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Ñ. 85.

MWMiittwoch, den 21. Oktober 1873.

6. Johrg.

erſcheint Wittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. „Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerer, Schigaſſea

*

und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

D.eeeieeeeeeeeiiee‚ei‚e‚‚i‚i.e‚.‚.‚...‚‚..—.—
22

3ufyat!
Novelle von Clariſſa Lohde.
CFortſetzung.)
„Sehen Sie dieſe Sirene nicht zu lange an, junger
Mann“, tönte ernſt und wie eine Mahnung ſeines gu-
ten Geiſtes die Stimme Bodo's an ſein Ohr. „Selbſt
im Bikde noch kann ſie gefährlich werden.“ Dieſe letz-
ten Worte wurden in bitterm Spotte ausgeſtoßen.
Paul fuhr aus ſeinen Träumen auf und blickte erſtaunt
in das von innerer Bewegung geröthete Antlitz ſeines
neuen Freundes —
ö „So lebt dieſes wunderſame Weſen wirklich und iſt
nicht nur eine Schöpfung der Phantaſie?“ fragte Paul,
noch immer von dem Zauber, der dem Bilde entſtrahlte,
umfangen — ö
„Welch ein Künſtler könnte aus der Phantaſie ſo
etwas, wie die Geſtalt dieſes Weibes, ſchaffen“, entgeg-
nete Bodo. — „So ganz irdiſch, ſo ganz mit allem

Reiz der Sinne ausgeſtattet, um zu verführen, ſo ganz

Engel von Außen und Dämon Innen.“
„Verzeihen Sie“, wandte er ſich dann an Paul —
„es iſt in mir etwas wachgerufen, was, wie die Zau-
bergeiſter in Goethe's ſchönem Gedicht, einmal geweckt,
ſich nicht wieder ſo leicht bannen läßt, — doch haben
Sie einen Moment Geduld — ich werde gleich wieder
der Ihre ſein. Denken Sie an Ihre Liebſte daheim,
Gruber, und verjagen Sie das Bild diefer verführeri-
ſchen Zauberin für immer aus Ihrer Seele.“
Bei dieſen Worten ging Bodo raſch auf das Bild
zu und drehte es um;,
Wand hin. ö
Paul blickte ihm erſtaunt nach, er hätte gern nach-

dem Grunde dieſes ſeltſamen Benehmens gefragt, aber

er wagte es nicht. ö
Bodo wandte ſich wieder zu ihm. x ö
„Dieſes Bild hat ein theurer Freund gemalt, den
der Tod früh dieſer Erde entrückt hat. Es iſt das
einzige Andenken, das mir. von ihm geblieben, ſonſt
hätte ich es lange entfernt..
VIhr Freund muß ein Meiſter erſten Ranges ge-
weſen ſein“, rief Paul.
Bodo antwortete nicht — ein tiefer Seufzer'entrang
ſich ſeiner Bruſt und finſtre Schatten flogen über ſeine
hobe Stirn. Lange ſchritt er im Zimmer auf! und nie-

mit dem Geſicht nach der

der, bewüht, die Gedanken zu verſcheuchen, die ihn mit
gewaltiger Macht zu beſtürmen ſchienen. ö
Paul blickte ihm nach; tiefes inniges Bedauern
füllte ſeine Seele. Was war es, das dieſen Mann,
der Alles beſaß, was das Leben reich und glücklich ma⸗—
chen kann, Stellung, Geld, Schönheit, ſo darnieder zu
drücken vermochte, daß er, der Weltgewandte, ſo plötz-
lich alle Faſſung verlieren konnte? — ö
„Laſſen Sie uns jetzt“, fuhr Bodo nach kurzer Pauſe
in ſeinem gewöhnlichen Tone fort, „in den Salon ge-
hen, um im Genuß der holden Muſika dieſe Welt mit
ihrer Jämmerlichkeit und ihrem Elend für einige Zeit
zu vergeſſen. Kommen Sie, Mama wartet gewiß ſchon
ungeduldig darauf, Sie ſingen zu hören.“
Die Nachmittagsſtunden vergingen raſch; Paul
dachte daran, ſich zu verabſchieden; aber Bodo ließ ihn
nicht fort, er ſchlug ihm vor, ihn in ein Symphonie-
Concert zu begleiten, das allabendlich in einem der
ſchönſteu Lokale der Reſidenz ſtaitfand.
„Sie müſſen jetzt viel und gute Muſik hören“, ſagte
er — „nichts bildet mehr den Geſchmack des Muſikers,
als das wiederholte Hören der großen klaſſiſchen Mei-
ſterwerke.“ ö ö ö
Paul willigte gern ein. Frau Walter entließ ihn
freundlich mit der verbindlichen Einladung, recht bald
wieder zu kommen. ö
ö Die großen Räume des Concerthauſes waren von
einer glänzenden Menge dicht erfüllt. Bodo wand ſich
mit Paul durch das Gewirr von Stühlen und Tiſchen
— an einem derſelben blieb er ſtehen und neigte ſich
grüßend. Eine junge Dame in eleganter Toilette, mit
roſigen Wangen und lächelndem Munde erwiederte ſei-
nen Gruß mit großer Freundlichkeit.
„Setzen Sie ſich zu uns“, flüſterte ſie Bodo raſch zu.
ö Bodo winkte Paul und ſtellte ihn erſt den beiden
älteren Herrſchaften, dann der jungen Dame vor.
ſHerr Geheimrath von Wild, Frau Gemahlin und
Fräulein Aurelie von Wild!“

Paul verneigte ſich tief.

Der Geheimrath, em ſteifer, hagerer Mann mit ei-

nem rechten Bureaukraten-Geſicht und deſſen ebenſo
ſteife Gattin, grüßten Paul mit kurzem, hochmüthigen
Kopfneigen. Gruber? Wer und was war dieſer Gru-
ber, daß man ihn an ihren Tiſch zu führen wagte d
Dieſe Frage las man deutlich auf den kalten, ernſten
Geſichtern. Fräulein Aurelie ſchien dieſe Frage durch-
aus nicht zu berühren, ſie uoß Paul mit ihrem Blick
und ſein Aeußeres gefiel ihrz ihn begrüßte daher ein
 
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