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N. 102.

Samſtag, den 20. Dezember 1873.

6. Johrg.

cheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeren, S⸗
Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

und bei den Trägern.



Huhne ſſe 4

Zu ſpät!
Novelle von Clariſſa Lohde.
(Fortſetzung.)

Frau Agnes ſtreichelte lächelnd die Wangen des
holden Mädchens: „Deshalb alſo ängſtigſt Du Dich,
weil die Gräfin ſo ſchön iſt? — Nun, mein liebes
Kind, wenn Deines Paul's Treue an der Schönheit

eines Weibes ſcheitern ſollte — dann müßte ſie wahr-

lich auf ſchwache Füße geſtellt ſein. Mit wieviel Schön-
heit und mit wieviel Reiz hat Gott die Menſch enkinder
ausgeſtattet, und wie oft wird gerade Dein Paul in
ſeiner Lebensſtellung mit ſchönen und reizenden Frauen
zuſammenkommen. Sollteſt Du für jedes Begegnen
mit einer ſolchen fürchten müſſen, dann, Käthchen,
würde Dein Leben an ſeiner Seite eine fortdau-
ernde Qual ſein. Deshalb aber, meine liebe Tochter,
iſt es Deine ernſte Pflicht, ſolche Regungen der Eifer-
ſucht, ſo natürlich ſie auch ſein mögen, zu unterdrücken.
Vertrauen, völliges Vertrauen iſt die Pflicht jedes Wei-
bes gegen den Mann, den es liebt, ſo lange ſie keinen
wahrhaften Grund hat, ihm zu mißtrauen. Und das,
hoffe ich, iſt bei Paul nicht der Fall — ſonſt würde
ich allerdings die Reiſe, von der ich mir ſo viel Freude
für Dich verſpreche, ſofort aufgeben.“
„Nein, nein“, rief Käthchen, und fiel der Mutter
um den Hals — „ich bin thöricht, ich ſehe es ein, ich
habe ja jetzt gar nichts mehr zu klagen; Panl ſchreibt
ja ſeit dem Tode des Vaters wieder öſter und wenn
auch nicht ſo warm, wie im Anfang unſerer Liebe, ſo
doch voll herzlicher Theilnahme. Kann ich mehr von
einem jungen, in ſeiner Kunſt gänzlich aufgehenden
Manne erwarten?“ ö
„Gewiß nicht“, entgegnete die Mutter. „Dann
aber auch fort mit allem Zweifeln und Grübeln, und
raſch und fröhlich an die Arbeit! — —“
Am Abend des Tages, an welchem Käthchen, alle

Sorge verbannend, in ſeliger Vorfreude des Wiederſe-

hens ſich zur Abreiſe rüſtete, ſaß Paul in dem ſchon
bekannten Zimmer der Gräfin an dem Theetiſch und
ſchlürfte mit ihr aus feinen Taſſen von Sevreporzellan
den narkotiſchen Trank. Paul hatte eben unten bei
Frau von Plato, die ſich ſelbſt als Soliſtin im Konzert
hören laſſen wollte, geprobt, und ruhte jetzt in dem
weichen Fauteuil, den die Gräfin ſorgſam für ihn von

dem Diener hatte hinrücken laſſen. Eine dunkle Wolke
des Mißmuths lagerte auf ſeiner Stirn, er ſah ver⸗—
ſtimmt aus. Er hatte heute, wenn auch nicht zum er-
ſten Male, doch ſtärker wie je die Empfindung gehabt,
daß es ein ſehr ſchwieriges und undankbares Amt ſei,
in einer hochadligen Geſell ſchaft zu dirigiren. Man
hatte ihm opponirt — beſonders die Gnädige unten,
die reizende Frau v. Plato war ihm faſt in verletzen-
der Weiſe begegnet. Er begann an dem Ausfall des
Konzerts zu zweifeln und doch lag ihm an dem guten
Ausfall deſſelben ſo unendlich viel, da es das erſte
Mal war, daß er öffentlich dirigirte. Die ſchöne Gräfin
ſaß Paul gegenüber in nachläſſiger Grazie auf der
Chaiſe-longue hingeſtreckt. Sie hatte die Trauer um
den Gemahl bereits abgelegt; ihre ſchöne hohe Geſtalt
war von einem zartblauen Seidenkleide umhüllt, das
ſich doch bis zum Halſe ſchloß und nur die Vollendung
der Form ahnen ließ, deren verhüllte Conture ſchon
des Beſchauers entzücken mußte. — Ihr goldblondes
Haar fiel in reichen Locken, durch die ſich dicke Flech-
ten ſchlangen, in anmuthiger Freiheit auf den Hals
und tanzte auf dem blendend weißen Nacken, deſſen
zartes Colorit das blaue Kleid noch ſchimmernder her-
vorhob — in den Händen hielt ſie ſpielend den Fächer,
den ſie während der Probe gebraucht hatte. Ihr.
Auge ſchweifte zuweilen mit dem ihr eignen, ſehnſuchts-
voll ſchimmernden Glanze zu dem jungen Manne hin-
über und ruhte dann für einen Moment mit tiefer,
auflodernder Glut in dem ſeinen. Die Unterhaltung

der Beiden drehte ſich aber dieſen Blicken Hohn ſpre⸗—

chend um die gewöhnlichſten, alltäglichſten Dinge. Ab
und zu wandte ſich Paul mit geſuchter Artigkeit zu

dem neben ihm ſitzenden Fräulein von Altheim, und

ſuchte mit der beſcheiden ſich von der Unterhaltung

fern haltenden Dame ein Geſpräch anzuknüpfen, das

indeſſen von beiden Seiten nicht gar zu lebhaft be-
trieben, bald wieder einſchlief. Anch die Gräfin war
einſilbig, zuweilen biß ſie ſich wie in innerer Erregung

auf die hübſche roſige Unterlippe und dann ſtreifte ihr

Auge nicht mit gar freundlichem Ausdruck die feſt und

ſteif daſitzende Dame, deren Gegenwart ihr in dieſem

Moment nicht gerade erwünſcht zu ſein ſchien. Der
Diener räumte das Theegeſchirr wieder fort, Paul
ſtand auf und trat an einen Seitentiſch, dort ſeine auf
demſelben ausgebreitet liegenden Noten zuſammenpackend.
Der Gräfin Augen folgte ihm mit faſt ängſtlichem
Ausdruk.
„Liebe Altheim“ — wandte ſie ſich dann freundlich
 
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