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an die Dame, die ohne aufzuſehen, ſtill auf ihr Strick-
zeug ſchaute, — „es wäre mir lieb, wenn Sie uns
einmal die Namensliſte der Familien brächten, die be-
ſondere Einladungen zu unſerm Konzerte erhalten ſoll-
ten. — Herr Gruber“ — ſetzte ſie mit einer höflichen
Handbewegung gegen Paul hinzu — „hat als Diri-
gent jedenfalls ein Recht darauf, ſie vor der Verſen-
dung einzuſehen.“
Fräulein von Altheim ſtand ſogleich auf und ſchickte
ſich an, den Strickſtrumpf zuſammenrollend und iu
das vor ihr ſtehende zierliche Körbchen legend, das
Zimmer zu verlaſſen. Paul wandte ſich bei den Wor-
ten der Gräfin haſtig um, ein Strahl plötzlicher Freude,
warmen Dankes blitzte in ſeinem Auge auf — doch
fuhr er, die an ihn gerichteten Worte der Gräfin nur
mit einer achtungsvollen Verbeugung erwiedernd, ſchein-
bar ruhig in ſeinem Geſchäfte fort.
Fräulein von Altheim verließ das Zimmer, die
Gräfin ſtand, ſobald die Portiere ſich hinter ihr ge-
ſchloſſen, haſtig auf und ſchritt auf Paul zu. — Paul
wandte ſich um, er rührte ſich nicht. Wie gebannt in
magnetiſchem Zauber ſtand er da, das Herz in unruhi-
gen, heftigen Schlägen aufklopfend, als wolle es die
Bande zerſprengen, die es feſthielten. Es war ſeit ſei-
ner erſten Viſite das erſte Mal, daß Paul mit der
verführeriſchen Frau wieder allein, ganz allein war.
Wonne und Angſt preßten ſein Herz zuſammen.
„Sie ſind verſtimmt“, ſagte die Gräfin und reichte
ihm wie beſänftigend die zarte Hand, die er bebend in
die ſeinige ſchloß. — „Das Betragen Aurelien's war
aber auch unerhört, ich kann Ihnen gar nicht ſagen,
mein lieber junger Freund, wie indignirt ich bin —
ich kannte in Gegenwart der Altheim mich nicht aus-
ſprechen, deshalb ſchickte ich ſie fort. — Ich wollte Ih-
nen nur ſagen: Laſſen Sie ſich die Ungezogenheit Au-
relien's nicht zu nahe gehen, der Grund derſelben wird
Ihnen ja nur zu erklärlich ſein — und um dieſes
Grundes willen“ — die Gräfin blickt neckiſch lächelnd
zu ihm auf — „verzeihen Sie ihr gewiß. — Dieſer
Grund iſt ja nur ſehr ſchmeichelhaft für Sie! —“
Paul hörte und hörte doch nicht; ſeine ganze Seele
war in ſeltſamem Zauber befangen, all' ſeine Sinne
konzentrirten ſich in der einen wunderbaren Empfin-
dung der Nähe des ſchönen Weibes. Er hielt die
kleine Hand noch in der ſeinen — die Gräfin entzog
ſie ihm nicht, ſie ſchaute ihm einen Augenblick in das
von heftigſter Erregung glühende Antlitz. Ein trium-
phirendes Lächeln umſpielte ihre Lippen; in ihrem
Auge leuchtete es auf wie in wilder Freude.
„Sie ſind ja ganz verſtummt“, ſagte ſie in leiſe
einſchmeichelndem Tone, der Paul in namenloſen Ent-
zücken erbeben machte. — „Sollte dennoch?“ — ſie
ſtockte wie verlegen — ö
Paul blickte ſie voll fragenden Erſtaunens an —
„Ich verſtehe nicht,“ flüſterte er befangen.
„O, Sie Schelm!“ rief ſie, ihm raſch ihre Hand

entziehend und wie zum Scherze mit dem Fächer, den

ſie in der Linken hielt, ihn allf die Schulter klopfend
— „Sie verſtehen mich nur zu wohl! — Dis blauen

Augen meiner reizenden Schwägerin haben es Ihnen
angethan — deßhalb Ihre traurige Miene; Sie ver-

bergen die Gluth Ihrer Leidenſchaft unter äußerer

Kälte!“ ö ö
Paul griff nach der Hand, die tändelnd mit dem
Fächer ſpielte — die Sinne ſchienen ihm zu vergehen
— er ſah nicht mehr, wo er war, er vergaß die Kluft,
die ihn, den Kantorsſohn, von der vornehmen Dame
trennte — ach, er liebte ſie ja ſchon ſeit Monden mit
verzehrender Gluth, mit einem Sehnen und Verlangen,
das ihm den Schlaf der Nächte, die Ruhe der Tage
raubte — und er hatte dieſes Gefühl bis jetzt verber-
gen, in tiefſter Seele verbergen müſſen. In vorneh-
mer, gemeſſener Ferne hielt ſich die ſtolze Frau von
ihm, nur die Augen, die wunderbaren, in ſehnſüchtigem
Verlangen ſchmelzenden Augen des herrlichen Weibes
hatten ihm manchmal ein anderes Gefühl als das der
freundlichen Herablaſſung verrathen, was ſie ihm in
der Geſellſchaft zeigte. Jetzt aber — jetzt hatte fie
ſelber die-Schranke niedergeriſſen, die ſie, die Hochge-
borne von dem armen Künſtler trennte, er ſah nicht
mehr die Gräfin, er ſah nur noch das Weib vor ſich,
das er mit wahnſinniger Gluth, mit einer Leidenſchaft
liebte, die ſelbſt die Stimme des Gewiſſens, der Ge-
danke an Käthchen nicht zu überwältigen vermochte.
Er ſchaute ihr bebend in das voll ſanften Feuers auf
ihn gerichtete Auge, er preßte ihre Hand wiederholt
und glühend an ſeine Lippen, er flüſterte in leiſen,
vibrirenden Tönen: „Ja, ja — ich liebe — ich ver-
berge dieſes ſüße Geheimniß unter äußerer Kälte —
aber ich liebe nicht Aurelie, die kleine niedliche Ko-
kette, ich liebe ein ſchönes, edles, herrliches Weib, ich
bete ſie an, ich leide tauſend Qualen und wage es
nicht, dieſe Qualen ihr zu geſtehen, weil ſie ſo hoch
über mir ſteht — weil ſie noch nie mir ein Zeichen
gegeben, daß meine anbetende Liebe nicht ganz uner-
wiedert geblieben.“ ö
Die Gräſin neigte ſich zu ihm mit wonnigem Lä-
cheln. ö ö
„Hebt die Liebe nicht alle Unterſchiede auf?“ liſpelte
ſie — „iſt ihr die Sprache der Augen nicht genug?“
Paul jubelte faſt laut auf vor Entzücken, er ſchlang
den Arm um die ſchlanke Geſtalt, er preßzte ſie an ſich,
ſie neigte in ſüßem Vergeſſen das Haupt an ſeine
Schulter, er ſchaute ihr in das ſchöne von hellem Roth
übergoſſene Antlitz und preßte einen langen, glühenden
Kuß auf ihre Lippen. — ö
(Fortſetzung folgt.)

Zur Charakteriſtik des Herzogs Karl von
Braunſchweig.

(Fortſetzung.) —
Der Herꝛog begnügte ſich alſo vor der Hand, die
Miniſter mit großer Geringſchätzung zu behandeln, ih-
nen aber ſonſt keinen Stein in den Weg zu legen, um-
 
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