Nr. 104.
Mittwoch, den 27. Dezember 1873.
6. Jchrl.
Erſcheint Witwos und Samſtag. Preis monatlich 12 kr.
und bet den Trägern.
Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Man abonnirt in der Druckerer, Schlſſge ſſe 4
Zu ſpät!
Novelle von Clariſſa Loh de.
ö (Fortſetzung.)
„Wie i es, Jenny?“ fragte Marie haſtig, nachdem
ſie die Schweſter kurz begrüßt, „wirſt Du heute in das
Konzert Gruber's gehen?“
Jenny ſah ihre Schweſter erſtaunt an
entgegnete ſie ruhig.
„Nun, ich und der Doktor ſind übereingekommen,
nicht hinzugehen“, fuhr Marie eifrig fort. „Nicht
wahr, liebſter Doktor, beſtätigen Sie was ich ſage.“
Doktor Bornſtädt nickte zuſtimmend mit dem Kopfe.
„Ihr Fräulein Schweſter wünſcht es ſo und ich thue
ihr gern den Gefallen.“
„Nur zum Gefallen?“ rief Marie ärgerlich, „aus
Ueberzeugung ſollen Sie es thun —“
„Aus welcher Ueberzeugung denn?“ fragte Jenny
ſtaunend, bald Marie, bald den Doktor anſehend.
„Aus der Ueberzeugung,“ wandte ſich Marie zu der
Schweſter, „daß man ſolche Plätze, wie ſie uns Herr
darf— gnädigſt anzuweiſen geruht, nicht annehmen
arf —
„Du vergißt,“ entgegnete Jenny, „daß Gruber uns
mit den Billetten ein Geſchenk gemacht hat, wofür wir
natürlich durch freiwilligen Beitrag des wohlthätigen
Zweckes wegen das Comite des Vereins entſchädigen
werden.“
„Um deſto mehr werde ich ſolchen Platz nicht ein-
nehmen,“ fuhr Marie fort, „das Geld wollen wir der
hochadligen Geſellſchaft ſenden, unſere Plätze bleiben
aber leer. — Die dunkle Loge am Orcheſter, die Gru-
ber uns zur Verfügung ſtellt, habe ich meines Wiſſens
noch nicht beſetzt geſehen —“
„Was thut das?“ entgegnete Jenny beſänftigend,
„daß dieſe Plätze nicht ſchön ſind, iſt jedenfalls nicht
Gruber's Schuld — er hat die Plätze nehmen müſſen,
welche übrig geblieben.“
„Die der Adel verſchmäht hat“ — warf Marie är-
gerlich ein — „und eben deshalb werde ich nicht hin-
gehen, und Du ſollteſt es auch nicht thun, Jenny!“
„Papa geht hin“, entgegnete Jenny — „und da,
dächte ich, könnten wir es gleichfalls thun. “
„Papa geht auf den Rezenſentenplatz, er wird ſich
in die dunkle Loge nicht ſetzen. — Außerdem hat aber
: „Gewiß!“
Papa auch ein beſonderes Intereſſe für Gruber, da
er der Schüler ſeines Konſervatoriums iſt.“
„Auch ich habe ein beſonderes Intereſſe für Gru-
ber“ — ſagte Jenny ruhig — und werde deshalb un-
bedingt ſelbſt in die dunkle Loge gehen.“
Marie wandte gich unmuthig zu dem Doktor, der
ſchweigend neben Jenny ſtand:
„Nun, und Sie?“ fragte ſie, „bleiben Sie bei un-
ſerem erſten Entſchluſſe?“
Bornſtädt antwortete mit einem eifrigen „Ja. 5
„Ich hoffe, Fräulein Jennh wird nichts Uchuddi-
haben“, ſetzte er dann zu Jenny gewendet entſchuldi⸗—
gend hinzu. Jenny reichte ihm lächelnd die Hand.
In dieſem Augenblick trat das Mädchen ein und
überreichte Jenny einen Brief:
„Der Bote wartet“, berichtete das Mädchen.
Jenny erhrach den. Brief ſogleich, und überflog
raſch den Inhalt deſſelben.
„Ach, das trifft ſich ja prächtig!“ rief ſie dann
und wandte ſich an ihre Schweſter und Bornſtädt.
„Da finde ich gleich eine gute Verwendung für die
verſchmähten Plätze.“
Marie ſah ſie fragend an.
„Einen Augenblick!“ ſagte Jenny, „ich werde ſo-
gleich Alles erklären.“
Damit ſetzte ſie ſich an den Tiſch und ſchrieb haſtig
einige Zeilen die ſie kouvertirte und dem harrenden
Mädchen mit der Weiſung übergab, ſie dem Boten
einzuhändigen.
„Gruber's Braut iſt mit ihrer Mutter hier“, wandte
ſie ſich dann erklärend zu ihrer Schweſter und dem
Doktor, „ſie will ihren Bräutigam heute Abend im
Konzert überraſchen, hat aber kein Billet mehr zu dem-
ſelben bekommen können. In ihrer Noth wendet ſie
ſich an mich, von der ihr Gruber wohl oftmals ge-
ſprochen.“
„Und da haſt Du Gruber's Braut mit den ſchlech-
ten Plätzen beglückt, die ihr Bräutigam uns gnädigſt
zu ſchenken geruht hat!“ rief Marie ſpöttiſch da-
zwiſchen.
„Dieſe ſchlechten Plätze“, entgegnete Jenny, „wer-
den ihr, gerade ihrer Verborgenheit wegen, ſehr ange-
nehm ſein, da ſie, wie ich Dir ſchon ſagte, eine Ueber-
raſchung beabſichtigt.“
„Wenn dieſe Ueberraſchung dem Herrn Bräutigam
nur angenehm ſein wird!“ — ſagte Marie mit ſchar-
fer Betonung — „ich dächte, Jenny, Du lieſeſt die
Hand dabei aus dem Spiele!“
Mittwoch, den 27. Dezember 1873.
6. Jchrl.
Erſcheint Witwos und Samſtag. Preis monatlich 12 kr.
und bet den Trägern.
Einzelne Nummer à 2 kr.
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.
Man abonnirt in der Druckerer, Schlſſge ſſe 4
Zu ſpät!
Novelle von Clariſſa Loh de.
ö (Fortſetzung.)
„Wie i es, Jenny?“ fragte Marie haſtig, nachdem
ſie die Schweſter kurz begrüßt, „wirſt Du heute in das
Konzert Gruber's gehen?“
Jenny ſah ihre Schweſter erſtaunt an
entgegnete ſie ruhig.
„Nun, ich und der Doktor ſind übereingekommen,
nicht hinzugehen“, fuhr Marie eifrig fort. „Nicht
wahr, liebſter Doktor, beſtätigen Sie was ich ſage.“
Doktor Bornſtädt nickte zuſtimmend mit dem Kopfe.
„Ihr Fräulein Schweſter wünſcht es ſo und ich thue
ihr gern den Gefallen.“
„Nur zum Gefallen?“ rief Marie ärgerlich, „aus
Ueberzeugung ſollen Sie es thun —“
„Aus welcher Ueberzeugung denn?“ fragte Jenny
ſtaunend, bald Marie, bald den Doktor anſehend.
„Aus der Ueberzeugung,“ wandte ſich Marie zu der
Schweſter, „daß man ſolche Plätze, wie ſie uns Herr
darf— gnädigſt anzuweiſen geruht, nicht annehmen
arf —
„Du vergißt,“ entgegnete Jenny, „daß Gruber uns
mit den Billetten ein Geſchenk gemacht hat, wofür wir
natürlich durch freiwilligen Beitrag des wohlthätigen
Zweckes wegen das Comite des Vereins entſchädigen
werden.“
„Um deſto mehr werde ich ſolchen Platz nicht ein-
nehmen,“ fuhr Marie fort, „das Geld wollen wir der
hochadligen Geſellſchaft ſenden, unſere Plätze bleiben
aber leer. — Die dunkle Loge am Orcheſter, die Gru-
ber uns zur Verfügung ſtellt, habe ich meines Wiſſens
noch nicht beſetzt geſehen —“
„Was thut das?“ entgegnete Jenny beſänftigend,
„daß dieſe Plätze nicht ſchön ſind, iſt jedenfalls nicht
Gruber's Schuld — er hat die Plätze nehmen müſſen,
welche übrig geblieben.“
„Die der Adel verſchmäht hat“ — warf Marie är-
gerlich ein — „und eben deshalb werde ich nicht hin-
gehen, und Du ſollteſt es auch nicht thun, Jenny!“
„Papa geht hin“, entgegnete Jenny — „und da,
dächte ich, könnten wir es gleichfalls thun. “
„Papa geht auf den Rezenſentenplatz, er wird ſich
in die dunkle Loge nicht ſetzen. — Außerdem hat aber
: „Gewiß!“
Papa auch ein beſonderes Intereſſe für Gruber, da
er der Schüler ſeines Konſervatoriums iſt.“
„Auch ich habe ein beſonderes Intereſſe für Gru-
ber“ — ſagte Jenny ruhig — und werde deshalb un-
bedingt ſelbſt in die dunkle Loge gehen.“
Marie wandte gich unmuthig zu dem Doktor, der
ſchweigend neben Jenny ſtand:
„Nun, und Sie?“ fragte ſie, „bleiben Sie bei un-
ſerem erſten Entſchluſſe?“
Bornſtädt antwortete mit einem eifrigen „Ja. 5
„Ich hoffe, Fräulein Jennh wird nichts Uchuddi-
haben“, ſetzte er dann zu Jenny gewendet entſchuldi⸗—
gend hinzu. Jenny reichte ihm lächelnd die Hand.
In dieſem Augenblick trat das Mädchen ein und
überreichte Jenny einen Brief:
„Der Bote wartet“, berichtete das Mädchen.
Jenny erhrach den. Brief ſogleich, und überflog
raſch den Inhalt deſſelben.
„Ach, das trifft ſich ja prächtig!“ rief ſie dann
und wandte ſich an ihre Schweſter und Bornſtädt.
„Da finde ich gleich eine gute Verwendung für die
verſchmähten Plätze.“
Marie ſah ſie fragend an.
„Einen Augenblick!“ ſagte Jenny, „ich werde ſo-
gleich Alles erklären.“
Damit ſetzte ſie ſich an den Tiſch und ſchrieb haſtig
einige Zeilen die ſie kouvertirte und dem harrenden
Mädchen mit der Weiſung übergab, ſie dem Boten
einzuhändigen.
„Gruber's Braut iſt mit ihrer Mutter hier“, wandte
ſie ſich dann erklärend zu ihrer Schweſter und dem
Doktor, „ſie will ihren Bräutigam heute Abend im
Konzert überraſchen, hat aber kein Billet mehr zu dem-
ſelben bekommen können. In ihrer Noth wendet ſie
ſich an mich, von der ihr Gruber wohl oftmals ge-
ſprochen.“
„Und da haſt Du Gruber's Braut mit den ſchlech-
ten Plätzen beglückt, die ihr Bräutigam uns gnädigſt
zu ſchenken geruht hat!“ rief Marie ſpöttiſch da-
zwiſchen.
„Dieſe ſchlechten Plätze“, entgegnete Jenny, „wer-
den ihr, gerade ihrer Verborgenheit wegen, ſehr ange-
nehm ſein, da ſie, wie ich Dir ſchon ſagte, eine Ueber-
raſchung beabſichtigt.“
„Wenn dieſe Ueberraſchung dem Herrn Bräutigam
nur angenehm ſein wird!“ — ſagte Marie mit ſchar-
fer Betonung — „ich dächte, Jenny, Du lieſeſt die
Hand dabei aus dem Spiele!“