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Mittwoch, den 26.

November 1873. 6. Jahrg.

erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 45 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckerer, Schunae ſſe a
ö ö und bei den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. ö

3Zufpaty
ö Novell von Clariſſa Lohde.
Gorhetarg-
Aber hatte er nicht die Manneskraft, dieſer Gefahr

zu ſtehen? ſie zu überwinden? Und was hatte er von

einer Frau zu fürchten, die mit ſo ernſter, hoheitsvoller
Würde ihm entgegentrat!
gleich, die durch Künſte der Koketterie zu feſſeln ſuchte?
Sein„Auge ruhte bewundernd auf der edien Erſcheinung
der Gräfin.
Hand geneigt, das dunkle Auge ſchien fich in den glü-

henden Abendhimmel zu verſenken, der hell und roſig

auf ihrem regelmäßigen Antlitz widerſtrahlte. In die-

ſem Moment erſchien ſie dem jungen Manne wie eins
jener hehren Aphroditen⸗Geſtalten griechiſcher Kunſt,

keinen heimlich verlockenden Reiz ausüben, ſondern

in göttlicher Hoheit jedes irdiſche Verlangen zum Schwei-

gen bringen.
„Sie überhäufen mich mit Güte, gnädigſte Gräfin“,
entgegnete Paul nach kurzer Pauſe in beſcheidenem
Tone, „ich nehme Ihr Anerbieten mit Dank an; doch
weiß ich nicht, ob ich Ihren Erwartungen ſo zu ent-
ſprechen vermögen werde, als ich es wünſche. — Wol-
len Sie mir mittheilen, in welcher Weiſe Sie dieſe
muſikaliſchen Abende einzurichten gedenken?“
Der Gräfin Blick wandte ſich von der ſinkenden
Sonne auf Paul. — „Ich werde Ihnen meine Abſich-
ten kurz mittheilen, die Einrichtung überlaſſe ich dann
ganz Ihrem Ermeſſen. Ich gehöre nicht zu denen, Herr
Gruber, die das Genie in Schranken bannen, oder in
eine beſtimmte Richtung zwingen möchten. Der Genius
muß ſich frei entfalten können, ſoll er ſeinen Flug zum
Himmel lenken.
jungen Mann wie Sie ſchwer iſt, ſich von beengendem
Einfluß frei zu machen.
beſſer als ich, daß ſich die mufikaliſche Welt der Reſi-
denz in Coterien ſpaltet, die ſich zwar gegenſeitig be-

kämpfen, aber auch wiederum gegenſeitig halten, weil

der Tod der einen unbedingt den Tod der andern nach
ſich ziehen würde. Das Genie gedeiht nicht in ihren

beengenden Kreiſen, man möchte daſſelbe gewaltſam
nach dieſer oder jener Richtung hindrängen, es in

Schranken und Regeln einzwängen und hindert auf
dieſe Weiſe nur zu leicht ſeine freie Entfaltung“.

, wäre ſie einer Aurelie

Das ſchöne Haupt hatte fie leicht in die

Ich weiß ſehr gut, daß es für einen

Sie wiſſen es gewiß noch

Die Gräfin ſchwieg einen Augenblick, Paul ſah ſie
ſtaunend an. — Er hatte nicht geahnt, daß die Gräfin
mit den Schwächen der muſikaliſchen Welt, die ihm
ſelbſt oft ſchon klar genug eingeleuchtet hatten, be-
kannt ſei. ö
„Sie wundern ſich“, fuhr die Gräfin fort, „daß ich
das Alles weiß. Die Erklärung iſt leicht; ich bin län-
gere Zeit eine Schülerin Hans von Bülow's geweſen
und habe durch den Verkehr in ſeinem Hauſe manch
klaren Blick in die muſikaliſche Welt und ihre Kämpfe
gethan; ich habe dort einen gründlichen Haß gegen die
Coterien⸗Herrſchaft gefaßt, und da ich eine glühende
Verehrerin der wahren und reinen Kunſt bin, mir feſt

vorgenommen, gegen dieſe Richtung zu kämpfen, wo ſie

mir entgegentritt, das wahre Genie aber zu beſchützen,
es zu fördern, zu heben, ſoviel ich vermag.“
Sie ſchwieg wieder, ihre Augen ruhten feſt auf Paul,
der befangen zur Erde ſchaute.
„Sie verſtehen mich, Herr Gruber!“ fuhr ſie mit
weicher einſchmeichelnder Stimme fort, während ſie ſich
zu ihm neigte, daß ihr Athem leicht ſeine Wangen
ſtreifte und ihn innerlich erbeben machte. —„Aurelie
hat mir viel von Ihnen erzählt. Sie haben ſich aus
kleinen Verheͤltniſſen emporgerungen; Sie beſitzen Ta-
lent und Originalität und ein eifriges Streben nach
Freiheit. Eben deshalb aber haben Sie, obwohl Sie
noch im Beginn Ihrer Laufbahn ſind, bereits Feinde
und Gegner, die Ihre jungen Leiſtungen ſchmähen, da
dieſelben nicht nach der vorſchriftsmäßigen Elle dieſer
oder jener Coterie gemeſſen ſind. Das, Herr Gruber,
hat mein Intereſſe für Sie erhöht, der Wunſch ſtieg
in mir auf, Ihnen die Bahn zur freien Entfaltung Ih-
res Ingeniums ein wenig ebnen zu helfen, es Ihnen
möglich zu machen, aus dem Ringen und Streben der
Zeit hinaus etwas Individuelles, Volles und Ganzes
zu ſchaffen. Die muſikaliſchen Abende ſollen für Sie
da ſein, — üben und ſtudiren Sie uns ein, was Sie
wollen, geben Sie uns Ihre eigenen Kompoſitionen,
betrachten Sie uns, wie das Feld, auf dem Sie ackern
und das willig dem Drucke Ihrer Hand nachgiebt.
Hier bei mir ſoll nichts Ihre freie Entwickelung hin-

dern, das verſpreche ich Ihnen, nichts ſoll Ihnen miß-

günſtig und unfreundlich entgegentreten.“
Paul war im höchſten Grade erregt, er wußte ſich
kaum zu faſſen. War es ein Traum, der ihn umfing?
Es kam ihm faſt vor, als wäre er jener arme Muſel-

limann aus Tauſend und einer Nacht, dem eine ſchöne.
 
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