es faſt ein Vier-

teljahr, ehe ich dazu kam, Mariele in der Neſidenz
nes, und beugte ſich beſorgt über ihn.
Dich nicht erſt etwas erholen, ehe Du weiter mit Dei-
ner Erzählung fortfährſt?“

wieder aufzuſuchen.
Ich fand ſie, als ich endlich hinkam, hübſcher und
reizender, denn je vorher, ſie war nach der neueſten
Mode gekleidet und bewegte ſich frei und ungezwungen,
gleich der feinſten Dame.

das etwa vier Mei-

Frau Berger, ſo hieß die

Sie erzählte mir, daß ſie

in einem eleganten Putzgeſchäft lerne und daſelbſt
große Fortſchritte mache.
„Aber ich bin auch ſehr fleißig, Karl“, ſagte ſie,
und hob das Köpfchen mit reizendem Stolze in die
Höhe, „ſo lange ich im Geſchäft bin, denke ich nur an
die Hüte und Hauben, die unter meinen Händen ent-
ſtehen — aber nachher —*
„Nachher?“ fragte ich —
„Nachher dann denke ich natürlich an keine Arbeit
mehr, dann amüſire ich mich. Die Tante iſt ſo gut,
ſie hat ſtets für mich ein Vergnügen bereit, bald geht's
in's Theater, bald in's Konzert, oder wir ſitzen zu-
ſammen mit guten Bekannten beim brodelnden Thee-
keſſel, o ich ſage Dir, ich führe ein reizendes Leben!“
Ich ſchüttelte bedenklich den Kopf. Trotz der fröh-
lichen Herzlichkeit gefiel mir Mariele's Weſen doch
nicht mehr ſo, wie früher, es war mir, als wäre et⸗—
was Fremdes zwiſchen mich und ſie getreten. — Sie
bemerkte meine ernſte Miene und ſchlug mir neckend
mit der Hand auf den Mund.
„Nur kein verdrießliches Geſicht gezogen, Karl. —
Die kleinſtädtiſche Pedanterie muß man hier in der
Reſidenz fahren laſſen. Fröhlich ſein und ſein Leben
genießen, iſt keine Sünde, ſondern die höchſte Weisheit.
— Das wirſt Du auch noch erkennen lernen.“
So ſcherzte und neckte ſie fort und ich machte gute
Miene zum böſen Spiel.
Des Abends gingen wir in Begleitung der Tante
in's Theater. Wir hatten einen Platz im zweiten
Rang. Uns gegenüber in einer Loge erſten Ranges
ſaß ein junger Offizier, der unabläſſig mit dem Opern-
glaſe nach Mariele hinſchaute. Als Mariele auch hin-
überſah, neigte er grüßend das Haupt und winkte
freundlich mit der Hand. Es war ein hübſcher Mann
mit blaſſen, welken Zügen.
Ich fragte Mariele, ob ſie den jungen Ofſizier
kenne. Sie wurde ſehr roth und die Tante rief raſch:
„Ei ja wohl, das iſt ja der Lieutenant, der bei uns

wohnt.“

Der Schulmeiſter hielt einen Augenblic inne, er-

mattet ſank ſein Haupt in die Kiſſen zurück, die ſeine
Gattin ihm ſorgſam untergeſchoben Ee

„Du biſt ſehr erregt, lieber Karl“, ſagte Willt Ag-

Willſt Du

„Nein, nein!“ rief der alte Mann faſt ängſtlich,

„laß mich raſch enden. — Ich kann mich jetzt kurz faſ-
 
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