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Nr. 96.

Samſtag, den 29. November 1873.

6. Jahrg.

Erſcheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 18 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Schiſgaſſe 4
und bet den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten. *

Zu ſpät!
Novelle von Clariſſa Lohde.
(ortſehung.) *

Sie heiratheten dieſen Argloſen, den Sie an Ihre
Liebe glauben machten, weil er reich und weil er Graf
war. — Ihr Wunſch iſt erſüllt, Sie haben jetzt Na-
men, Geld und Freiheit — bewahren Sie dieſe durch
Schuld und Sünde theuer erkauften Güter! Weder als
Gatte noch als Geliebter möchte ich dieſelben mit Ihnen
theilen. Dies meine Antwort. — Was einmal ſo von
einander geſchieden iſt, wie wir, muß es auf ewig blei-
ben! — Zum Schluſſe nur noch eine Warnung.
Ein nuglücklicher Zufall hat meinen liebſten Freund,

ö Paul Gruber, mit Ihnen zuſammengeführt. Ein Schrei-
ben von ihm theilte mir das mit. Ihre Vorzüge ha-

ben nicht verfehlt, auf den jungen unerfahrenen Mann
Eindruck zu machen.
mein Freund, mein theuerſter Freund! Ich glaube, nach
dem, was zwiſchen uns vorgefallen, das Recht zu haben,
Sie darum zu erſuchen, jede Anknüpfung mit ihm zu
vermeiden. Ich will nicht, daß Sie zum zweiten Male
durch Ihre Kunſt ein junges Talent zerſtören.
Zuwiderhandeln gegen dieſe meine Forderung würde
meinerſeits jegliche Rückſicht aufheben, die mich bis jetzt
noch zum Schweigen über jene dunkle Geſchichte unſerer
Liebe veranlaßt hat. ö ö ö
Mögen dieſe Worte die letzten fein, die zwiſchen
uns gewechſelt werden. Suchen wir uns gegenſeitig

zu vergeſſen, das iſt mein einziger, mein letzter Wunſch

den ich in Beziehung auf Beide hege.
1111111 Bodo Walter.
Der Gräfin Augen ruhten lange mit dem Ausdruck
wilden Schmerzes auf dieſen Zeilen. Was ſie auch ge-

than, welche Schuld auch auf ihrer Seele lag, ſie hatte
Bodo geliebt, hatte ihn allein geliebt, ja ſie liebte ihn

noch mit der ganzen Leidenſchaft einer ſtark empſin-

denden Natur — und er verachtete ſie. — Die ganze.

Männerwelt, die ihr nahe trat, lag anbetend zu ihren
Füßen, und dieſer Eine, den ſie mit Herz und Sinnen
begehrte, wandte ihr kalt den Rücken. O, wie haßte

ſie den ſtolzen Wann, der ihr das zu bieten wagte!
J wieder läs ſie den Brief, deſſen kalte, ſchnei-
de Sorte den Todesſtoß ihrem Herzen gegeben hat-

temxy Lange ſtarrte ſie in die flackernde Gluth des Ka-

Ich wiederhoie Ihnen, er iſt

Ein

minfeuers, krampfhaft knitterten ihre zarten Hande den
Brief zuſammen — er flog in die auflodernde Flamme.
Die Gräfin athmete auf, als ſie ihn in Aſche zerfallen
ſah, ihre Augen leuchteten in dunklem Feuer — es
war das Feuer glühender Leidenſchaft, das Feuer wil-
den Haſſes, heißen Rachedurſtes. ö ö
„Du ſollſt mich nicht vergeſſen, Bodo“, murmelte ſie
zwiſchen ihren knirſchenden Zähnen, während ein ſtol-
zes Lächeln ihre Lippen kräuſelte, „ich werde dafür
ſorgen, daß mein Name ebenſo in Deinen Ohren fort-
klingt, wie ſich die Worte Deines Briefes mit unaus-
löſchlichen Lettern in mein Herz gegraben haben. Du
befiehlſt mir, Deinen Freund zu meiden, weil Du ihn
liebſt. — Ich trotze Dir, Du Stolzer, Du ſelbſt treibſt
mich an, meine Macht an Deiner Puppe zu verſuchen.“
Auch Paul fand, als er nach Hauſe kam einen
„Brief Bodo's vor. Bodo beſchwor ihn in erregten
Ausdrücken, die Gräfin nicht mehr wiederzuſehen. „Als
Freund, im Namen Deines beſſeren Selbſt“, ſchrieb
er, „beſchwöre ich Dich, dieſe Frau zu meiden. Vor
jeder Andern würde ich Dich durch Moralität, durch
Deinen männlichen Willen genug geſchützt glauben.
Dieſer Sirene gegenüber habe ich indeſſen ſchon die
feſteſten Grundſätze, die geprüfteſte Reinheit wanken ſe-
hen. — Ich kann Dir jetzt nur dies Eine aus der
Ferne bittend, flehend, Dich beſchwörend zurufen: Fliebe
ſie, fliehe ſie ſo raſch Du kannſt! — Mein Brief iſt
leider lange ausgeblieben — ich war nach Neapel ge-
reiſt und erhielt Dein Schreiben, das mir von Deiner
Bekanntſchaft mit der Gräfin Mittheilung machte, erſt
nach meiner Rückkehr. Zum zweiten Male weiß ich
einen theuren, vielgeliebten Freund in der gefährlichen
Nähe dieſes Weibes, und bin nicht dort, um ihn
ſchützen zu können.“ * ö *
Paul überflog mit pochendem Herzen dieſe Zeilen,
ſeine Hand zittertel Was ſollte er thun? Dem Freunde.
folgen, das Glück von ſich ſtoßen, das die Gräſin ihm
eben geboten? — Das Glück, ſeine Kunſt in ihrem
Hauſe, unter dem Schutz einer vornehmen, ausgewähl-
ten Geſellſchaft jördern zu können? Durfte er um ſei-
ner künſtleriſchen Zukunft willen ſolch ein Anerbieten
vorx ſich weiſen? Konnte dieſes Bekanntwerden in der
vornebmen Welt, dieſes Eindringen in die excluſiven
Kreiſe der Reſidenz nicht ein Hauptbebel für ſeine ra-
ſhen Künſtlererſolge werden? — Und dann — Paul
zögerte — ja er mußte ſich's geſtehen — etwas ande-—
res noch als dieſe Erwägung hielt ihn davon ab, des

Freundes Wunſch zu erſüllen, ein unwiderſtehliches
 
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